"Die Israelis können mich nicht schlucken"

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Die Palästinenser, die während des Krieges von 1948 nicht zu Flüchtlingen gemacht wurden und in Israel blieben, stehen einem immer größer werdendem Problem gegenüber: Wie vereinbart man arabische Identität mit israelischer Staatsbürgerschaft? Der palästinensische Knessetabgeordneter Azmi Bishara glaubt, eine Antwort zu haben.

Zwischen Martin Luther King und Bin Laden kennen die nichts", beschreibt Azmi Bishara, der palästinensische Intellektuelle mit israelischem Pass, die Unfähigkeit der US-Amerikaner, den Kolonialismus in Israel zu begreifen. Europa, die Heimat des "klassischen" Kolonialismus, sei da in einer grundsätzlich besseren Ausgangsposition "aber auch hier verstehen viele die Lage nicht: Die Leute meinen, es handle sich um Grenzstreitereien, oder um ein Problem zweier Religionen. Es geht hier jedoch um einen Kolonialkonflikt, und zwar um einen äußerst komplizierten, da die Kolonialisten nicht in ihre Ursprungsländer zurück können", meint Bishara. Der Mittvierziger, ehemaliger Professor an der Bir Zeit Universität, Doktor der Philosophie, geboren in Nazareth, laut der israelischen Tageszeitung Haaretz "einer der interessantesten Intellektuellen des Nahen Ostens", ist seit 1996 Mitglied der Knesset.

Die rund ein Dutzend arabischen Abgeordneten haben kein leichtes Leben im israelischen Parlament: Schreiduelle mit Mitgliedern rechter Parteien sind an der Tagesordnung, oft wird die Frage der Sinnhaftigkeit der arabischen Präsenz im israelischen Parlament gestellt (von Vertretern beider Seiten). Dazu kommt interne Uneinigkeit. Bishara: "Es ist unglaublich, wieviel Zeit ich für diese Auseinandersetzungen verwenden muss."

In der palästinensisch-israelischen Politik gibt es zwei Hauptströmungen: Die Verfechter einer Integration der israelischen Palästinenser in die israelische Politik gruppieren sich um Hadash und Maka (israelische Kommunisten), die zeitweise von der UAL (United Arab List) und dem Arab Renewal Movement (Ahmad Tibi) unterstützt werden. Sie wollen die möglichen Früchte der Zusammenarbeit mit den jüdischen Israelis nicht durch nationalistische Agitation aufs Spiel setzen, weil sie glauben, dadurch ihre Situation verbessern zu können. Sie sind gegen eine eigene arabisch-israelische Volksvertretung und den Boykott israelischer Wahlen. Genau diesen aber befürwortet die zweite Gruppierung, die keineswegs einheitlich ist, deren gemeinsamer Nenner aber die Nicht-Assimilierung in die jüdisch-israelische Gesellschaft ist.

Wahlboykott als Sieg

Die Wahlen im Februar 2001 (85 Prozent der israelischen Palästinenser hatten nicht gewählt) bedeuteten einen Wendepunkt im Verhältnis der 20-prozentigen arabischen Minderheit zur israelischen Mainstream-Linken Der Wahlboykott war die Folge der Tötung von 13 israelischen Arabern im Oktober 2000, die an Solidaritätsdemonstrationen mit der gerade beginnenden zweiten Intifada teilnahmen. Azmi Bishara, einer der bekanntesten Führer der säkularen Gegner der Integration (ein Teil der Gegner hat einen islamistischen Hintergrund) und Kopf der Nationaldemokratischen Partei (Balad) dazu: "Eines der wichtigsten Resultate der Vorfälle vom Oktober 2000 ist der Kollaps der Illusion einer Integration in die israelische Gesellschaft." Viele sahen den Boykott der Wahlen als ersten Schritt einer Emanzipierung der palästinensischen Israelis von der Vormundschaft der israelischen Linken, die sich jahrzehntelang auf dieses Wählerpotential gestützt hatte.

Der Aufstand im Oktober 2000 hat zweifellos die integrationsfeindliche Tendenz gestärkt. Ihre Vertreter sehen, neben dem Problem der Gleichstellung von Juden und Nichtjuden, vor allem das der Identität; sie fühlen sich nicht als Teil einer inexistenten "israelischen Nation" die aus zwei Völkern besteht: dem jüdischen und dem arabisch-palästinensischen. Sie fordern deshalb eine Anerkennung der palästinensischen Israelis als solche, territoriale Autonomie, eine eigene Volksvertretung, letzten Endes einen binationalen Staat (zuerst innerhalb der Green Line; schlussendlich, im Fall eines Übereinkommens, auch in der Westbank). Trotz der sehr unterschiedlichen Auffassungen der beiden Strömungen - Assimiliationisten contra Gegner der "Israelisierung" -, gibt es wichtige gemeinsame Punkte wie die Notwendigkeit einer palästinensisch-israelischen Annäherung und der "Entzionisierung" des israelischen Staatsgebildes; das heißt Israel soll sich nicht mehr als der Staat aller Juden der Welt begreifen (und damit ein Fünftel seiner Bürger an den Rand drängen), sondern als "Staat aller seiner Bürger", nach der gängigen Formulierung.

