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Die Schweiz und die UNO

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Die Diskussion über das Verhältnis der Eidgenossenschaft zu den Vereinten Nationen scheint in ein neues Stadium einzutreten. Das erhellt daraus, daß die Frage eines UNO-Beitrittes in der Schweizer Öffentlichkeit seit einiger Zeit mit größerer Unbefangenheit als bis an- hin besprochen wird. Bundesrat Spühler, der neue helvetische Außenminister, hat in einer Rede vor den Delegierten der sozialdemokratischen Partei in Lausanne die Frage eines Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen erstmals offen in beitrittsfreundlichem Sinne erörtert. Gleichzeitig hat auch Nationalrat Furgler, der Chef der konservativ-christlichsozialen Parlamentsfraktion, sich in einer Rede mit diesem Problem befaßt, wobei er — deutlicher als der Außenminister — hervorhob, daß eine Mitgliedschaft nur in Frage komme unter voller Wahrung der integralen Neutralität der Schweiz. Um die Neutralität mit einer Mitgliedschaft in Übereinstimmung zu bringen, wäre jedenfalls eine Ausnahmereglung für die Schweiz nötig.

Stimmungswandel im Bundeshaus

Man erkennt im Bestreben Bundesrat Spühlers, eine beitrittsfreundlichere Atmosphäre herbeizufühen, und in den Äußerungen Furglers unschwer, daß sich in den führenden politischen Kreisen der Schweiz eine Wandlung der Einstellung zur UNO vollzieht. Das wird dann besonders deutlich, wenn man sich erinnert, daß der Vorgänger Spühlers im Außenministerium, Bundesrat

Wahlen, in seinem Schwanengesang vor dem Parlament noch vor Jahresfrist erklärte, die Nachteile wögen die Vorteile eines Beitritts auf und die Regierung halte einen solchen einstweilen nicht für möglich, weil die Schweiz die Anerkennung ihrer Neutralität nicht erreichen könne. Diese Auffassung Wahlens ist letzten Sommer bestätigt worden durch Äußerungen Generalsekretär

U Thants, der in Genf vor Journalisten erklärte, die Schweiz werde keine Ausnahmeregelung zugesprochen erhalten.

Wandlungen im New Yorker Glaspalast

Warum wird trotzdem von schweizerischer Seite schon ein Jahr nach der Rede Wahlens das Thema erneut aufgegriffen? Ein gewisser Stimmungsschwung, der sich darin manifestiert, geht zurück auf das Bemühen, die schweizerische Solidarität mit den andern Völkern stärker unter Beweis zu stellen. Man glaubt dies auch deswegen wagen zu können, weil sich die UNO selber in einem Wandlungsprozeß befindet. Tatsache ist, daß das Statut und namentlich die Bestimmungen über Sanktionen (Zwangsmaßnahmen) in den letzten Jahren einer „kalten Revision“ unterzogen worden sind: Sie stehen zwar dem Buchstaben nach weiterhin in Kraft, aber sie werden nicht angewendet und können praktisch wegen des Vetorechts der Großmächte kaum gehandhabt werden. Die UNO konzentriert sich daher mehr und mehr auf die Friedenssicherung durch freiwillige Aktionen.

Das Beispiel Österreichs

Dazu kommt, daß Österreich just in dem Moment, als es sich zu einer Neutralität „nach schweizerischem Muster“ bekannte, in die UNO als Neutraler aufgenommen wurde. Was den Österreichern recht ist, ist den Schweizern billig — argumentieren die Befürworter des schweizerischen

Beitritts. Die Schweiz wolle, so erklärte auch Bundesrat Spühler, nur als Neutraler UNO-Mitglied werden. Das werde möglich werden, wenn der Wand'lungsprozeß der UNO vom Sanktionensystem zu jenem der Friedenssicherung weiterhin Fortschritte mache. Da dieser Prozeß im Gange ist, erscheint es der schweizerischen Regierung richtig, daß nun die Debatte über die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Hindernisse eines schweizerischen Beitritts auf breiter Basis einsetzt und daß sich Volk und Behörden in aller Ruhe den schweizerischen Standpunkt erarbeiten. Dazu gehört eine leidenschaftslose Abklärung der neutralitätspolitischen und neutralitätsrechtlichen Voraussetzung.

Einen wertvollen Beitrag zu dieser Klärung hat jüngst Prof. Dietrich Schindler in der Zeitschrift „Europa“ geleistet. Er erinnert daran, daß das neutrale Schweden der UNO im Bewußtsein bedgetreten war, daß es unter Umständen von seiner Neutralität werde abweichen müssen, daß aber die Entwicklung der UNO den Schweden diesen Entscheid erspart hat. Was Österreich anbelangt, wurde ihm zwar von der UNO keinerlei Sonderrecht und Sondermitgliedschaft zugestanden, doch zieht Wien aus dem Zusammentreffen der allgemeinen Anerkennung seiner Neutralität und der Aufnahme in die UNO den Schluß, daß die Staaten, die seine Neutralität anerkannt haben, verpflichtet seien, im Falle der Durchführung von UNO-Zwangs- maßnahmen Österreichs von der Teilnahme zu dispensieren. Diese Auffassung hat, trotz einigen juristischen Zweifeln, im allgemeinen Anerkennung gefunden, so daß Österreich heute den Status innehat, den die Schweiz anstrebt.

Keinesfalls um den Preis der Neutralität!

Der Schweiz bieten sich nach Schindler drei Möglichkeiten an, ihren Neutralitätsstatus im Rahmen der UNO aufreohtzuerhalten: Sie könnte erstens vorbehaltlos eintreten unter Berufung auf die seit 1945 faktisch eingetretenen Wandlungen der UNO, vor allem unter Hinweis darauf, daß das Sanktionenrecht durch Gewohnheit außer Kraft gesetzt worden sei. Schindler hält diese Interpretation für irrig und bekennt

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