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Die Realitätsverweigerung

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Österreichs Budgetzahlen lassen den Finanzminister frohlocken. Doch heikle Strukturfragen harren noch einer Antwort.

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Österreichs Budgetzahlen lassen den Finanzminister frohlocken. Doch heikle Strukturfragen harren noch einer Antwort.

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Die Stimmung könnte besser nicht sein: Sagenhafte 2,6 Prozent Neuverschuldung sind für das kommende Jahr angesagt. Finanzminister Rudolf Edlinger kommen Zahlen über die Lippen, von denen die meisten seiner europäischen Ressortkollegen nur träumen können. Während etwa ein Kassasturz in Frankreich 3,5 bis 3,7 Prozent Budgetdefizit (für das laufende Jahr) als mögliches Horrorszenario ergibt, kann sich die österreichische Regierung schon im Glanz der künftigen Finheitswährung sonnen. Der Euro kommt, und wir sind sicher dabei; vermeintlich keine Zeichen an der Wand - anerkennendes Pfeifen in der Branche und im Blätterwald.

Am Donnerstag dieser Woche soll das famose Zahlen -werk im Ministerrat beschlossen werden. Einziger Wermutstropfen: wichtige Budgetbegleitgesetze sind alles andere als unter Dach und Fach. Die heißen Eisen „Pensionen” und „Beamte” müssen erst geschmiedet werden.

Wie schwierig das noch werden dürfte, läßt die Sprachregelung in der Budgetdiskussion erkennen: Da wurden immer „kurzfristige” (z. B. die Erhöhung der Höchstbeitrags-grundlage) von „langfristigen” (z. B. längere Durchrechnungszeiträume) Maßnahmen unterschieden. Die elegante Formulierung verschleiert die wahre Differenz: jene zwischen Geldbeschaffungsmaßnahmen zur Erreichung des Budgetzieles einerseits und über die aktuelle Haushaltsplanung hinausreichenden Strukturreformen andererseits.

Für erstere braucht es strategisches Geschick, für zweitere überdies und vor allem politisches Gewicht. Denn nachhaltige strukturelle Veränderungen im Pensions- und Sozialsystem stellen übergeordnete Interessen - die Sanierung des Staatshaushaltes, die Erreichung der Maastricht-Kriterien, die langfristige Finanzierbarkeit von Altersversorgung und sozialer Sicherung für Bedürftige - über die Anliegen diverser Gruppen und Lobbies.

Diese treten naturgemäß auf den Plan, wenn sie spüren, daß es ans Eingemachte geht. Da zeigen sich dann zwar Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund „gesprächsbereit” über „kurzfristige” Maßnahmen, warnen jedoch vor „Schnellschüssen” bei einer „großen Pensionsreform”. Da kommt die stereotype Warnung vor „Beamtenhatz”, der Hinweis auf bereits erbrachte - vorgeblich überproportionale - Opfer und auf „wohlerworbene Bechte”. Da versucht die Frauenministerin, Interessen ihrer Klientel und der ÖAAB-Obmann Familienanliegen mit der Pensionsdebatte zu verknüpfen bei Begierungsmitgliedern besonders pikant.

Bezeichnend für die Unbe-weglichkeit im Denken der Interessenvertreter war ein dieser Tage im OBF geführtes

Streitgespräch zwischen ÖGB-Vizepräsidentin Irmgard Schmidleithner und dem Sozialwissenschafter Bernd Marin. Marin, langjähriger Mahner in Sachen Beformbe-darf des Pensionssystems, versuchte seiner Gesprächspartnerin die glasßlare Wahrheit näherzubringen, daß der Kampf um Beibehaltung des Status quo nur auf Kosten künftiger Generationen zu gewinnen sei. Wer, wie Schmidleithner, solchem Befund mit dem Vorwurf der Angstmache begegnet, setzt sich schlicht dem Verdacht der Bealitäts-verweigerung aus. Und natürlich durfte das Argument „Zuerst Vollbeschäftigung” nicht fehlen - als könnte man die Pensionsreform mit arbeitsmarktpolitischen Vorgaben verknüpfen und damit immer weiter vor sich herschieben. Wahr ist, daß das eine (Pensionsreform) getan werden muß und das andere (arbeitsplatzfreundliche Bedingungen zu schaffen) nicht gelassen werden darf. Wahr ist auch, daß, wer das eine mit dem anderen junktimiert, beides nicht voranbringt.

Diese und ähnliche Diskussionen sind freilich kein österreichisches Spezifikum. Sie finden in jeweils modifizierter Form zur Zeit in ganz Europa statt. Sie werden jedoch durch ein europäisches und ein globales Totschlagvokabel massiv erschwert: „Euro” und „Neoliberalismus”. Das Dilemma besteht darin, daß die in den einzelnen Ländern unabdingbaren Konsolidierungsmaßnahmen stets im Verdacht stehen, einzig und allein der Preis für eine abstrakte Einheitswährung zu sein. Diese wiederum, in den Augen vieler mit von Bürokraten erdachten Konvergenzkriterien überfrachtet, wird von Sparpaket-geplagten Bürgern als europäischer Niederschlag des weltweit grassierenden Neoliberalismus empfunden.

An dieser Sichtweise sind natürlich auch politische Führungen schuld, die sich positive Entwicklungen jeweils selbst zuschreiben, für alles Übel aber Brüssel als Sündenbock heranziehen. Statt dessen wäre festzuhalten, daß es schlicht eine Frage des An-stands ist, nicht auf Dauer über die Verhältnisse zu leben; daß es Grundkonsens einer civil Society sein müßte, für ein adäquates Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben zu sorgen; daß die Sanierung des Haushaltes - vor jeder Frage von Währungsunion und globalem Konkurrenzdruck - eigentlich als „bürgerliche Tugend” zu gelten hätte.

In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” meinte der kürzlich verstorbene französische Historiker Francois Füret, es sei nicht verwunderlich, daß die stattfindenden Umwandlungen soziale Krisen hervorrufen: „In diesen Krisen drückt sich die Erregung vieler Bevölkerungsschichten aus, namentlich im öffentlichen Dienst..., die die früher oder später erworbenen Rechte geschützt wissen wollen”. Und zum institutionalisierten Protest gegen den Wandel bemerkt Füret: „Faktisch gleichgültig gegenüber den Opfern der Arbeitslosigkeit, konzentrieren sie sich auch den Erhalt... sek-torieller Vorteile.”

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