Die Menschen fordern Teilhabe

Werbung
Werbung
Werbung

Niemand wird in Nigeria für die Umweltschäden bei der Ölförderung belangt, klagt Obiora Ike: Und man müsste die Konzerne drängen, die Menschen an den Schätzen teilhaben zu lassen.

Nigeria wählt - nicht nur ein logistisches Problem im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas: eine fragile Demokratie, die durch ethnisch-religiöse Konflikte ebenso bedroht ist wie durch die Ressourcenausbeutung in den Ölfeldern, so Obiora Ike, Caritas-Direktor von Enugu im Süden des Landes.

Die Furche: Mehr als 122.000 Wahllokale stehen für die drei Wahldurchgänge zur Verfügung. Die Nigerianer haben letzten Samstag ein neues Parlament gewählt, eine Woche später küren sie den Präsidenten, dann die Gouverneure für die Bundesstaaten.

Obiora Ike: Der erste Wahltermin musste verschoben worden. Denn die Wahlzettel waren teilweise erst eine Stunde nach der Öffnung der Wahllokale da. Deshalb wurde die Wahl um eine Woche vertagt. Doch diese Wahl macht uns viel Hoffnung. Demokratie an sich ist ein Wert. Nigeria ist ein multikulturelles, multiethnisches, multireligiöses Land, in dem mehr als 250 Volksgruppen leben und unüberschaubare religiöse Vielfalt herrscht. Transparenz ist bei dieser Wahl ganz wichtig; die katholische Kirche ist stark eingebunden in die Begleitung dieser demokratischen Prozesse. Sie hat bei der Wahl auch den Status eines Beobachters, um einen geregelten Ablauf zu gewährleisten.

Die Furche: Nach Jahren der Militärdiktatur macht Nigeria einen Schritt in Richtung Demokratie. In Schulwesen, Gesundheitssystem, bei Kriminalität liegt vieles im Argen.

Ike: Wir haben hohe Erwartungen an den Ausgang der Wahl. Denn im Prinzip ist Nigeria ein friedliches Land. Niemand soll aufgrund der Lage in Zukunft ins Ausland fliehen müssen. Nigeria ist ein reiches Land, es hat so viele Ressourcen, so viel Öl. Diese sollte man zum Wohl des Volkes nutzen. Durch eine vernünftige Regierung ist das möglich, deshalb hoffen wir am 16. April auf eine Wiederwahl des jetzigen Präsidenten Goodluck Jonathan.

Die Furche: Die Stimmung im Land ist gespannt. Und Tausende Milizsoldaten sind bereit, wieder zu den Waffen zu greifen. Der Wahl in Nigeria wird überregionale Bedeutung zugesprochen.

Ike: Nigeria ist keine Bananenrepublik! Unser Land gilt als sogenannte "Ankerrepublik“, ähnlich wie Ägypten und Südafrika. Nigeria ist potent, hat Wirtschaftsstärke und Macht. Deshalb wird diese Wahl vom afrikanischen und weiter entfernten Ausland genau beobachtet. In Niger zum Beispiel wurde vor Kurzem gewählt. Der neue Präsident hat sein Amt bereits übernommen. Das war der Wille des Volkes, das Resultat einer demokratischen Wahl. In der Elfenbeinküste ist die Situation ganz anders. Wir sind aber zuversichtlich, dass unsere Wahl gut läuft.

Die Furche: Der Reichtum an Bodenschätzen und vor allem das Öl machen Nigeria besonders interessant.

Ike: Die nigerianischen Ölvorkommen sind in ausländischer Hand, in der Hand von riesigen Konzernen - Shell, Mobil, Total, Elf … Einige sprechen da von neuen Kolonialmächten oder sogar von neuen Besatzungsmächten. Wir wissen nicht einmal, wie viel genau täglich gefördert wird, wie viel Gewinn damit erzielt wird. Da müsste man im Ausland nachfragen. Denn das Geld ist in New York, in London, und auch Wien spielt eine Rolle, weil hier der Sitz der OPEC ist und hier die Preise ausgehandelt werden. Es gibt so viel Korruption im Bereich des Öls! Je mehr man schaut, desto weniger sieht man!

