"Die Schweiz ist ein Modell für Europa"

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Mehr als 20 Jahre Abgeordneter, mehr als 10 Jahre Regierungsmitglied, zum zweiten Mal Bundespräsident der Schweiz: Adolf Ogi ist einer der erfahrensten Politiker unseres Nachbarlandes. Demnächst scheidet er aus der Politik. Anlass für ein Gespräch mit ihm.

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Mehr als 20 Jahre Abgeordneter, mehr als 10 Jahre Regierungsmitglied, zum zweiten Mal Bundespräsident der Schweiz: Adolf Ogi ist einer der erfahrensten Politiker unseres Nachbarlandes. Demnächst scheidet er aus der Politik. Anlass für ein Gespräch mit ihm.

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die furche: Herr Bundespräsident, unterscheidet sich ihre jetzt endende Präsidentschaft von ihrer ersten Zeit als Schweizer Präsident im Jahr 1992?

Ogi: Nach dem Nein der Schweiz zum EWR im Dezember 1992 war ich gezwungen, Europa die Hintergründe des Abstimmungsresultates zu erklären. Das war keine einfache Rolle. Bei meiner diesjährigen Präsidentschaft stand ich vor ähnlich großen Herausforderungen. Doch fand das bilaterale Abkommen mit der EU im Mai 2000 die Zustimmung der Stimmbürger. Dank meiner vielen Reisen ist es gelungen, das mit den namenlosen Konten im Zusammenhang stehende, angeschlagene Schweizer Image wieder zu verbessern. Wichtig war auch mein Auftritt beim UNO-Milleniumsgipfel in New York. Er gab mir Gelegenheit, die Weltöffentlichkeit über die Besonderheiten unseres Landes zu informieren.

die furche: Hat sich das Rotationsprinzip im Bundesrat bewährt oder wäre ein selbständiger, auf vier Jahre gewählter Präsident ohne eigenes Departement vorzuziehen?

Ogi: Wir haben dieses System seit 1957. Es war zwar für die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg richtig, aber heute halte ich es für nicht mehr zeitgemäß. Von den vielen wichtigen außenpolitischen Kontakten, die ich während meines Jahres als Bundespräsident knüpfen konnte, werden meine jeweiligen Nachfolger kaum profitieren können. Sie müssen wieder neu anfangen. Ich halte eine Regierungsreform für dringend notwendig. Aber dazu ist eine Verfassungsänderung und ein Volksentscheid nötig.

die furche: Wie wichtig sind bei außenpolitischen Treffen persönliche Kontakte und Sympathien zwischen einzelnen Politikern?

Ogi: Auch wenn man heute problemlos nach Australien, Südafrika oder Österreich telefonieren kann, so sind doch Gespräche unter vier Augen und freundschaftliche Beziehung entscheidend. Es ist schon so, dass ein Land nach außen immer wieder mit der Persönlichkeit einzelner Politiker identifiziert wird.

die furche: Bevor Sie sich, wie angekündigt, völlig aus der Politik zurückziehen, erwarten Sie noch einige hochrangige Staatsbesuche...

Ogi: Bei seinem Staatsbesuch vor acht Jahren konnte ich Bundespräsident Klestil in meiner Eigenschaft als Vizepräsident empfangen. Seither pflegen wir einen sehr guten Kontakt. Mit Ciampi verbindet mich, ähnlich wie mit Mitterand, echte Freundschaft.

die furche: Wie war eine Freundschaft zwischen Ihnen und Mitterand, von Politikern so unterschiedlicher Couleur überhaupt möglich?

Ogi: Mitterand war für mich fast so etwas wie eine Vaterfigur. Ich kann mir bis heute kaum erklären, warum er mich wirklich mochte. Er ließ es sich nicht nehmen, meinen damals hochbetagten Vater in meinem Heimatort Kandersteg persönlich zu besuchen. Mitterand hat mich in der schwierigen Zeit nach dem Nein der Schweizer zum EWR unterstützt und mich über die europäischen Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.

die furche: Bestünde heute die Chance, dass ein EU-Beitritt der Schweiz bei einer Volksabstimmung angenommen würde?

Ogi: Dazu wäre eine zweifache Zustimmungen nötig. Das Ja der Mitbürger und das Ja der Kantone für die erforderliche Verfassungsänderung. Eine solches Abstimmungsergebnis ist zur Zeit unwahrscheinlich. Das steht nicht zuletzt im direkten Zusammenhang mit dem Verhalten der EU gegenüber Österreich in jüngster Vergangenheit. Die sogenannten Sanktionen gegenüber dem österreichischen Nachbarland, sind bei uns auf wenig Verständnis gestoßen.

die furche: Unter welchen Umständen dürfen Ihrer Meinung nach Staatengemeinschaften wie die EU in die Regierungsbildung eines demokratischen Landes eingreifen?

Ogi: Nach der Europa-Charta hat jedes Land das Recht, seine Regierung frei zu bestimmen. Dieses Eingreifen der EU in Österreichs innere Angelegenheiten hat den Schweizern missfallen. Allerdings ist für die Schweiz, die ja kein Mitglied der EU ist, bei dieser Beurteilung eine gewisse Zurückhaltung geboten. Persönlich aber scheint mir, dass dadurch auf lange Sicht die EU wohl Schaden erlitten hat.

die furche: Hat Ihrer Meinung nach die ablehnende Haltung Dänemarks gegenüber dem Euro auch mit den EU-Sanktionen zu tun?

