Die politische Spaltung der Austro-ägypter

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Seit Monaten dominiert in der österreichisch-ägyptischen Community ein Thema: Die Politik in Ägypten. Zahlreiche Vereine und auch einzelne Personen engagieren sich.

Samstag Mittag bietet sich Touristen und Passanten am Wiener Ring ein ungewöhnliches Bild. Um die 40 Radfahrer machen in einem Protestzug auf sich aufmerksam. Sie tragen gelb-schwarze T-Shirts und von der Ferne könnte man einen ÖVP-Wahlkampfgag vermuten. Von der Nähe aber wird eine schwarze Hand auf dem gelben Hintergrund sichtbar. Vier Finger ausgestreckt und den Daumen eingeklappt, deutet sie eine Vier an. Darunter findet sich der Schriftzug "Rabia“. Bei der ersten roten Ampel klatschen die radfahrenden Demonstranten im Rhythmus und rufen Parolen: "Menschenrechte hin und her, Sisi tötet immer mehr“. Auch auf Arabisch erklingt ein lautes "Allahu Akbar“ - "Gott ist der Größte“ und "Jasqut hukm al-askar“, was so viel wie "Nieder mit dem Militärregime“ bedeutet.

Die meisten Passanten sehen den Zug fragenden Blickes an, doch manche erheben ihre Hand und formen eine Vier, um ihre Solidarität zu bekunden. "Rabia“ - auf Arabisch "die Vierte“, heißt der Platz in Kairo, auf dem die Proteste gegen das Militär in Ägypten ihren Höhepunkt und auch ihr blutiges Ende fanden. Nachdem der türkische Premier Erdogan Anti-Militär-Demonstranten mit erhobener Hand, eine Vier anzeigend, grüßte, verbreitete sich das Zeichen wie ein Lauffeuer. Von Statusbildern auf Facebook bis zum Dekor auf Geburtstagstorten, überall findet sich das Hauptsymbol des Widerstandes, der vor allem von den Muslimbrüdern getragen wird.

Aktive Austro-Ägypter

Es scheint, als ließen die derzeitigen politischen Geschehnisse kaum einen der 25.000 Austro-Ägypter kalt. Dabei lässt sich eine große Bandbreite an Meinungen feststellen, die zwischen zwei Extremen pendeln. Während viele das Militär verteufeln und Muhammad Mursi als demokratisch legitimierten Präsidenten erachten, sehen andere im militärischen Putsch gegen ihn die Rettung des Volkes.

Omar El Attar, Wiener Schüler mit ägyptischen Wurzeln, verbrachte den Sommer in Kairo und war selbst auf dem Rabia-Platz. Er solidarisiert sich mit den Muslimbrüdern und dem gestürzten Präsidenten Muhammad Mursi, der aus den Reihen dieser islampolitischen Bewegung stammt. Begeistert erzählt er vom revolutionären Geist, den er auf dem Rabia-Platz gespürt hat.

Für den Wiener Religionslehrer Mamdouh El Attar haben die Muslimbrüder die Demokratie in Ägypten verankert. Sami Al-Basjuni pflichtet ihm bei: "Es kann nicht sein, dass ein Präsident, vom Volk gewollt, in einem Militärputsch gestürzt wird. Es geht um grundsätzliche Freiheiten und Demokratie“. Die drei Austro-Ägypter sind Aktivisten im neu gegründeten Verein "R4bia Austria“ und setzen sich wöchentlich für die Wiedereinsetzung von Mursi und gegen die Militärgewalt ein. Am 6. Oktober soll es eine größere Demonstration geben. "Dieser historische Tag, an dem 1973 Ägypten einen militärischen Sieg über Israel errang, wird die Wende im Konflikt bringen“, ist sich Mamdouh El Attar sicher.

Auch Basma Gadelrab, Bauingenieurwesen-Studentin, war am Rabia-Platz und geht auch in Wien regelmäßig auf Demonstrationen gegen die Militärherrschaft. Allerdings sieht sie die Rolle der Muslimbrüder kritischer. "Mich stören die Rufe für Mursi, der wird nicht zurückkommen, und wenn er zurückkommt, ist das der größte Fehler, der in dieser Situation passieren kann. Mursi war immer eine Marionette der Muslimbrüder.“ In einem Treffen des Vereins der ägyptisch-österreichischen Jugend, in dem Basma Mitglied ist, landet das Gespräch wie so häufig in den letzten Monaten bei der ägyptischen Politik.

Mursi-kritische Stimmen

Auch ihre Freunde vom Verein, Schama Ali, Studentin der technischen Chemie, und Muhammad Mabrouk, Architekturstudent, schließen sich der Kritik Basmas an: "Es ging weniger um ein politisches, mehr um ein religiöses Programm. Und damit gab es auch Fanatismus“, meint die junge Studentin. Muhammad bewertet auch die militärischen Handlungen als grundsätzlich positiv: "Das Militär reagiert auf eine Situation, die in der Gesellschaft existiert und versucht zu deeskalieren. Es geht hier um die Sicherheit des Landes und des Staates.“ Die anderen Vereinsmitglieder sprechen sich gegen das Stabilitätsargument Muhammads aus. Neuwahlen wären die richtige Antwort, so der einhellige Tenor.

Während der Diskussion unter den Jugendlichen werden Stimmen auf Arabisch vom anderen Ende des Raumes immer lauter. Auch die Elterngeneration nutzt in diesen hitzigen Zeiten die Vereinsräumlichkeiten für den Austausch von politischen Gedanken und der Planung von Aktivitäten. Die Jugendlichen müssen über das ägyptische Temperament schmunzeln.

Kopten promilitärisch eingestellt

Grante Henien, Obmann der ägyptischen Vereinigung für Menschenrechte, war der Hauptorganisator eines Demozuges Ende August. Wie die meisten koptischen Christen nimmt er gegenüber den Muslimbrüdern eine sehr kritische Haltung ein und begrüßt den Schritt ihres gerichtlichen Verbots letzte Woche. Unter der Herrschaft Mursis hätte die koptische Gemeinde sehr gelitten und eine Unterdrückung erfahren, die weit über jene in Zeiten Mubaraks ging. Vereinssprecher Salada Seido meint, dass dutzende Kirchen abgebrannt und religiös motivierter Terror, hauptsächlich von den Muslimbrüdern verübt, an der Tagesordnung stand. Das Militär habe auf die Massenproteste gegen die Schreckensherrschaft der Muslimbrüdere reagiert und die richtigen Schritte eingeleitet.

Extreme Haltungen herrschen im Diskurs vor und haben in der ägyptische Community Österreichs einen tiefen Spalt gezogen. Muhammad Mabrouk analysiert, dass der Diskurs deshalb so radikalisiert sei, da es um grundlegende Identitätsfragen ginge. Die für ihn wirklich wichtigen politischen Fragen bleiben bei diesem emotional geladenen Konflikt auf der Strecke.

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