Die Furche: Ein weiterer Bereich, den Sie und andere Vertreter der katholischen Kirche Nigerias immer wieder anprangern, sind die immensen Umweltschäden, die durch die Ölförderungen verursacht werden.

Ike: Das ist ein Tabu. Die Umweltverseuchung in den Fördergebieten, vor allem im Nigerdelta ist eine Katastrophe. So viele sind Farmer, sind Fischer, Dorfbewohner! Wie sollen sie ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, wenn die Ölfelder alles verseucht haben? Der Präsident des Landes selbst kommt aus dem Hauptölfördergebiet. Die Bewohner fordern Gerechtigkeit. Seit Beginn der Förderungen im Jahr 1958 durch BP wurde niemand zur Verantwortung gezogen! Man müsste die Umwelt sanieren und die multinationalen Konzerne dazu drängen, die Menschen an diesen Schätzen teilhaben zu lassen. Die katholische Bischofskonferenz Nigerias hat vor Kurzem einen Kongress zum Thema "Oil and Gas Business - Statement of the Catholic Church“ abgehalten. Wir fordern eine Verbesserung der Infrastruktur, den Bau von Schulen und Krankenhäusern, damit auch die Menschen in den Fördergebieten von den riesigen Gewinnen der Konzerne profitieren. Kurz: Wir fordern Gerechtigkeit.

Die Furche: Neuerdings zeigen auch China und Indien starkes Interesse an Nigeria und seinen Bodenschätzen.

Ike: Wir sind überrascht, dass unsere Partner aus Europa, mit denen wir seit 500 Jahren in Kontakt sind und die uns ebenso lang schikaniert haben, sich so gar nicht dagegen wehren, dass Indien und China ihnen jetzt diese Geschäfte streitig machen. Es muss doch interessant sein für die Europäer, das zu erhalten! Den Zugang zu diesen immensen Bodenschätzen und Reichtümern! Ein weiteres Thema ist, dass aus Katastrophen wie in Hiroshima und jetzt in Fukushima nicht gelernt wird. Wir müssen nachhaltig wirtschaften, sorgsam mit den Ressourcen umgehen, die Schöpfung bewahren. Das war und ist die Position der katholischen Kirche!

Die Furche: Wegen des Öls kommt es auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Ike: Die multinationalen Konzerne haben ihre Pflicht zur "Corporate Social Responsibility“, also ihre unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft, total vernachlässigt. Deshalb haben einige Volksgruppen angefangen, sich zu verteidigen. Aber die Waffen kommen aus dem Ausland, nicht aus Nigeria. Die Rebellen bekommen Waffen von den Israelis, von den Griechen, den Arabern und neuerdings auch von den Chinesen und Russen. So bewaffnet bohren sie die Pipelines an, stehlen Öl und verkaufen es, um mit dem Erlös wieder Waffen zu kaufen. Warum machen sie das? Weil sie ausgeschlossen wurden. 2010 wurde eine Amnestie erlassen, damit alle ihre Waffen niederlegen, mit dem Ziel, ein neues Land aufzubauen. Die Leute sind für einen Neuanfang bereit!

Die Furche: In den vergangenen Jahren wurden aber auch 10.000 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen getötet. Die Christen sind nicht zuletzt im muslimisch geprägten Norden eine bedrohte Minderheit. Dort wird auch die Scharia im Familien- wie im Strafrecht angewandt.

Ike: Religion wird in Nigeria immer wieder auch für politische Zwecke instrumentalisiert. Vor allem in den zentralnigerianischen Bundesstaaten gibt es islamistische Splittergruppen. Aber alle Attacken gegen Andersgläubige sind gegen die Verfassung! Die Religionsfreiheit ist in unserer Verfassung verankert und garantiert. Niemand darf im Namen Gottes getötet werden. Keiner kann das verantworten! Wir tun viel im interreligiösen Bereich. Es sind gemeinsame Projekte - und kleine Erfolge.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung