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Die Neutralität ist nicht in Gefahr

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Wenn Außenminister Kirchschläger von der Eröffnung der XXV. Tagung der Generalversammlung in New York zurückgekehrt sein wird, müßte man wissen, ob Österreich während dieser Tagung seine Bemühungen um Aufnähme in den Sicherheitsrat fortsetzen wird oder nicht. Gleichgültig, welche Nachricht Kirchschläger mitbringt, die Frage der Mitgliedschaft Österreichs im Sicherheitsrat ist gestellt und sollte diskutiert werden, wenngleich Diskussionen und ihr Ergebnis an den österreichischen Obrigkeiten abprallen; es sei denn, die Wählermassen würden durch ein Thema bewegt werden.

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Wenn Außenminister Kirchschläger von der Eröffnung der XXV. Tagung der Generalversammlung in New York zurückgekehrt sein wird, müßte man wissen, ob Österreich während dieser Tagung seine Bemühungen um Aufnähme in den Sicherheitsrat fortsetzen wird oder nicht. Gleichgültig, welche Nachricht Kirchschläger mitbringt, die Frage der Mitgliedschaft Österreichs im Sicherheitsrat ist gestellt und sollte diskutiert werden, wenngleich Diskussionen und ihr Ergebnis an den österreichischen Obrigkeiten abprallen; es sei denn, die Wählermassen würden durch ein Thema bewegt werden.

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Vom Problem des Verhältnisses Österreichs zum Sicherheitsrat werden die Wählermassen aber nicht bewegt werden! Wohl aber werden die Staatskanzleien von dem Problem angezogen.

Das Zeugnis, das die ÖVP-orientierte Presse den Bemühungen der österreichischen Außenpolitik ausstellte, war negativ. Wenn man die Argumente zusammenfaßt, so reduzieren sie sich auf zwei: Der Beitritt Österreichs zum Sicherheitsrat sei neutralitätsrechtlich beziehungsweise politisch bedenklich. Das Procedere, durch das Österreich den Sitz im Sicherheitsrat anstrebt, sei politisch inopportun.

Ich muß meinen Erörterungen Gedanken voranstellen, die ich schon im Jahre 1957, allerdings wenig beachtet, geäußert habe: „Obgleich Österreich die immerwährende Neutralität deklariert hat — also nach dem Muster der Schweiz vorgehen wiU —, ist Österreich der UNO beigetreten. Es ist begreifbar, wenn daran die Frage geknüpft wird, ob Österreich als immerwährend neutraler Staat der UNO beitreten darf, ohne durch diesen Beitritt sein.? selbstgewählte Eigenschaft als immerwährend neutraler Staat zu verlieren. Bedeutende Rechtsgelehrte haben diese Frage gestellt und sich mit ihr auseinandergesetzt. Ihre Fragestellung krankt: Für sie scheint der Begriff der Neutralität starr, — das heißt apriorisch — was er in Wirklichkeit nicht ist. Der Begriff der Neutralität geht vielmehr mit den Wandlungen der Völkerrechtsgemeinschaft mit; das beweist die Geschichte des Neutralitätsbegriffes. Die Organisation der Völkerrechtsgemeinschaft ist durch die UNO gekennzeichnet; das bedarf wohl keines weiteren Beweises. Der Inhalt der modernen Neutralität bekommt durch diese staatenumspannende Organisation dann sein besonderes Gepräge, wenn ein sich zur dauernden Neutralität bekennender Staat, ohne seine Neutralität aufzugeben, Mitglied dieser Organisation wird. Die oben angeschnittene Frage kann daher nicht lauten: darf Österreich als dauernd neutraler Staat der UNO beitreten, sondern richtiger: Wie sieht die immerwährende Neutralität eines UNO-Mitgliedes aus, das seine immerwährende Neutralität erklärt hat? Die Stellung der Schweiz im Völkerbund, die hier nicht weiter erörtert werden soll, gibt den Betrachtern Hinweise, die von den Rechtsgelehrten im Hinblick auf die Stellung des immerwährend neutralen Österreich zur UNO aufgegriffen worden sind. Ein dauernd neutraler Staat hat heute als Mitglied der UNO ein besonderes Gesicht; er ist den Leitsätzen des Menschheitsgedankens der UNO untergeordnet. Österreich ist vorbehaltlich der Rechte und Pflichten, die es aus der UNO-Charter zu übernehmen hat, immerwährend neutral. So wie die Souveränität des Staates heute im 20. Jahrhundert nur eine relative, das heißt durch das Völkerrecht beschränkte ist, so muß auch logischerweise die Wirksamkeit der Neutralität durch das Rechtsverhältnis eines dauernd neutralen Staates zu einer Organisation mit staatenumspannendem Charakter beschränkt sein, sollen sich nicht zwei Institute, die in ein und derselben Völkerrechtsgemeinschaft herrschen, nämlicli Neutralität und Weltfrieden erhaltende Organisation ausschließen. In diesem Zusammenhang mag es unerörtert bleiben, ob durch die angeführte Tatsache nicht das Krisenhafte der modernen Neutralität, das schon von Strisower erblickt wurde, weiterschleicht.

