Die Korruption als System

Werbung
Werbung
Werbung

Warum ist die Korruption in Südosteuropa so flächendeckend verbreitet? Die "Frankfurter Allgemeine“ sieht des Übels Wurzel im kommunistischen Erbe.

Ob Rumänien und Bulgarien der Zugang zur Schengen-Zone verwehrt wird, ob sich die Beitrittsverhandlungen der EU mit Kroatien verzögern oder ob in Tirana bei einer Kundgebung gegen die Regierung drei Demonstranten erschossen werden - regelmäßig ist von Korruption die Rede und davon, wie sie zu bekämpfen sei. In nahezu jedem Gespräch über die postkommunistischen Länder, insbesondere jene in Südosteuropa, fällt dieses Wort. Es ist zu einer Chiffre für alles geworden, was der Modernisierung der Wirtschaft, der Durchsetzung des Rechtsstaats und der EU-Annäherung entgegensteht.

Das Unbehagen, das die politischen Eliten dieser Länder darüber empfinden, ist groß. Es gibt aber auch nicht wenige in den "alten“ EU-Staaten, die gegen die Verabsolutierung dieses Vorwurfs Einwände erheben: Ist Gier nicht eine menschliche Konstante? Gibt es Korruption nicht überall? Hat man es in Köln, Saloniki und Palermo etwa nicht mit geschmiertem Filz zu tun? Und ist schließlich die strukturelle, im Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen angelegte Privilegierung einzelner Wählerschichten nicht auch eine milde Form der Korruption?

Berechtigte Einwände

Die Einwände sind berechtigt, aber sie übersehen einen wichtigen Unterschied zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten der EU. In konsolidierten Rechtsstaaten ist Korruption ein individueller Verstoß gegen eine allgemein anerkannte und respektierte Norm. Wo Recht herrscht, kann sie eingedämmt werden, wenn Politiker, Richter, Beamte und Manager staatlicher Unternehmen kontrolliert werden und den Umfang der öffentlichen Güter durch Privatisierungen verringert.

Die postkommunistischen Länder Südosteuropas leiden unter der Erbschaft des Kommunismus ganz besonders, weil der Systemwechsel später begann und weniger konsequent vollzogen wurde. Die nationalkommunistischen Regime der Region - das rumänische, das albanische und besonders das jugoslawische - sind in einer Orgie der Gewalt zugrunde gegangen, in der sich die alten Machtstrukturen umschichteten und neu etikettierten, ohne dass ein Elitenwechsel größeren Ausmaßes stattgefunden hätte.

Alte Machtgefüge

Noch immer ist der Status im Machtgefüge und der darauf beruhende Einfluss bestimmend. Die Parteien nennen sich sozialdemokratisch, liberal, national oder konservativ, unterziehen sich aber nicht einmal der Mühe programmatischer Festlegungen. Nach wie vor entscheidet die Nähe zu den politischen Machtzentren über Karrieren, über die Zuteilung öffentlicher Aufträge oder über den Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung.

Die politische Auseinandersetzung wiederum reduziert sich auf den Kampf um Macht und Einfluss. Die junge Generation, die nicht mehr unter dem kommunistischen Regime aufgewachsen ist, passt sich an. Natürlich gibt es in allen Ländern und in allen Altersgruppen viele anständige Leute, unter ihnen Politiker, Richter, Beamte und Journalisten, die dagegen ankämpfen und dabei oft ein hohes Risiko eingehen. Wirklich durchgesetzt haben sie sich bisher noch in keinem südosteuropäischen Land.

Die Zivilgesellschaft schwächelt, die Dissidenten und Intellektuellen haben die politische Bühne verlassen. Die Kluft zwischen den Parteien und den Bürgern, die unter Korruption, Machtmissbrauch und Rechtsunsicherheit leiden, wird immer größer. Von der Geduld der Bürger hängt es ab, wie lange es dauern wird, bis das erste südosteuropäische Land auf den tunesischen Weg einschwenkt.

* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Februar 2011

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung