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Die neutrale Armee

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Bern, im März

Im Zeitalter der gewaltigen Rüstungsnotwendigkeit steht auch in der Schweiz die Armee immer wieder im Mittelpunkt politischer und budgetärer Erwägungen. Während der beiden furchtbaren Weltkriege dieses Jahrhunderts hatte die — auf dem Milizsystem aufgebaute — Schweizer Wehrmacht, die so gut wie das ganze wehrfähige Mannsvolk bis zum 60. Lebensjahr und die Frauen im freiwilligen Hilfsdienst umfaßt, glücklicherweise keine Gelegenheit gehabt, ihr Können zu beweisen. Doch war ihre Rolle als potentielle Kraft unbestritten, und militärische Fachleute der westlichen Welt haben sich schon mehrmals über die hervorragende, der Lage des kleinen Landes und seinem Gelände entsprechende Ausbildung dieser prinzipiell nur für die Verteidigung der Neutralität bestimmten Armee ausgesprochen.

Die Liebe des Schweizers zu seiner Volksarmee ist unbestritten. Ebenso unbestritten aber ist auch die negative Reaktion des normalen Staatsbürgers auf hohe Steuern. Da die Landesverteidigungsausgaben in der Gegenwart mit ihren zahlreichen neuen Waffen weiß Gott nirgendwo ein Spaß sind, hat das schweizerische Militärdepartement — so heißt in Bern das Kriegsministerium — sein Budget von einer Kommission für die Ueberprüfung der militärischen Aufwendungen kontrollieren lassen. Die Kommission hat nun auf Grund ihrer Arbeit gewisse Vorschläge gemacht, um das Landesverteidigungsbudget der Schweiz um etwas über 40 Millionen Franken im Jahr zu senken — ohne daß die potentielle Verteidigungsfähigkeit des Landes darunter leide.

Der Bericht ist ein demokratisches Beweisstück ersten Ranges... und er ist vom Schweizer Bundesrat (der Regierung) der Oeffentlich-keit übergeben worden, um es jedem einzelnen im Volke, dem die Armee Herzenssache ist, zu ermöglichen, über die Heeresfrage und über das Pro und Kontra von Reformen zu Einsparungszwecken aufs genaueste informiert zu sein. Die gesamte Landesverteidigungskonzeption der

Schweiz, die in der Truppenordnung von 1951 festgelegt worden ist, wurde von der Kommission gebilligt. Die Kommission erklärt, man müsse an der fortschreitenden Modernisierung der Bewaffnung und der militärischen Anlagen festhalten, wenn man einem eventuellen Gegner gewachsen sein wolle: daher wäre die Herabsetzung der Bestände das einzige Mittel, um Ausgaben großen Ausmaßes zu verhindern. Dem steht aber das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht im Sinne der schweizerischen Bundesverfassung entgegen. Diesen staatspolitischen Grundsatz dürfe man nicht beeinträchtigen. So kann nur dadurch eine gewisse kleine Herabsetzung erzielt werden, daß bei der Rekrutierung verschärfte und verfeinerte Untersuchungsmethoden angewandt werden, die eine strengere Auslese ermöglichen. Eine allfällige Herabsetzung der Militärdienstpflicht vom 60. auf das 48. Altersjahr ist von der Kommission abgelehnt worden: der kleinen Einsparung wäre in diesem Falle die Notwendigkeit einer viel teureren Neuorganisation der Armee entgegengestanden, weil die Feldarmee die jetzt vom Landsturm zu erfüllenden Aufgaben hätte übernehmen müssen. In der Frage der Abschaffung oder Beibehaltung der Kavallerie führt der Kommissionsbericht aus, die Kavallerie könne im stark durchschnittenen Gelände der Schweiz für Nahaufklärung, Verbindung zwischen Infanteriekörpern, Flankensicherung im unwegsamen Gelände, Uebcrfallaktionen und Verzögerungskämpfe wertvoll sein. Schafft man sie ab, so verschwindet eine unter Umständen wichtige Reserve von 4000 bis 5000 Pferden. Diskutiert wurde ferner der Bestand der Luftschutztruppen. Die Schweiz hat 136 Luftschutzkompanien; ein Vorschlag, sie auf 80 herabzusetzen, wurde abgelehnt. Dagegen wurde angeregt, das bis jetzt nur zur Hälfte vorhandene Korpsmaterial nicht vor Ablauf von fünf Jahren zu ergänzen. Eine Ersparungsmöglichkeit wurde bei der Fortlassung einzelner Kurse des Territorialdienstes gefunden.

