Die Menschenrechts-Brille

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Keine internationale Organisation greift so sehr in das Leben der Menschen ein wie die EU. Die neue EU-Grundrechtsagentur soll diese Eingriffe überwachen - von Wien aus.

An diesem 15. Februar schlägt für Österreich eine besondere Europäische Stunde: der Rat der EU wird nach dreijährigen Verhandlungen die Grundrechtsagentur der Europäischen Union offiziell aus der Taufe heben. Sitz der Einrichtung: Wien. Die neue Agentur ersetzt die beträchtlich kleinere Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC).

1. Werte:

Die Agentur im Konsens

Aufgabe der neuen und mittelfristig (2013) bis maximal 100 Köpfe starken EU-Agentur ist es, den Stand der Menschenrechte in der EU-Politik zu stärken. Auf den ersten Blick ein harmonieschwangeres Unterfangen. Schließlich hat uns die neueste Eurobarometer-Umfrage bestätigt, dass die Menschenrechte in allen EU-Mitgliedstaaten zu den drei am häufigsten genannten persönlichen Werten der Europäer zählen. Darüber hinaus führen die Menschenrechte die Hitliste jener Werte an, die in den Augen der Europäer, die EU am besten repräsentieren.

Diese Stimmungslage wird von der Rechtslage bestätigt. Der Respekt der Menschenrechte genießt - im Gegensatz zu anderen so genannten Europäischen "Werten" wie das Christentum oder das griechische Kulturerbe - eine juristisch ausdifferenzierte Stellung in der EU. Freilich mag diese juristische Nähe nicht ganz uneigennützig sein. Schließlich hat sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg seit den 1960er Jahren durch die Entwicklung eines zersplitterten aber dennoch überzeugenden Grundrechtskataloges von den nationalen Verfassungsgerichten emanzipieren können.

Und auf politischer Ebene mag die Ausrufung einer "Europäischen Menschenrechtskultur" der Europäischen Union helfen, den zunehmenden Vertrauensverlust bei den EU-Bürgern zu bremsen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die EU-Mitgliedsstaaten an einem EU-Engagement im Bereich der Menschenrechte nichts auszusetzen haben.

2. Zuständigkeit:

Die Agentur im Dissens

Die Entstehungsgeschichte der Agentur zeigt freilich, dass der Teufel im Detail liegt. Von Anbeginn war lediglich klar, dass sich die Grundrechtsagentur an den schwächsten Beispielen vergleichbarer Institutionen auf nationaler Ebene orientieren soll. Sie wird sich keiner individuellen Rechtsverletzungen annehmen können und keinerlei gerichtsartige Kompetenzen ausüben.

Dementsprechend wird sie nicht direkter Ansprechpartner der einzelnen EU-Bürger, sondern in erster Linie eine Scharnierstelle für Nichtregierungsorganisationen sein. Sie hat eine rein unterstützende Funktion und fällt dabei keine rechtsverbindliche Entscheidung. Ihre Aufgabe besteht darin, den Mitgliedstaaten und der Europäische Union im Zusammenhang mit der EU-Politik mit entsprechendem Know-how beizustehen. Dieser seichten vertikalen Eingriffstiefe der Wiener Agentur steht allerdings ein äußerst breiter horizontaler Zuständigkeitsbereich zur Seite: Die Agentur ist für die gesamte Palette Europäischer Menschenrechte zuständig. Dementsprechend heikel war somit auch die Frage, ob sich die Agentur um diese Rechte in allen Politikbereichen der EU kümmern darf.

An der Frage, ob die Agentur auch im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (der so genannten dritten Säule) beratend tätig werden darf, drohten die Verhandlungen am Ende der österreichischen Präsidentschaft gar zu scheitern. So sensibel dieser Bereich für die Menschenrechte ist (Stichwort: Terrorbekämpfung), so erbittert war auch der Widerstand einer beträchtlichen Anzahl von Mitgliedstaaten der Agentur hier eine Rolle zuzugestehen. Erst am Ende der finnischen Präsidentschaft kam es zum "agreement to disagree": vor Ende 2009 soll wieder über diese Frage diskutiert werden. Nichtsdestotrotz wird es aber bereits von Anbeginn an - die Agentur wird voraussichtlich Anfang März eröffnet - möglich sein, dass einzelne Mitgliedstaaten wie auch Organe der EU sich freiwillig in der dritten Säule von der Agentur beraten lassen. Bis auf weiteres kann die Agentur in diesem essenziellen Bereich nicht von sich aus initiativ werden.

