Die Revolution in der Falle

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Dass in Ägypten wieder die Gewalt regiert, liegt nicht nur an der Brutalität des Militärs. Es fehlt auch an politischem Realitätssinn und strategischer Ordnung bei den Revolutionären. Der Westen könnte dabei wirkungsvoll helfen.

Erinnern Sie sich noch an jene sonnigen Tage des Februar, als die Bürger von Kairo mit Besen die Straßen ihrer Stadt säuberten vom Dreck und Blut der Revolution? Was für ein Optimismus herrschte da. Der Diktator fort, die Schlacht gewonnen. Nun sollte es an den Aufbau des Landes in Freiheit gehen. Die USA und die Europäer versprachen Rat und Geld beizubringen. Von großzügiger Unterstützung aller demokratischen Bewegungen in der ägyptischen Gesellschaft war die Rede. Strotzend vor Zuversicht blickte die Welt auf die erste ägyptische Demokratie.

Was ist aus all dem geworden? Amnesty International verbucht seither 12.000 Festnahmen Oppositioneller, 300 fragwürdige Militärgerichtsurteile gegen Zivilisten, Folter, Einschüchterungen, dazu mindestens 60 Tote bei Demonstrationen - und keine Demokratie. Stattdessen fliegen in Kairo seit Tagen Steine und Tränengasgranaten. Alles, was man im Februar leichthin für bereits erobert hielt, entpuppt sich als Illusion eines Glücksmoments. Was also tun? Eine Analyse ohne Schönung und Schonung täte not.

Die fehlende Organisation

Irrtum eins: Wir haben die jungen Revolutionäre in dem romantischen Glauben gelassen, es reiche, auf die Agora zu gehen und Sprechchöre vorzutragen - und man bekäme dafür die Freiheit geschenkt. Das war falsch. Wir haben nicht informiert, dass man auf der Straße vielleicht Revolutionen, aber keinen Systemwechsel schafft. Viel zu zaghaft waren die Angebote, man könne beim Aufbau von Parteien und Institutionen helfen.

Es fehlte und fehlt die klare Botschaft, dass der Weg zur Freiheit nur über eine reale Organisation des politischen Willens funktioniert: starke Parteien, Institutionen, Rechtsstaatlichkeit. Es fehlte die Warnung, dass man mit über 700 Mikroparteien, deren Bekanntheit oft nicht über einen Straßenzug in Kairo hinausreicht, keinen politischen Druck erzeugen kann. Hinz und Kunz werben da für sich - mit Toastern, Trockenhauben oder Taschen als Parteisymbol.

Das mag sympathisch sein. Aber wirklich amüsant ist es nur für die etablierten großen Parteien des ehemaligen Mubarak-Klüngels und der Muslimbrüder. Bei solcher Konkurrenz sind sie die sicheren Sieger jeder Wahl.

Ärgerlich auch, dass Europäer, Amerikaner und Ägypter erwartet haben, dass sich der Militärapparat, der auch schon Hosni Mubarak erzeugt und gestützt hat, selbst entthronen wird. Die Ankündigung von Feldmarschall Tantawi, der Macht entsagen zu wollen, ist lächerlich. Tantawi mag gehen, aber die Armee wird bleiben. Sie ist die Macht im Land. Sie ist der größte Arbeitgeber und nennt einige der größten Unternehmen des Landes ihr Eigen. Sie sitzt in allen Gremien von den Gemeinden bis zum Staatsrat an der entscheidenden Position. Wer eine freie ägyptische Gesellschaft will, müsste diesen Moloch zerschlagen und auf seine eigentliche Rolle zurückstutzen: eine demokratischen Institutionen unterstellte Armee zu sein - nichts weiter.

Von Böcken und Gärtnern

Das schaffen ein paar tausend Demonstranten nicht. Die USA müssten diesen Prozess der Redimensionierung steuern, zumal sie Hauptsponsor der ägyptischen Armee sind. Das tun sie bisher nicht, weil ihr Vertrauen eigentlich eher bei der Armee liegt als beim Volk Ägyptens.

Die Angst vor Islamisten war es, die dem demokratischen Zauber am Nil gerne einen uniformierten Aufpasser beigestellt sah. Tatsächlich sind die Muslimbrüder eine nicht wirklich einschätzbare Kraft.

Aber sie werden nur noch kräftiger, wenn man andere reformorientierte Gruppen nicht fördert, sondern zusieht wie das Militär sie ausmerzt. Soll sich daran etwas ändern, muss die freie Welt entschiedener in Ägypten auftreten. Sie muss die Oppositionellen fordern und fördern und die Generäle zur Zurückhaltung zwingen. Die ägyptische Opposition muss aber auch selbst mehr tun. Mehr als protestieren. Mehr, als auf dem Tahrir-Platz zu sterben. Tote Helden helfen nicht. Eine große Sammelpartei zu gründen, wäre strategisch viel heroischer.

* oliver.tanzer@furche.at

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