Ogi: Ich denke schon. Als wir im Mai über die bilateralen Verträge abgestimmt haben, gaben 67 Prozent des Schweizer Volkes Ja-Stimmen ab. Das ist zwar ein gutes Ergebnis. Aber ich bin sicher, dass wir wegen der Probleme Österreichs mit der EU fünf Prozent der Stimmen verloren haben.

die furche: Kürzlich hat Sie der österreichische Verteidigungsminister Herbert Scheibner besucht. Ging es da auch um das gemeinsame Engagement Österreichs und der Schweiz im Kosovo?

Ogi: Unsere Soldaten müssen bei solchen Einsätzen unbewaffnet sein. Nun hat Österreich sich bereit erklärt, ihren militärischen Schutz zu übernehmen. Ich möchte an dieser Stelle Österreich in Namen der Schweiz offiziell meinen Dank aussprechen. Zwei Tage nach dem Besuch des österreichischen Verteidigungsministers haben wir den Verbleib unserer Soldaten, im österreichischen und im deutschen Sektor des Kosovo, um ein Jahr verlängert.

die furche: Ist die Schweiz auch an der Partnerschaft für den Frieden beteiligt?

Ogi: Ja, wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Dies ist wohl der einzige internationale Vertrag, bei dem man bildlich gesprochen, a la carte auswählen kann. Einer unserer wichtigsten Beiträge bei dieser Partnerschaft, ist die Schaffung von drei Zentren: Des Zentrums für Sicherheitspolitik, des Zentrums für humanitäre Minenräumung und des erst kürzlich eingeweihten Zentrums für die demokratische Rolle von Armeen.

die furche: Wie sehen Sie die Aussichten der Schweiz, in naher Zukunft Mitglied der NATO zu werden?

Ogi: Da die Schweiz ein neutrales Land ist, hat sie an einem NATO-Beitritt zur Zeit kein großes Interesse. Die Wurzeln von Konflikten wie im Balkan liegen vor allem in kulturellen Spannungen. Mit unseren vier Kulturen, vier Sprachen und 26 Kantonen haben wir lange Zeit hindurch Erfahrungen gesammelt, die wir nun einbringen können. Auch unsere Neutralität kann bei Vermittlung in solchen Konflikten von großem Nutzen sein.

die furche: Man sagt in Anspielung auf die schweizerischen Isolationstendenzen: Wäre Gott Schweizer gewesen, hätte er wohl kaum die Welt geschaffen. Sind Sie mit ihrer Weltoffenheit ein untypischer Schweizer?

Ogi: Ich denke nicht. Im Grunde sind wir mit unseren verschiedenen Kulturen das internationalste Land Europas. Das wird im Ausland zu wenig beachtet. Wenn wir wie geplant 2002 - noch vor dem Vatikan - der UNO beitreten, wird sich das hoffentlich herumsprechen. Aber schon heute sind wir als Mitglied der OSZE aktiv an der Friedensförderung beteiligt. Unsere Militärbeobachter sind in 15 Staaten eingesetzt.

die furche: Könnte die Schweiz mit ihrem ausgeprägten Subsidiaritätsprinzip ein Modell in Europa sein?

Ogi: Subsidiarität ist das europäische Schlüsselwort. Wir haben eine gelebte Subsidiarität und zwar von unten nach oben. Das ist entscheidend. Deshalb sind wir, auch wenn es in manchen Ohren vorlaut klingen mag, ein Modell für Europa. Wir haben langjährige Erfahrungen mit gelebter Subsidiarität, mit Demokratie und Neutralität gesammelt. Das sind auch wichtige Werte für die EU. Ich hoffe, dass dies auch entsprechend beachtet wird. Das strategische Ziel des Bundesrates bleibt weiterhin der EU- Beitritt der Schweiz. Aber das wird nur gelingen, wenn man kleine Länder zukünftig nicht wie Österreich behandelt.

die furche: Ist die Schweiz mit ihrer Konkordanzdemokratie auf das neue Jahrtausend vorbereitet?

Ogi: In die Schweiz ist wieder Zuversicht, Mut und Risikobereitschaft eingekehrt. Unser politisches System mag zwar langsam erscheinen, aber es hat sich über die letzten 152 Jahre bewährt. Unsere Regierungsform, die seit 1957 in der gleichen Zusammensetzung besteht, hat uns innenpolitisch stabil und nach außen hin berechenbar gemacht. Dass es so ist, haben wir in erster Linie der Schritt-für- Schrittpolitik unserer direkten Demokratie zu verdanken.

Das Gespräch führte Felicitas von Schönborn.

Zur Person: Vom Skiverbandsdirektor zum Bundespräsidenten Adolf Ogi wurde am 18. Juli 1942 in Kandersteg im Kanton Bern geboren. Nach den Grundschulen in Kandersteg erwarb er das Handelsdiplom der Ecole superieure de commerce in La Neuveville. 1964 trat Ogi in den Dienst des Schweizerischen Skiverbandes, dessen Direktor er 1975 wurde. Von 1971 bis 1983 war er Vizepräsident des Welt- und Europakomitees der "Federation internationale de ski" (FIS).

1981 wurde Adolf Ogi Generaldirektor und Mitglied des Verwaltungsrates der Intersport Schweiz Holding AG. Im Militär war er zuletzt im Armeestab in der Sachgruppe Strategie tätig. Seit 1978 ist Ogi Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Von 1984 bis 1987 war er deren Präsident. 1979 wurde er in den Nationalrat gewählt. Ab 1. Januar 1988 war Bundesrat Ogi Chef des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements. Seit 1995 ist er Chef des Eidgenössischen Militärdepartements. 2000 übernahm Adolf Ogi zum zweiten Mal nach 1993 die Funktion des Schweizer Bundespräsidenten.

Adolf Ogi ist verheiratet und Vater zweier Kinder (Mathias, 1973, und Caroline, 1975).

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