Die Rückkehr des Staates

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„Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?“ fragt das 14. Philosophicum Lech, das sich von 22. bis 26. September dem Thema Staat in unterschiedlichsten Facetten widmen wird.

Staaten ohne das Bewusstsein für Gerechtigkeit seien nichts anderes als größere Räuberbanden: Diese Aussage geht auf den Kirchenlehrer und Philosophen Augustinus zurück und zeigt auch heute noch die große Aufgabe und Verantwortung des Staates, wie sie über viele Jahrhunderte hindurch – zumindest in der politischen Philosophie – verstanden wurde: als Obsorge und Garant für Gerechtigkeit. Das heurige Philosophicum in Lech am Arlberg – das nunmehr seine 14. Auflage erlebt – wird sich fünf Tage lang mit Themen rund um den Staat auseinandersetzen. Zum Begriff des Staates wurde eine aus heutiger Perspektive heraus provokante Nachfrage gewählt: „Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?“

Im letzten Jahr wurde in Lech noch über die Verzauberung durch das Schöne und deren positiven wie negativen Auswirkungen philosophiert (siehe FURCHE Nr. 40/09). Doch wer glaubt, es gebe zwischen dem Thema Schönheit und dem Thema Staat keinerlei Verbindungen, der irrt. Denn „ästhetische Aspekte spielen auch in den Debatten über den Staat eine Rolle“, meint der wissenschaftliche Leiter des Philosophicums Konrad Paul Liessmann. Zwei Beispiele führen diese Konnotation deutlich vor Augen. So gibt es zum einen nach wie vor eine Vielzahl an Staatsinszenierungen, die bis in das kleinste Detail vorbereitet und minutiös durchgeplant sind. So z. B. bei Staatsbesuchen oder bei nationalen Staatsfeiertagen. Hierbei stehen auch ästhetische Beurteilungen im Vordergrund, die Gefühle und Stimmungen transportieren wollen. Zum anderen wurde gerade in den letzten Jahren vermehrt auf notwendige ästhetische Charakteristika eines modernen Staates hingewiesen. „Wir brauchen einen schlanken Staat“ bzw. „eine schlanke Verwaltungsstruktur“ war in vielen politischen Kommentaren zu lesen. Neben diesen ästhetischen Aspekten des Staates, so Liessmann, sollen heuer bei der Tagung in Vorarlberg aber andere „heiße Eisen“ im Vordergrund stehen.

Sicherheit und Gerechtigkeit

„Staat und staatliche Ordnung unterliegt einem starkem Wandel“, meint Liessmann und begründet so die Aktualität der heurigen Thematik des Philosophicums. Es stellt sich die Frage, welche Aufgaben der Staat heute hat und wie er diese wahrnimmt. Erstens: „Die Finanzkrise hat gezeigt, dass der Rückzug des Staates aus der Ökonomie nicht so funktioniert, wie sich das einige gedacht haben“, meint Liessmann. Es geht hierbei nun aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre darum, ob, und wenn ja, wie Märkte und Finanzsysteme national aber auch international durch den Staat oder durch Staatengemeinschaften reguliert werden können. Zweitens, so Liessmann, „ist der Staat vor allen in Fragen der Sicherheit heutzutage mehr denn je gefordert“. Auf der einen Seite steht dabei das Problem bzw. die Aufgabe eines umfassenden Schutzes vor Terrorismus und auf der anderen Seite die Frage nach der Privatsphäre des einzelnen Menschen. Drittens, meint Liessmann, wird der Staat auch heute noch als einziger echter Garant für „Gerechtigkeit, für sozialen Ausgleich und als Sicherung in Krisenzeiten“ angesehen. Einen vierten Themenkomplex ortet Liessmann in der Frage, ob der Rechtsstaat an sich in einer Krise stecke: Gibt es wirklich die Gleichheit vor dem Gesetz? Herrscht – zumindest ansatzweise – so etwas wie Gerechtigkeit? Oder bilden sich immer mehr hierarchisch strukturierte Gesellschaften heraus, an deren Spitze nur einige wenige stehen? Alles Fragen, die sich rund um das Thema des Staates sowie der Staatlichkeit bewegen und in Lech zumindest andiskutiert werden sollen.

