Die Pleite des globalen Kapitalismus erfordert globale Regeln und Kontrolle

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Jetzt rächt sich der Verlust von Wertorientierung in der Politik: Mit Steuern werden die Folgen der Krise saniert. Notwendig wären weltweites Verbot von Spekulation, eine neue Balance und Fairness in Produktion und Handel.

Innerhalb von nur 20 Jahren haben wir das Scheitern von zwei extremen Ideologien mit völlig konträren Konzepten erlebt: 1989 die „Implosion“ des Kommunismus mit zentralistischer Planwirtschaft, Diktatur und Unfreiheit; 2008 die Pleite eines ausschließlich profitorientierten Kapitalismus und Marktfundamentalismus mit zerstörerischen Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Natur.

Im Buch „Der totale Markt“, herausgegeben vom ÖGB, wird dazu treffend ausgeführt:

„Ein entfesselter, irrationaler Markt und eine unkontrollierte Globalisierung schaden den Menschen nicht nur materiell, sondern auch psychisch, charakterlich, da dieses System auf einem extremen Individualismus und einer brutalen und selbstmörderischen Konkurrenz beruht, welche das Negative im Menschen fördert. Solidarität, Gemeinschaft, Familie, lang dauernde Arbeitsbeziehungen und die moralischen Grundlagen der Gesellschaft lösen sich auf, die Zunahme autoritärer Maßnahmen ist die notwendige Folge.“ (Gerald Mader)

Die Wege zur Ausbeutung

Vor etwa 20 Jahren begann der weltweite Siegeszug dieser „entfesselten“ Ökonomie mit ausschließlicher Fokussierung auf Kapitalrenditen und Gewinnmaximierung. Ausschlaggebend dafür war das zeitgleiche Zusammentreffen von drei unterschiedlichen Entwicklungen: Die Entstehung einer Welt ohne „Grenzbarrieren“ durch den Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums und die wirtschaftliche Öffnung Chinas; die einseitige Dominanz der Ideologie des „freien Marktes“ in Form des Neo-Kapitalismus mit der weltweiten politischen Durchsetzung von Freihandel, freier Wahl der Produktionsstandorte und völliger Freizügigkeit der Finanzmärkte; und schließlich die technologische Revolution im Bereich der Informationstechnologie, welche die Explosion der globalen Finanzmärkte technisch erst möglich machte.

Freier Handel und freie Wahl der Produktionsstandorte ohne weltweit verbindliche Sozial- und Umweltstandards führten zur Ausbeutung von Mensch und Natur in den ärmeren Regionen der Erde und andererseits zur Zerstörung von Arbeitsplätzen und mittelständischen Unternehmen sowie zum Druck auf Löhne und Sozialsysteme in den hoch entwickelten Staaten. Die brutale Wucht des destruktiven Potenzials völlig ungezügelter und von immer wilderer Gier getriebener Finanzmärkte erleben wir gerade. „Das Monster ist außer Kontrolle geraten“, titelten deutsche Zeitungen bereits vor einem Jahr.

Was wir derzeit erleben, ist die Folge einerseits eines massiven Politikversagens auf globaler Ebene und andererseits des Fehlens einer tragfähigen Ethik als Orientierung für menschliches Handeln in einer global immer stärker vernetzten Welt.

Der Verlust von Wert- und Grundsatzorientierung in der Politik rächt sich jetzt. Nach der Pleite des globalen Kapitalismus und den durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte drohenden „Kollateralschaden“ für Wirtschaft und Gesellschaft ist in der Politik hektische Brandbekämpfung unter Aufbietung tausender Milliarden an Steuergeldern ausgebrochen. Damit das klar ist: Feuerwehrmaßnahmen sind notwendig und es ist gut, dass Regierungen rasch und zum Teil auch koordiniert gehandelt haben.

Was aber fehlt, ist eine in sich schlüssige ordnungspolitische Vorstellung, nach der zukunftsfähige Spielregeln für eine global vernetzte Wirtschaft definiert und durchgesetzt werden. Die einen sagen, man müsse den „Kapitalismus neu erfinden“, die anderen träumen von Verstaatlichung und Planwirtschaft. Beides kann es nicht sein! Das Lösungsmodell ist die „Ökosoziale Marktwirtschaft“.

Sie beinhaltet den Erfahrungsschatz des erfolgreichsten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Modells der jüngeren Geschichte, nämlich der Sozialen Marktwirtschaft; ergänzt um das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit auf der Basis von Kostenwahrheit und Verursacherprinzip.

Die wichtigsten Schritte in diese Richtung wären:

• Durchsetzung weltweit gültiger Regeln und Kontrollen für die Finanzmärkte;

• Vorkehrungen gegen destruktive Spekulationen in den Bereichen Finanzmarkt, Nahrungsmittel, Energie und Rohstoffe;

• Rasche Einführung einer weltweiten Abgabe auf spekulative Kapitaltransfers (Finanztransaktionsabgabe – „Tobin Tax“);

• Schließen der „Steueroasen“ und „Fluchtpunkte“ für Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung und Geldwäsche;

• Start einer neuen WTO-Verhandlungsrunde zur Implementierung von Sozial- und Umweltstandards, gekoppelt mit einer ausreichend dotierten partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit und Kofinanzierung, wie sie seit mehr als fünf Jahren im Projekt „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“ vorgeschlagen wird.

Christliche Soziallehre

Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft ist nicht nur eine Anforderung an Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft, ethisch orientiertes Handeln bezieht sich immer und zuallerst auf den Menschen. Familien, Schulen, Medien, Kultur und Religion tragen dafür ein hohes Maß an Verantwortung. Einige Prinzipien der Christlichen Soziallehre – Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Schöpfungsverantwortung – sollten auf die existenziellen Anforderungen der Menschheit im 21. Jahrhundert hin konkretisiert und interkulturell sowie interkonfessionell diskutiert werden.

Die Signale zur Entwicklung gemeinsamer globaler Strategien im Rahmen der „G 20“ im April in London sind vielleicht ein kurzes Zeitfenster. Gefordert ist nun die EU, sich konstruktiv und ordnungspolitisch fundiert in die globale Gestaltung einzubringen.

* Der Autor war u. a. Agrar- minister, ist Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums, Koordinator der Global Marshall Plan Initiative

Tobin-Tax

Wichtige Schritte zu neuer Fairness und Balance wären eine Kontrolle der Finanzmärkte, Vorkehrungen gegen destruktive Spekulation und die Einführung von Abgaben auf spekulative Transfers von Kapital. Steueroasen sollen geschlossen werden, fordert der Autor.

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