Die Krise und das Ende teurer Illusionen

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Die Wahlen in Griechenland mögen den Reform-und Sparkurs von Alexis Tsipras bestätigt haben. Aber das klärt wenig für die Zukunft des Landes. Die Regierung Tsipras II steht jedenfalls vor noch schwereren Problemen als die Regierung Tsipras I.

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Die Wahlen in Griechenland mögen den Reform-und Sparkurs von Alexis Tsipras bestätigt haben. Aber das klärt wenig für die Zukunft des Landes. Die Regierung Tsipras II steht jedenfalls vor noch schwereren Problemen als die Regierung Tsipras I.

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Der Jubel und die Freude sind beides großartige Gefühle, nur manchmal verkommt die Freude zur Pose, und der Jubel der emporgestreckten Hände wird ersetzt durch den scheinbaren Jubel der emporgestreckten Mikrophone. So muss man sich Athen vorstellen am Abend des Sonntag, als Alexis Tsipras im Amt des griechischen Premierministers bestätigt wurde. Seinen eigenen Jubel würzte er denn auch gleich mit der Ankündigung, dass Griechenland schwere Zeiten bevorstünden. Und die Journalisten hinter den Mikrophonen, die man auch auf dem Bild rechts erkennen kann, wollten eigentlich nur eines wissen: "Wie also nun weiter, großer Mann?"

Darauf wird es auch bei der sechsten Regierung und nach den vierten Wahlen seit Ausbruch der Krise keine Antwort geben. Der neue Mann, den die liberale Tageszeitung Ta Nea mit der Schlagzeile "Die Tsipras-Epoche" begrüßte, wirkt ökonomisch und politisch wie der märchenhafte Kaiser, der ganz ohne Kleider, aber stolz unter dem Baldachin einherschreitet. Das klingt etwas drastisch. Aber Griechenlands Zukunft sieht nicht viel besser aus.

Bescheidene Gewinnbilanz

Das einzige, was diese Wahlen dem Regierungschef gebracht hat, war eine Bereinigung in den eigenen Reihen. Jene 25 Abgeordneten, die Tsipras an seinen Wahlversprechen vom Jänner gemessen hatten und ihn wegen seiner Zustimmung zur Austeritätspolitik stürzen wollten, sind nun aus der politischen Arena gefegt.

Die Partei ist von einer linksradikalen Utopistenfraktion in Richtung Mitte gerückt und in Richtung einer Rationalität, die die Krise verwalten, nicht aber gestalten oder gar beenden wird.

Zumindest die Zeit der Illusionen ist damit vorbei: Dass eine Regierung unter der Drohung, aus dem Euro auszuscheiden, alle anderen Mitglieder der Währungsgemeinschaft erpressen kann. Dass ein spieltheoretisches Experiment glücken kann, das mit der Angst der anderen spekuliert und die Angst in den eigenen Reihen vor dem Staatsbankrott wegleugnet. Dass mit Ressentiments vom hässlichen Deutschen in Europa Politik gemacht werden kann. Dass die Politik daraus besteht, erbauliche Interviews zu geben und binnen kürzester Zeit einen hohen Grad an Bekanntheit - und Verschrienheit - zu erreichen.

Alexis Tsipras soll sich also zum Realisten gewandelt haben, wenn man Kommentatoren von Le Figaro, bis zur FAZ vertraut. Die Frage ist nur: Was nutzt das alles Griechenland? Der Weg zu dieser Einsicht in den politischen Realismo hat dem Land über 12 Milliarden Euro gekostet. Soviel ist wegen der Verzögerungen der Staatssanierung und der neuerlichen Abflüsse von Investitionen und Sparvermögen im Zuge des Streits um Ausstieg oder Verbleib in der Eurozone verloren gegangen.

Neue Zeiten, alte Probleme

Der Staatsbankrott ist aber auch durch die Einigung auf das 86 Milliarden-Hilfsprogramm nicht abgewendet. Im Gegenteil. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der griechische Staat ein Einnahmenminus von vier Milliarden Euro allein im laufenden Budgetjahr verbuchen muss. Von den Führungsetagen der EZB Frankfurt bis zu den Büros der IWF-Chefin Christine Lagarde mehren sich wieder die Sorgen, die Griechen wären nicht in der Lage, jene 120 Forderungen der Gläubiger umzusetzen, zu denen sie sich in Brüssel verpflichtet haben. Und selbst wenn die Maßnahmen im Parlament unter der Regierung Tsipras II beschlossen werden, besteht keine Gewähr, dass die Pläne dann auch umgesetzt werden.

Das auch deshalb, weil viele dieser Forderungen nach wie vor ökonomisch fragwürdig sind. Das beginnt bei Details, wie etwa der Abschaffung der Förderung für griechische Bauern. Der einzige Sektor außerhalb des Fremdenverkehrs, der noch halbwegs funktioniert und Exporterlöse lukriert, ist die Landwirtschaft. Griechisches Obst und Gemüse, Wein wurden mit staatlicher Förderung in den vergangenen Jahren sukzessive auf nachhaltig biologische Produktionsweise umgestellt. Sie haben dadurch stark an Konkurrenzfähigkeit gewonnen. Eine Kürzung dieser Programme, so die griechischen Bauernvertreter, würde eine der wenigen positiven Entwicklungen gefährden.

Politik der allerletzten Chance

Ein noch größeres Risiko steckt in den Kalkulationen der Gläubiger. Der viel diskutierte Vermögensfonds, der Staatsgüter erfolgreich privatisieren soll, verliert immer mehr von seinem Glanz. Jene 50 Milliarden Euro, die er aus dem Verkauf von Infrastruktur, wie etwa Teilen des Hafens von Piräus erlösen soll, sind illusorisch.

Und auch die Frage, wie man die griechische Wirtschaft auf einen produktiven Pfad der Wertschöpfung zurückbringen soll, ist unbeantwortet. Allein durch die Sparanstrengungen bei Beamten und Pensionen wird es nicht funktionieren. Gerüchte, wonach der Schuldendienst gedrosselt werden soll, damit Athen mehr Spielraum für die Ankurbelung der Realwirtschaft habe, sind eher der Ausdruck der Verzweiflung der Gläubiger als eine echte Möglichkeit.

Tatsächlich ginge es bei der neuen Regierung auch darum, dass sich die Politik und die Art der Machtpolitik in Griechenland ändern, damit politische Reformen und Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaftsstruktur greifen können. Aber danach sieht es nicht aus. Tsipras hatte schon im Jänner versprochen, die Versorgung von Parteigünstlingen mit Posten und Ämtern abzustellen und das Korruptions-Paradigma über den Haufen zu werfen.

Doch geschehen ist in dieser Hinsicht nur, dass die Vertreter alter Cliquen entlassen und durch Syriza-Günstlinge ersetzt wurden. Es hat sich also tatsächlich wenig verändert, sieht man einmal davon ab, dass das Angstthema Migration das Angstthema Griechenland ersetzt hat. Kaum etwas in Europa und kaum etwas in Athen. Nicht verändert hat sich aber auch, dass es nicht ausreichen wird, nichts zu verändern, sondern dass die Nichtveränderung die teuerste aller Varianten ist. Sie führt zumindest finanziell und politisch zum Märchen mit dem Kaiser zurück. Zur vollkommenen Nacktheit.

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