Die Kommission hat besonders unterstrichen, daß für die Kriegstüchtigkeit der Armee vor allem die Ausbildung gepflegt werden müsse. Ein Vorschlag auf allgemeine Kürzung der Rekrutenschulen wurde demgemäß abgelehnt; ebenso ein zweiter Vorschlag auf Kürzung von 8 bis 14 Tagen bei den Sanitätern, den Verpflegungstruppen und den Truppen des Luftschutzes. Nur die Rekrutenschule der Kavallerie ließ sich von 132 auf 118 Tage kürzen, weil sich die Kavallerie gegenwärtig nur noch aus Menschen zusammensetzt, die an den Umgang mit den Pferden bereits von Haus aus gewöhnt sind. Abgelehnt wurde ferner ein Vorschlag auf Einführung eines zweijährigen Turnus bei den Wiederholungskursen, vor allem deshalb, weil die Hauptleute während nur zweier oder dreier Wiederholungskurse nicht mehr Gelegenheit hätten, sich in der Truppenführung zu schulen und ihre Leute genügend kennenzulernen.

Sehr interessant waren die Argumente von gewissen Seiten gegen die großen Manöverübungen: es wurde auf den gewaltigen Verschleiß an Material und auf die fragliche Bedeutung solcher Uebungen hingewiesen. Die Fachleute innerhalb der Kommission entgegnen jedoch, daß die Schulung, wie man der Schwierigkeiten im Ernstfall Herr werden könnte, nur in kriegsähnlichen Uebungen zu erreichen sei. Die Improvisationskunst, die Anpassung an plötzlich auftretende neue Lagen lasse sich nicht in der Theorie erwerben. Die Truppe werde durch die großen Manöverübungen an rasches Handeln gewöhnt.

Zur Frage der Unterhaltung einer Flugwaffe heißt es im Bericht der Kommission: „Im modernen Krieg ist die Luftwaffe für eine Armee, die sich auch nur mit einigen Erfolgsaussichten gegen einen Gegner behaupten will, ein unentbehrliches Instrument. Auf die Luftwaffe verzichten, hieße für uns, praktisch dem Gegner die volle Handlungsfreiheit einräumen, ohne ihn frühzeitig in seiner Bewegungsfreiheit ernsthaft durch Flieger hindern zu können.“ Die schweizerische Armee verfügt über ohnehin viel weniger Flugzeuge als andere Armeen, und eine Verminderung der Kampfflugzeuge unter die Zahl von 400 ließe sich nicht verantworten.

Zur Frage der Motorisierung der Armee wurde seitens militärischer Fachleute erklärt, die Motorisierung habe in der Schweiz einen gewissen ,,oberen Plafond“ erreicht, so daß eine Periode der Ruhe eingeschaltet werden könne. Bei der Beschaffung von Kriegsmaterial durch die Kriegstechnische Abteilung beantragt die Kommission eine jährliche Einsparung von 10 Millionen Franken für die nächsten fünf bis sechs Jahre: sie werde möglich sein, wenn man die Kriegsreserven nicht in dem Umfange anlege, der ursprünglich vom Militärdepartement gefordert worden ist. Der Kommissionsbericht enthält kritische Anmerkungen über die Organisation und Koordination der militärischen. Bauten. Als Sofortmaßnahme sollen die „Kriegsbauten“ der Abteilung für Genie- und Festungswesen der Direktion der Eidgenössischen Bauten zugewiesen werden.

In ihrem Schlußwort äußert sich die Kommission dahingehend, daß die große Masse des Schweizer Volkes eine starke Landesverteidigung bejahe und darum begreifen werde, daß Einsparungen in großem Maße nicht erzielt werden können. Der größte Teil der Wehraufwendungen komme ja zudem in irgendeiner Form dem Handel, der Industrie, dem Gewerbe und der Landwirtschaft zugute. — Im Kommissionsbericht kommt einmal mehr der sachliche, praktische Sinn des Schweizers zum Ausdruck, der einerseits nicht mehr „berappen“ will, als er muß — aber anderseits im Hinblick auf die politische Lage Europas und der Welt recht gut weiß, w a s er muß.

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