Das heurige Referentenfeld des Philosophicums scheint nicht nur geografisch (Berlin, München, Wien, Istanbul) breit aufgestellt zu sein, sondern auch in fachlicher Hinsicht. Politologen, Soziologen, Philosophen, Althistoriker sowie Juristen werden sich mit ihren Vorträgen dem Thema Staat widmen. Sonja Puntscher Riekmann (Vize-Rektorin der Universität Salzburg) wird sich in ihrem Vortrag mit modernen Staatsdiskursen zwischen „Pastoral und Phobie“ auseinandersetzen. Sie beschäftigt sich auf der einen Seite mit den Vorstellungen des Staates als Hirte, dessen Sorge der Mensch und seine Lebensbedingungen sind, und auf der anderen Seite mit jenen Gedanken, die von der permanenten Frage getragen sind, warum es den Staat überhaupt geben sollte? Wolfgang Fach (Universität Leipzig) wird sich in seinem Beitrag nicht mit der Frage „Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?“ auseinandersetzen, sondern eine Kehrseite dieser Fragestellung in den Blick nehmen: „Wie viel Mensch braucht der Staat?“ Ansatzpunkt seines Vortrages wird sein, dass der Staat auf die Menschen angewiesen ist, und soll weiterfragen: In welchem Maß bedarf der Staat diesbezüglich Unterstützung und wie verschafft er sich diese? Daniel Loick (Universität Frankfurt) hingegen wird sich mit dem Thema der Staatskritik auseinandersetzen. Dabei steht die grundsätzliche Frage im Vordergrund, ob sich der Mensch innerhalb der politischen Gemeinschaft überhaupt in der Form eines Staates organisieren will bzw. muss, oder ob es vielleicht andere Organisationsformen geben kann, die ohne Souveränität, Rechtsgewalt oder Polizei auskommen. Anlass für diese Fragestellung ist die Beobachtung, dass im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden Transformation von Nationalstaatlichkeit auch wieder ganz grundsätzliche Infragestellungen der politischen Routine möglich erscheinen. Neben den genannten Referenten stehen aber auch noch andere auf dem Programm: So der Philosoph Rudolf Burger, der Althistoriker Christian Meier oder die Politologin Ulrike Ackermann.

„Wie die Macht schmeckt“

Die Auftaktveranstaltung des diesjährigen Philosophicums verspricht eine spannende Diskussionsrunde, die sich unter dem Titel „Wie die Macht schmeckt“ zusammenfinden wird und den Staat aus der politischen Praxis heraus beleuchten wird. Alfred Gusenbauer, Franz Fischler, Günther Oettinger, Gerhard Schröder und Karel Schwarzenberg sind dafür angekündigt.

Das Themenspektrum ist also breit gefächert und bietet somit vielfache Ansatz- und Diskussionspunkte für Staat und Politik. Dennoch wird das Philosophicum keine spezifisch philosophische Politik-Beratung oder Tipps für den politischen Alltag eines Politikers entwickeln oder anleiten. Beispiele aus der Geschichte belegen, dass so eine Beratung nicht automatisch von Erfolg gekrönt sein muss, weiß Konrad Paul Liessmann: „Platon war in der Politik-Beratung tätig und ist dabei glänzend gescheitert.“ Die Stärken des philosophischen Denkens, welche auch die Politik nützen könnte, ortet Liessmann nicht in einer direkten Beratertätigkeit einzelner Politiker durch Philosophen sondern vielmehr in der Präzision des Reflektierens, der begrifflichen Schärfe, in der generellen Kritik sowie in der Fähigkeit viele Konnotationen der Gesellschaftsentwicklung mitbedenken zu können. Darin sieht Liessmann in erster Linie auch die Aufgabe einer zeitgenössischen politischen Philosophie gegeben. Vom diesjährigen Philosophicum erhofft er sich eine spannende Mischung von Gedanken aus unterschiedlichsten Fachrichtungen und kontroverse Diskussionen. Besonders freut sich Liessmann auf den Vortrag des Vorarlberger Schriftstellers und Mitbegründers des Philosophicums, Michael Köhlmeier. Denn „es gibt ja nicht nur die fachspezifisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung und Kritik am Staat, sondern vor allem auch eine literarisch-poetische“, meint Liessmann.

www.philosophicum.com

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