Neue Politisierung

Wie sieht die politische und ökonomische Realität der Araber im Vergleich zu der ihrer jüdischen Mitbürger aus? Der israelische Kommentator Gideon Levy warnt vor der Marginalisierung der Palästinensischen Israelis: "Ihre Loyalität scheint manchmal sogar übertrieben, wenn man in Betracht zieht, wie der Staat sie und ihre Brüder und Schwestern hinter der Green Line (das heißt im Westjordanland, dessen palästinensische Bewohner nicht israelische Staatsbürger sind) behandelt." Die Arbeitslosigkeit in den mehrheitlich von israelischen Arabern bewohnten Gebieten ist etwa doppelt so hoch wie in den jüdischen Ballungsräumen. Baraks Handelsminister Ran Cohen hatte einmal sogar zugegeben, dass nur ein halbes Prozent der Ausgaben seines Ministeriums Arabern zukommt, und nur vier seiner 540 Beschäftigten palästinensische Israelis sind. Zahlen wie diese erklären, warum die Mehrheit der nichtjüdischen Israelis sich weder mit der Integrations- noch mit der Autonomiefraktion identifiziert, sondern nur auf eine Besserung der Lage hofft. Diese "schweigende Mehrheit" hat sich laut Bishara nach den Ereignissen vom Oktober 2000 zu einem großen Teil politisiert und die beiden Flügel - Islamisten und Nationalisten - der Autonomiefraktion gestärkt.

Die nationalistisch-säkulare Partei von Azmi Bishara ist relativ neu und versteht sich als "dritter Weg" zwischen Islamisten und Assimilationisten. Bishara beschreibt die Situation der palästinensischen Israelis als sehr schwierig, sieht aber auch eine einzigartige Chance. "Dieser Gegensatz (zwischen Staatsangehörigkeit und nationaler Identität) sollte die Quelle einer Dialektik werden, die unser Bewusstsein zu einem sehr fortgeschrittenen Bewusstsein macht, einem sehr entwickelten Verständnis von nationaler Identität und Staatsangehörigkeit. Eine Synthese von arabischer Nationalität und Demokratie wäre das schönste Geschenk für die arabische Welt. Wir sollten diese doppelte Marginalisierung als eine doppelte Verantwortung sehen. Wir sind Palästinenser, und aus Israel: Umso aktiver sollten wir unsere nationale Identität und unsere Staatsangehörigkeit ausdrücken".

Extremistisch-religiöse Tendenzen im öffentlichen Diskurs sind für ihn nur äußerlich: "Die Solidarität (in den arabischen Ländern) war nationalistisch motiviert, nur die Symbole waren religiöser Natur." Die extremistisch-islamischen Bewegungen seien die einzigen mit einer Organisation im Rücken. Bishara sieht "eine Krise der säkularen, demokratischen und sozialistischen Bewegungen in der arabischen Welt". Auch sei es "viel einfacher, die Araber als irrationelle Leute darzustellen, die nur religiöser Symbole wegen kämpfen. Das passt zu ihrem Bild in den westlichen Medien".

Der israelische Generalstaatsanwalt Elyakim Rubinstein sieht das nicht so: Für ihn hat Bishara den Akzent zu sehr auf die arabische Identität gelegt. Rubinstein hat der Knesset vorgeschlagen, die parlamentarische Immunität Bisharas unter anderem wegen dessen Äußerungen in Bezug auf den Kampf der Hisbollah gegen die israelische Besatzung und die Intifada aufzuheben. Die Volksvertreter haben mit Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Immunität gestimmt, worüber sich Bishara nicht besonder betrübt zeigt: Er will mit seinem Prozess "Israel dazu bringen, sein Gesicht zu zeigen" und Kämpfer der Résistance vorladen, die "über den Unterschied zwischen Widerstand und Terrorismus" aussagen sollen. Bishara: "Die Israelis können mich nicht schlucken." Ari Shavit in Haaretz über den Fehler, Bishara einen Prozess aufzuhalsen: "Mit seinen eigenen Händen wird er (der israelische Staat) Bishara in etwas verwandeln, was er nicht ist: in einen arabischen Martin Luther King."

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