Die Islamdemokraten

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Türkei zwischen Wahlen und Verschwörungen gegen religiöse Minderheiten.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert hatte es in der Türkei keinen zweiten Wahlsieg eines amtierenden türkischen Regierungschefs mehr gegeben. Erst dem Islam-Demokraten Recep Tayyip Erdogan ist das bei diesen Juli-Wahlen geglückt. Als strahlender Sieger bekennt er sich nun zur europäischen Sendung der Türkei und verspricht, am Ziel ihrer EU-Mitgliedschaft festzuhalten. Auch das Ausbleiben eines zweiten regelrechten Erdrutsches in gemäßigt islamische Richtung zugunsten seiner AKP wie 2002 wird von Istanbuler Beobachtern günstig gewertet. Die Zugewinne hielten sich in Grenzen, eine Zweidrittelmehrheit kam nicht zustande, die ewig putschlüsternen Generäle von Ankara haben keinen Vorwand für eine Machtergreifung erhalten.

Die eigentliche Wahlschlacht hat sich zwischen den Oppositionsparteien abgespielt. Die zur Demokratischen Partei vereinigten Zentrumskräfte vom Mutterland und dem Rechten Weg kamen nicht über die Sperrklausel von zehn Prozent. Besser schlug sich das politische Urgestein von Kemal Atatürks sozialnationaler Nachfolgepartei CHP. Viel bisherige Sitze wurden ihr allerdings vom Rechtsaußen MHP abgenommen. Kleinere Sieger sind zwei Dutzend für kurdische Kulturautonomie deklarierte "Unabhängige". Auch dem einstigen Mutterland-Chef Mesut Yilmaz, einem Schüler des St.-Georgs-Kollegs der österreichischen Lazaristen, ist wenigstens als parteifreier Abgeordneter das Comeback gelungen.

Wellness fürs Militär

Am Platz der Republik in Ankara fordern jetzt regierungstreue Demonstranten die Wahl von Erdogan-Vize Abdullah Gül zum Staatsoberhaupt. An diesem Vorhaben hatte sich im April die Krise entzündet, aus der die Wahlen herausführen konnten.

Die Nationale Bewegung MHP, die zu den Mitgewinnern der Neuwahlen gehört, hat sich darauf klar vom sonstigen ultra-türkisch/säkularen Lager abgesetzt. Parteichef Bahcieli, der diese Gruppierung aus der radikalen Ecke ihres Gründers Türkes herausgeführt und zu einem starken nationalliberalen Block gemacht hat, wird jetzt den Islamdemokraten/Islamisch-Sozialen von der AKP Schützenhilfe bei der anstehenden Präsidentenwahl durch das neue Parlament leisten: Mit Anwesenheit seiner Fraktion in der Nationalversammlung von Ankara will er Ministerpräsident Erdogan das Quorum sichern, um Außenminister Gül als neues Staatsoberhaupt zu küren.

Im April hatten die Militärs dagegen noch ihr Veto eingelegt und mit Machtergreifung gedroht. Jetzt sind sie zurückhaltender: Sie verhandeln bereits mit Erdogan über höheren Sold, noch mehr Offiziershotels, Militärferiendörfer und-einkaufszentren. Ihr Staat im türkischen Staat gibt sich - vorerst einmal - mit Wellness zufrieden.

Doch bleibt es ein politisch heißer Sommer am Bosporus. Eben wurde im asiatischen Teil von Istanbul, Kadiköy (der alten Konzilsstadt Chalkedon), ein Netz wegen ultranationalistischer Aktivitäten vorzeitig pensionierter Offiziere ausgehoben. Es handelt sich vorwiegend um Majore und Obristen, aber auch einige Generäle sowie den antisemitischen Hetzautor Ergün Poyraz. Sie alle planten die Ermordung führender Persönlichkeiten aus den nicht-islamischen Minderheiten nach dem Grundsatz der sonst areligiösen türkischen Nationalisten: "Nur ein türkischer Muslim ist ein richtiger Türke!" Obwohl sich die Untersuchungsbehörden noch in Schweigen hüllen, gibt es Hinweise darauf, dass dieselbe Nationalisten-Verschwörung - und nicht islamische Extremisten - schon für den Foltermord vom Frühjahr an drei evangelischen Christen in Malatya verantwortlich waren.

Nationalisten-Verschwörung

Diesmal hatten sie es auf Führungspersönlichkeiten der alteingesessenen religiösen Minderheiten Armenier, Juden und Orthodoxe abgesehen. Wie schon im Februar der armenische Publizist Hrant Dink sollten sie durch Scharfschützen gezielt beseitigt werden. Namentlich Armenier-Patriarch Mesrop II., führende Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde sowie der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. Als dieser darauf die polizeiliche Anweisung erhielt, seine öffentlichen Verpflichtungen abzusagen und sich auf das Patriarchat zu beschränken, lehnte er das mit den Worten ab: "Wer vorn steht, trägt auch die Dornenkrone!"

Für Christen: "positiv"

Fünf Tage nach den Parlamentswahlen wurden in Istanbul und Umgebung für 65 griechisch-orthodoxe Gemeinden die Kirchenvorstände gewählt. Unter einer noch nie dagewesenen Beteiligung und Begeisterung von Alt und Jung. Auch dabei wurde der politische Wahlausgang eifrig diskutiert. Er sei für die rund 160.000 Christen der Türkei - 1908 waren es noch über sechs Millionen - "im Großen und Ganzen positiv". Das betrifft nicht nur das verstärkte Wählervertrauen in die gemäßigt islamische, pro-europäische Gerechtigkeits- und Verbesserungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan. Vor allem konnte in beiden Wahlkreisen von Istanbul je ein Vertreter der türkischen Menschenrechtsbewegung als unabhängiger Abgeordneter gewählt werden. Zwar handelt es sich bei ihnen um Muslime und keine Christen, jedoch um Persönlichkeiten, die auch für volle christliche Religionsfreiheit eintreten. Dasselbe gelte für die 15 Frauenrechtlerinnen, die in den Reihen der "Unabhängigen" gewählt worden sind.

Das ist auch die offizielle Einschätzung am Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. Es setzt daher weiter auf seine Politik der kleinen Schritte, um die Zukunft der christlich-orthodoxen Präsenz zu sichern und zu stärken. Erster Schritt war eine Versammlung junger Orthodoxer aus allen Kirchensprengeln des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul: Aus Griechenland genauso wie von Finnland und Estland, von den Auslandsrussen und-ukrainern. Auch aus Österreich waren aus jeder Gemeinde ein Bursch und ein Mädchen geladen. Die meisten von ihnen lernten dabei ihre Konstantinopler Mutterkirche zum ersten Mal aus der Nähe kennen und lieben.

Misstöne, wie sie für die widersprüchliche Haltung der Türkei zu ihren Christen bezeichnend sind, blieben jedoch nicht aus: Vor allem gibt es wieder eine Anzeige gegen Bartholomaios I. wegen seines Auftretens als Ökumenischer Patriarch. Ankara will ihn auf die Rolle eines "Baspapaz" (Hauptpfarrers) der Türkei-Griechen beschränken. Um sein Amt als Primas, Koordinator und Sprecher aller orthodoxen Christen zu betonen, hat der Patriarch für Ende August eine weltweite griechisch-orthodoxe Bischofskonferenz nach Istanbul einberufen. Zu ihr wird als ein wichtiger Teilnehmer für Österreich und Ungarn Metropolit Michael Staikos erwartet.

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