Umstritten war auch die territoriale Zuständigkeit der Agentur. Der Kompromiss besteht nun darin, dass die Agentur in der Regel nur für EU-Gebiet zuständig ist. Ausnahmsweise kann sie sich auch mit den EU-Kandidatenstaaten (Kroatien, Mazedonien, Türkei) und Staaten, die ein Stabilisierungs-und Assozierungsabkommen abgeschlossen haben (z.B. Albanien) beschäftigen. Wesentlich ist jedoch, dass die Agentur in einem anderen Punkt vor einer weit gehenden Schwächung bewahrt wurde: Im ersten Entwurf wurde der Agentur versagt, sich im Rahmen des Europäischen Gesetzgebungsprozesses zur Grundrechtskompatibiliät von Entwürfen wie etwa EU-Verordnungsvorschlägen zu äußern. Diese Einschränkung hätte die Sinnhaftigkeit der neuen Einrichtung wesentlich geschmälert. Nun wird es aber der Agentur sehr wohl - allerdings nur auf Antrag einer der EU-Institutionen - möglich sein, entsprechende Gutachten zu erstellen.

3. Strukturen: die Agentur im Kräftegleichgewicht

Wie die meisten der über zwei Dutzend anderen EU-Agenturen verfügt auch die Wiener Agentur über einen geschäftsführenden Direktor, einen leitenden Verwaltungsrat und einen von diesem bestellten Exekutivausschuss. Im Verwaltungsrat sitzen 27 von den Mitgliedstaaten ernannte, aber dennoch unabhängige Personen, ein Vertreter des Europarates und zwei Vertreter der Kommission.

Die Verhandlungen zur Gründungsverordnung - welche quasi die "Agenturverfassung" darstellt - haben aber einige neue Entwicklungen gebracht. So erhält die Agentur nun zusätzlich einen elfköpfigen Wissenschaftlichen Beirat. Dieser soll der institutionelle Garant für die wissenschaftliche Qualität der Arbeit der Agentur sein und die Arbeit dementsprechend begleiten. Auch die interinstitutionellen Kräfteverhältnisse haben sich leicht verschoben. So ist es dem Rat und dem Parlament gelungen, ihre Einflusszonen auszudehnen. Dies zeigt sich bei der Ernennung und der Kontrolle des Direktors, bei der Annahme des Mehrjahresprogrammes und bei der Zusammensetzung des Exekutivausschusses. Im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag ist ebenso neu, dass die Kooperation der Agentur mit anderen internationalen Einrichtungen weiter verstärkt wurde. Auch die Beteiligungsrechte des Vertreters des Europarates in den Strukturen der Agentur wurden ausgebaut. Den Mitgliedstaaten gegenüber wurde die Figur des Nationalen Liasion Officers geschaffen. Jeder Mitgliedstaat ernennt nun eine solche Kontaktperson, über welche die Agentur institutionell mit den Staaten vernetzt ist.

4. Mehrwert:

Die Agentur in der Praxis

"With all the best will of the world I can't understand what it is going to do" - so die kolportierten Anfangszweifel des Generalsekretärs des Europarates angesichts der Idee einer EU-Grundrechtsagentur. Es stimmt, dass das Vertragsgitter menschenrechtlicher Kontrollsysteme, welches über Europas Staaten liegt, bereits dicht gestrickt ist. Trotzdem hat die Agentur klaren Sinn und entsprechendes Potenzial. Sie soll vernetzen und nicht verdoppeln. Sie soll nicht klassische Staatenberichte verfassen, sondern sie hat die Aufgabe, sich auf die Arbeit der Union selbst zu konzentrieren. Noch nie hat eine internationale Organisation so weit und so tief in das Leben der Menschen eingegriffen wie die EU. Die komplexe Summe dieser Eingriffe muss menschenrechtlich betrachtet und begleitet werden! Der Agentur hat hierzu drei Instrumente:

• die Sammlung, der Vergleich und die Analyse von Menschenrechtsinformationen;

• das Erstellen von Berichten und Gutachten und

• die Entwicklung einer Kommunikationsstrategie im Bereich des Europäischen Menschenrechtsschutzes, die insbesondere die Zivilgesellschaft miteinbezieht.

Da die Agentur für Grundrechte im breitesten Sinne zuständig ist, ist es wichtig, dass der Rat der EU hier bald sinnvolle Schwerpunkte setzt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Arbeit der Agentur in einem Alles und Nichts versinkt. Als zwingende Aufgabe ist der Schwerpunkt der bisherigen Beobachtungsstelle, also der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorgesehen. Dieser wird nun aber weiter, im Sinne eines umfassenden Schutzes von Minderheiten zu verstehen sein. Wichtig ist auch, dass der Bereich der dritten Säule nicht vorschnell verloren gegeben wird. Es gilt sich darum zu bemühen, dass bald eine Kultur des institutionellen Vertrauens entsteht, die die Einbeziehung der Agentur auch in diesem Bereich als selbstverständlich erscheinen lässt.

Der Autor ist Senior Researcher am Institut für Minderheitenrechte der Europäischen Akademie Bozen.

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