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Die Menschen sollen nicht leiden müssen

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Erneut aufgeflammt ist die Diskussion um aktive Sterbehilfe in Österreich.

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Erneut aufgeflammt ist die Diskussion um aktive Sterbehilfe in Österreich.

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Wilfried Daim, Wiener Tiefenpsychologe, sieht in manchen Argumenten für aktive Sterbehilfe durchaus eine „Ergänzung“ der lebensfeindlichen Einstellung, wie sie auch bei der Abtreibungsdebatte zum Ausdruck komme. Oft schwinge in der Diskussion die Auffassung mit, alte und kranke Menschen dürften dem Staat, der mittleren Generation nicht zur Last fallen. „Das stellt Leben direkt in Frage, womit ein Pendant zur Abtreibung gegeben ist. Die alten Warnungen der Kirche in dieser Angelegenheit hatten ihre Berechtigung“, so Daim zur FL’RCHE.

Kritisiert wird von Daim die große Zurückhaltung österreichischer Ärzte bei der Anwendung von schmerzstillenden Mitteln für Sterbende. Natürlich, so der Tiefenpsychologe, handle es sich dabei um eine „ambivalente Sache“: schmerzstillende Mittel verkürzten das Leben, das verursachten aber große Schmerzen auch, da damit verbundene Krämpfe und enorme psychische Probleme das Leben reduzierten. Deswegen plädiert Daim für die Verabreichung auch starker Mittel für Leidende, um diese schmerzfrei zu halten und ihnen zu ermöglichen, mit der Welt noch zu kommunizieren. Die Gefahr eines Süchtigwerdens durch Morphine bestehe bei Todkranken sowieso nicht.

Daim fordert also einen großzügigeren Einsatz von Schmerzmitteln. Die Kirche sollte aber nicht über jedes Medikament ein Urteil abgeben, sondern dies dem Gewissen des Arztes überlassen, der schmerzstillende Mittel aber unter den Prinzipien Lebensverlängerung, Schmerzverringerung und Ermöglichung des Kontaktes zur Mitwelt anwenden müßte.

Auch Werner Wanschura vom Verein „Menschenwürde bis zuletzt“ — einer österreichweiten Lobby für die Sterbenden, ihre Verwandten und Freunde - kritisiert die in Österreich noch zu geringe Bereitschaft von Ärzten, schmerzstillende Mittel einzusetzen. Die Hauptangst der Österreicher vor dem Sterben, so Wanschura, sei es, riesige Schmerzen erleiden zu müssen und noch dazu einsam zu sein. „Aber dagegen kann man etwas machen“, so Wanschura, der auf „Schmerzfrei- Programme“ der Weltgesundheitsorganisation WHO verweist, die allerdings in manchen Entwicklungslän

dern effizienter angewendet würden als in Österreich. Der gelernte Wissenschaftsjournalist verweist auf die Tatsache, daß 60 Prozent der Österreicher, die während eines Jahres sterben, das sind 50.000 Menschen, in einem Spital sterben. Dabei wünschten 85 Prozent der Österreicher zu Hause zu sterben. Und hier müsse geholfen werden.

In diesem Zusammenhang kritisiert Wanschura das geringe Interesse des Gesundheitsministeriums gegenüber den Anliegen der Sterbehilfe, die keineswegs in aktiver Tötung bestehen dürfe. Für Ärzte und das Pflegepersonal handle es sich nicht selten um ein Aha-Erlebnis, wenn sie merkten, daß die von Men-schen geschaffenen un

menschlichen Strukturen in Spitälern auch verändert werden können, um Sterbenden besser zu helfen. Aktive Sterbehilfe sei mit Beihilfe zum Selbstmord verbunden und daher mit Recht in Österreich gesetzlich verboten. Der Dach verband „Menschenwürde bis zuletzt“ wünscht keinerlei Gesetzesänderung oder -durchlöcherung.

HOLLAND IST ANDERS

Hinweise auf die niederländische Gesetzgebung und Ster- behilfepraxis läßt Wanschura so nicht gelten: „Holland hat diesbezüglich eine andere Kultur. Daher kann man das niederländische Modell nicht einfach übernehmen und auf Österreich übertragen. In Holland gilt Autonomie des einzelnen als überragender Wert. Und so gesehen ist aktive Sterbehilfe, wie in dem Fernsehfilm vergangene Woche gezeigt, ein letztes autonomes Aufbäumen des Menschen. Die Österreicher sind da ganz anders. Aber diskutiert werden sollte darüber.“

Nur in ganz wenigen Einzelfällen, so Wanschura, sollte die Tür für aktive Sterbehilfe offengelassen werden Aber diese ganz seltenen Fälle würden trotzdem keine globale Regelung im Sinne einer allgemeinen Erlaubnis aktiver Sterbehilfe rechtfertigen, betont Wanschura.

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