Die reichste Regierung der Welt

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Das chinesische Wirtschaftswunder hat Milliardensummen an Fremdwährungen in die Pekinger Regierungskassa gespült – die Kluft zwischen Arm und Reich im Land ist dadurch aber bislang nicht kleiner geworden.

China auf Kollisionskurs – das beschreibt die 36-jährige chinesische Schriftstellerin und Regisseurin Xiaolu Guo in ihrem zeitgerecht zur Frankfurter Buchmesse erschienenen Roman „Ein Ufo, dachte sie“. In dieser bitterbösen Geschichte aus dem China des Jahres 2012 lässt Guo ein Ufo mit der chinesischen Obrigkeit kollidieren. Bei den Filmfestspielen von Cannes hat ihr diese Satire auf den Fortschrittsglauben in China den Preis für das beste Drehbuch eingebracht „Mir ist wichtig, das Leben junger Menschen und die politische Situation im heutigen China aufzuzeigen“, sagt Guo und fügt ihre Analyse an: „In China wissen die Menschen derzeit nicht genau, wohin die Reise geht, denn es hat sich weder der Kapitalismus durchgesetzt, noch sind wir Sozialisten, sondern etwas sehr Einzigartiges.“

Der Pekinger Politologe Mu Qiao beschreibt Chinas Einzigartigkeit so: „China ist kein sozialistisch-kommunistisches Land mehr, sondern China ist ein kapitalistisches Land, regiert von einer kommunistischen Partei.“ Mu war dieser Tage auf Einladung des „EU-China Civil Society Forums“ ( www.eu-china.net) in Wien, um über die sozialen Entwicklungen in China und Europa aus der Sicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu diskutieren. Mit drei sozialen Herausforderungen, „so hoch wie Berge“, sieht Mu sein Land konfrontiert: Wohnungsnot, Ausbildungsdefizite und ein marodes Gesundheitssystem:

• Aufgrund des Immobilien-Booms seien die Wohnungskosten für Normalbürger unbezahlbar geworden, sagt Mu. Dazu trägt auch die gerade in der Baubranche wuchernde Korruption ihren Teil bei.

• Trotz anderslautender Meldungen, die China auch als Forschungs-Großmacht titulieren, sieht Mu sein Land im Ausbildungssektor an schweren Defiziten leiden. Das staatliche Budget für Schulen und Universitäten betrage weniger als vier Prozent des Bruttonationaleinkommens und „sinkt weiter kontinuierlich“.

Gesundheitssystem: wenig & teuer

• Ähnlich das Budget für die Gesundheitsversorgung: „Zu teuer und zu wenig“, fasst Mu das Problem des chinesischen Gesundheitssystems zusammen – strukturelle Mängel, die Bestechung und Korruption auf individueller Ebene Vorschub leisten.

„Die heutige Marktwirtschaft wird von Funktionären kontrolliert und entwickelt sich derart, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen arm bleiben“, sagt der in Ungnade gefallene frühere KP-Spitzenfunktionär Bao Tong (siehe auch Artikel unten): „Wer besitzt das Land? Der Staat. Er kann darüber verfügen. Wer ist der Staat? Die Funktionäre. Egal auf welcher Verwaltungsebene, solange es einen Funktionär gibt, repräsentiert er den Staat. China ist keine Republik des Volkes, sondern ein Staat unter Führung der Kommunistischen Partei.“ Und diese Führung ist reich, unvorstellbar reich.

Reich an Geld und sozialen Unruhen

Mu Qiao sagt: „China hat die reichste Regierung der Welt“ und zählt die Währungsreserven auf: 2000 Milliarden an US-Dollar, 600 Milliarden Euro, Tendenz 2008 um 30 Prozent steigend … Mu glaubt, Peking besitze soviel Geld, dass es alle Olympischen Spiele der Zukunft ausrichten kann: „Wenn London bei den Spielen 2012 Probleme bekommt – wir springen ein!“

Doch trotz dieses Reichtums werden die sozialen Spannungen im Riesenstaat größer – und die sozialen Unruhen. Normalerweise entschärft Peking Konflikte dadurch, dass Funktionäre Verständnis bekunden und protestierende Arbeitslose, enteignete Bauern oder andere Demonstranten mit Bargeld ruhig stellen; nach dem Motto: „Geld ausgeben, um Stabilität zu erkaufen.“ Doch diese Strategie bedeutet heute oft nur noch: „Geld ausgeben, um vorläufig Stabilität zu erkaufen.“

Wachsende Einkommensunterschiede, korrupte Behörden und der Eindruck, ohne Beziehungen nicht weiterzukommen, sind dann die tiefer liegenden Gründe für Gewaltexzesse, die sich vordergründig als Minderheitenkonflikte präsentieren. Mu spricht vom „Hass auf die Reichen“, von umgestürzten Streifenwagen und niedergebrannten Polizeiwachstuben. „Plötzliche Massenereignisse“ nennt die Regierung diese Unruhen. 2005 wurden 87.000 solcher „Kundgebungen“ registriert. Mittlerweile veröffentlicht Peking keine Statistik mehr.

Die Gewaltausbrüche zeigen, wie ungerecht viele Chinesen das System empfinden. Das ist der Schatten des vom Ausland oft mit Bewunderung verfolgten rapiden Wandels von einer landwirtschaftlich geprägten Planwirtschaft zur staatskapitalistischen Industriegesellschaft. Nie zuvor haben so viele Menschen in so kurzer Zeit soviel Wohlstand geschaffen, heißt das Loblied auf Chinas-Wirtschaftswunder. Stimmt, aber an der Verteilung dieses Wohlstands wird sich der Fortgang dieser Erfolgsstory messen müssen.

In China selbst glauben jedenfalls nicht alle daran: Hunderttausende chinesische Arbeiterinnen und Arbeiter fordern gerade ihre Einzahlungen in die Pensionsversicherungen zurück – weil sie dem System misstrauen, sagt eine Referentin aus Hongkong beim „EU-China Civil Society Forum“ und fügt hinzu: „Ein einmaliger Vorgang, aber er sagt sehr viel aus.“

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