Die Mitglieder der UNO, die einerseits die österreichische Neutralität anerkannten und anderseits den Beitritt Österreichs zur UNO guthießen, haben damit modernes Neutralitätsrecht weiter entwickelt.“ (Ermacora, Österreichs Staatsvertrag und Neutralität, 1957.) Ich bekenne mich nach wie vor dazu, daß das Institut der Neutralität, wenn die Staatengemeinschaft einen Staat aufnimmt, von dem sie wissen mußte, daß er sich zur immerwährenden Neutralität bekennt, sich in der Staatengemeinschaft selbst wandelt. Das Institut der immerwährenden Neutralität muß durch die Mitgliedschaft bei einer internationalen Organisation eine Modifikation erfahren. Das Institut der Neutralität eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen wandelt sich, wenn es um die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geht. Vor allem dann, wenn die Staatengemeinschaft geradezu alle Staaten der Welt, insbesondere die Supermächte, die Repräsentanten der größten Machtblöcke, umfaßt. Es werden dann die friedenserhaltenden Maßnahmen kollektive Maßnahmen der Staatengemeinschaft sein. Sie kann man nicht mit neutralitätspolitischen Vorstellungen messen, die auf das Verhältnis von Rivalitäten außerhalb der weltumspannenden internationalen Organisation abgestellt waren.

Der Sicherheitsrat hat festzustellen, ob der Weltfrieden gefährdet sei und hat kollektive Maßnahmen zu beschließen. Verletzt der immerwährend neutrale Staat seine Neutralität, wenn er einen Weltfriedensbruch feststellt und kollektive Maßnahmen mitanordnen würde? Wenn es sich um die Sicherung des Weltfriedens handelt, über den die Staatengemeinschaft zu wachen hat, so hat der immerwährend neutrale Staat im Rahmen seiner Neutralität diesen Weltfrieden aufrecht zu erhalten. Der Sicherheitsrat ist allerdings jenes Organ der Vereinten Nationen, das Kraft seiner Funktionen, seiner Zusammensetzung, seiner Publizität im Rampenlicht steht und wo es wohl kaum anginge, sich der Stimme au enthalten. Das bedeutet, daß der immerwährend neutrale Staat als Mitglied des Sicherheitsrates sich im Falle von Fragen des Weltfriedens zu bekennen hätte. Er hätte zu bekennen, ob er eine Situation als den Weltfrieden gefährdend ansieht. Ist damit, juristisch gesehen, die Neutralität verletzt? Vom -juristischen Standpunkt aus hat sich der Sicherheitsrat nicht für oder gegen den einen oder anderen Staat zu entscheiden, sondern für den Frieden, der durch den Konflikt gefährdet erscheint! Wenn damit eine Stellungnahme über staatliches Verhalten verbunden ist, so ist — juristisch gesehen — das nur eine indirekte Auswirkung, mit der die Entscheidung über die Weltfriedensgefährdung verbunden Ist. Diese Abstraktion muß vorgenommen werden, wenn man juristisch, das ist neutralitäts-rechtlich, argumentieren will! Daher kann, juristisch argumentiert, der Mitwirkung Österreichs im Sicherheitsrat kein neutralitätsreehtliehes Hindernis entgegenstehen!

Eine ganz andere Frage betrifft das neutralitätspolitische Problem.

Durch das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat wird man sich — wie gesagt — bekennen müssen. Dieses Bekenntnis könnte insbesondere dann, wenn sich im Sicherheitsrat Fronten bilden, zu Vorwürfen führen, die darin gipfeln, „Österreich habe seine Neutralität verletzt“. Hier wird es die hohe Kunst des Politikers und Diplomaten sein, den richtigen Weg zu finden. Von vornherein kann also abstrakt noch nicht gesagt werden, daß Österreich mit der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat neutralitätspolitisch fehlerhaft handle. Darüber hinaus wolle nie vergessen werden, daß der Sicherheitsrat ein Staatengemeinschaftsorgan ist, das mehr ist als die Summe von Delegationen, das heißt die Haltung der österreichischen Delegation im Sicherheitsrat müßte nicht identisch sein mit der Haltung Österreichs als Staat! Und endlich das Problem des Procedere. Meine Kenntnis von der Arbeit der Vereinten Nationen führt mich zu dem Schluß, daß eine Opportunität auf dem Boden der Vereinten Nationen in der Regel keine Auswirkungen auf ein Staatsverhalten außerhalb der Vereinten Nationen hat. Sodann: Österreich hat von der westlichen Staatengruppe in den Vereinten Nationen, vor allem von den NATO-Pakt-Staaten, keineswegs immer Wohlwollen erfahren.

Ich erinnere nur an das Verhalten der NATO-Staaten in der Südtirolfrage! Wenn der österreichische Beitritt zum Sicherheitsrat von hohem Werte scheint, dann muß selbstverständlich der Weg über die afroasiatische Staatengruppe gegangen werden. Dort wird man daran gemessen, wie man sich zur Rassenfrage, wie man sich zium Apartheidproblem und ähnlichem verhält. Hier haben die österreichischen Delegationen jedenfalls eine bessere Visitenkarte als Belgien und Italien — derzeit die beiden Konkurrenten Österreichs in der Kandidatur zum Sicherheitsrat. Wenn sich die afroasiatische Staatengruppe nicht von Aspekten der Entwicklungshilfe allein leiten läßt, sondern bedenkt, daß der Sicherheitsrat ein bedeutendes politisches Organ der Weltpolitik ist, so müßte Österreich mehr wiegen als Italien und Belgien. Der Westen ist, soweit er in einer Paktformation steht, von vornherein kein Freund des Einzelgängers, noch dazu, wenn es um die Mitgliedschaft in einem Gremium geht, das über Fragen entscheiden könnte, die Paktmitglieder unmittelbar berühren. Ich meine, daß sich diese Situation auch in einigen Jahren für Österreich nicht ändern würde und man daher, will man diese Mitgliedschaft im Sicherheitsrat erhalten, immer jenen Weg gehen müßte, der von Österreich bisher begangen wurde und derzeit begangen wird.

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