Die Politik in der Populismusfalle

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Der nächste Schritt der Pensionsreform wurde als seelenloser Automatismus abgetan. Die Politik steckt in der Populismusfalle. Eine Analyse von Claus Reitan

Populismus kann gnaden-los sein, auch intelligente sowie gebildete Persönlichkeiten befallen und eine in der jeweiligen Sache verheerende Wirung entfalten. Die Pensionsreform und ihr Ende im aufkeimenden Wahlkampfgetümmel sind Opfer solcher politischer Beliebigkeit. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass die gegenwärtige Große Koalition die Pensionsreform vertagt, daran in ihrem Bestand scheitert und Österreich mit vorverlegten Nationalratswahlen einen Pensionswahlkampf erlebt. Den Vorgeschmack und Auftakt dazu gibt es schon.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer gab sich vor wenigen Tagen einen Ruck und griff zu starken Worten: "Das ganze dem Computer überlassen, wäre ein Fehler." Da war Gusenbauer schon auf die Kampfrhetorik seines Parteifreundes und Pensionisten-Chefs Karl Blecha hereingefallen. Der hatte vor Pensionsautomatik durch einen seelenlosen Computer gewarnt. Das ist Unsinn, aber das Projekt Pensionssicherung ist vorerst gescheitert.

Der Rechner ist ein Mensch

Erstens ist die diskreditierte Pensionautomatik kein Automatismus und zweitens ist der Computer ein Mensch. Er heißt Walter Pöltner und ist Sektionschef im Sozialministerium. Sein Team hätte die Aufgabe, die Entwicklung von Lebenserwartung und Pensionsaufwand zu beobachten. Steigt beides über Grenzwerte an, müssten sie zu rechnen beginnen. Wie diese Rechnungen aufzustellen sind, hat Sozialminister Erwin Buchinger erarbeitet und präzise erläutert: Die Reformmaßnahmen seien "keine Rechenautomatik", heißt es in seinem einstweils bedeutungslosen Papier vom 30. Mai. Laut Experten werde es weiters in den nächsten zehn Jahren "zu keiner Änderung im Pensionsrecht kommen". Das beschlossene Pensionspaket sei, so Buchinger noch vor vier Wochen, "keine automatische Rechenformel", es gebe "keinen Reformautomatismus", ganz im Gegenteil, der Reformbedarf werde durch einen "mehrstufigen politischen Prozess" festgestellt. Die Austria Presse Agentur (APA) titelte noch am 29. Mai: "Pensionen: Regierung bei Paket einig". Aber die Populisten in der SPÖ, von Karl Blecha über Oberösterreichs Erich Haider bis zu Gusenbauer, sagten Njet. Das hat Folgen: Die Pensionssicherung, welche die Regierung mit der 69. ASVG-Novelle eigentlich im März im Kabinett behandeln wollte, ist wenige Tage nach dem Buchinger-Plan vom Mai im Juni abgesagt. Die SPÖ festigt ihren Ruf als Pensionistenpartei und landet endgültig in der Glaubwürdigkeitsfalle.

Die Pensionisten gelten, so der Wahl- und Meinungsforscher Peter Ulram vom Institut Fessel & GfK, schon seit 15 Jahren als die mit Abstand größte Gruppe unter denWählern. Und die Sozialdemokraten hätten laut Wählerbefragung am Wahltag (Exit Polls) mit 42 Prozen den höchsten Anteil an Pensionisten unter ihren Wählern. Das verpflichtet, meinen Beobachter. In den neunziger Jahren sei der Anteil der Pensionisten unter den SPÖ-Wählern sogar auf bis zu 45 Prozent angestiegen, berichtet Ulram, sei dann wieder leicht gesunken. Jetzt gehe es um die Glaubwürdigkeit dieser Partei.

Als ester hatte SP-Chef und Kanzler Franz Vranitzky an die Pensionisten einen Brief geschrieben, dann dessen Nachfolger Viktor Klima. Auch der nächste, Alfred Gusenbauer, versuchte sich in Versprechungen. Das sei aber, so Ulram, ein "Schlag ins Wasser" gewesen.

"Die Leute haben das dumpfe Gefühl, das werden die (gemeint: die Politiker) nie halten können", sagt Ulram. Und weiter: "Sehr glaubwürdig ist man nicht mehr." Doch die Falle, in der die SPÖ landete, hat sie sich selbst aufgestellt.

Im Wahlkampf 2006 hat die SPÖ der ÖVP unter Bundeskanzler Wolfgang Schüsel vorgeworfen, gelogen und die Öffentlichkeit betrogen zu haben. Die SPÖ selbst machte zugleich eine Reihe von Versprechungen, die sie allerdings nicht halten konnte. Das sei bei Gusenbauer, so Ulram, "besonders extrem", denn er habe im letzten Wahlkampf "das Blaue vom Himmel herunter versprochen", wohlwissend, dass es problematisch sei, alles einzuhalten. Und zwar nicht wegen der Koalition. Lediglich die Studiengebühren abzuschaffen, wäre bei einer Alleinregierung möglich gewesen, aber bei der Thematik Pensionen wäre sie von der Realität eingeholt worden.

"Wer immer an der Regierung ist, wird mit der Realität konfrontiert", sagt Ulram. Und die sogenannte Pensionsautomatik "kam ja nicht von ungefähr". Was unter Bundeskanzler Schüssel gemacht worden sei, hätten andere Länder, manche davon sogar unter sozialdemokratischer Führung, schon vor zehn oder gar fünfzehn Jahren gemacht. Die Briten, die Skandinavier, die Niederländer: sie alle haben die Dynamik des Wachstums bei den Ausgaben für Pensionen eingedämmt, weiters das faktische Pensionsanstrittsalter an das gesetzliche herangeführt. Genau das, und ehrlicherweise etwas mehr, hätte auch die 69. ASVG-Novelle vorgesehen.

Doch jetzt ist die von Buchinger vorbereitete "Nachhaltigkeit des Pensionssystems durch Pensionsmonitoring" abgesagt. Kaum jemand im Sozialministerium vermag zu sagen, ob und wann und wie daran weitergearbeitet wird. Die Koalition hat das Thema zur Seite geschoben und noch keinen alternativen Plan entwickelt, es wieder auf die Agenda zu setzen.

Jede Regierung wird es wieder ein Stück schwieriger haben, notwendige Reformen durchzusetzen. Die Absage dieser Reform und andere Versprechungen seien ein Selbstbindungsprozess der Politik, sagt Ulram, der dann automatisch zu Vertrauensverlust führe, wenn die Realität anders aussieht. Und das steht uns bevor.

Die Lebenserwartung wird bis zum Jahr 2050 bei den Frauen von derzeit 83 auf 90 Jahre steigen, bei den Männern von derzeit 78 auf 86 Jahre. Der Gesamtaufwand für die Pensionen erhöht sich bis 2050, den Berechnungen des Sozialministeriums zufolge, von gegenwärtig 28 auf 66 Milliarden Euro. Da werden Korrekturen nötig sein. So oder so, trotz des Populismus. Wie meint Ulram? "Es findet sich immer jemand, der dagegen ist."

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