Die Siedlung am Stadtrand

19451960198020002020

Auch Flüchtlinge müssen wohnen: ein Ausflug an den geographischen und sozialen Rand Wiens, in ein Flüchtlingsheim.

19451960198020002020

Auch Flüchtlinge müssen wohnen: ein Ausflug an den geographischen und sozialen Rand Wiens, in ein Flüchtlingsheim.

Werbung
Werbung
Werbung

Kinder spielen, sie singen bosnische Auszählreime und genießen Sonne, grün, Spielplatz und Wiesen. Teppiche hängen über Balkongitter aus Draht, auf den freien Laubengängen dahinter herrscht reges Kommen und Gehen. Hier wird auf unbestimmte Zeit gewohnt. Berührungsscheu kennen die Kleinen nicht, die Erwachsenen beäugen skeptisch die touristisch anmutende Gruppe architekturinteressierter Wiener, die sich an einem Sonntagnachmittag auf ein ehemaliges Kasernengelände in die hintersten Niederungen Simmerings begeben hat.

Hier heißt Wien schon Kaiser Ebersdorf. Objekt des Interesses ist ein Flüchtlingsheim in der Zinnergasse, das 1994 vom Architekturbüro Schwalm-Theiss und Gressenbauer realisiert wurde.

"Es sind viele Flüchtlinge aus dem Süden da, und die wohnen eben anders als wir," erklärt Georg Schwalm-Theiss die offene Architektur mit den türkisblauen, geriffelten Blechläden vor Türen und Fenstern. Davor gibt es Laubengänge aus Betonfertigteilen im Freien. Drei Trakte hat die Anlage, mit Wohnungen von 30, 53 und 80 Quadratmetern. Außerdem ein Kindertagesheim und Schulungsräume.

Teuer sieht das alles nicht aus. Daß es nur 13.000 Schilling pro Quadratmeter gekostet hat, würde aber kaum wer vermuten. Die Sparsamkeit hat Methode: "Es wäre nicht akzeptiert worden, daß Flüchtlinge luxuriöser wohnen als Inländer," erklärt der Architekt. Das Büro hatte mit großen Widerständen der FPÖ zu kämpfen.

Dieses Problem kennt auch Niki Heinelt von Dr. Kurt Ostbahns Integrationshaus in der Engerthstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Dort reagierte man innovativ auf die freiheitliche Politik. "Als die ersten hundert Flüchtlinge kamen, sagten wir einmal gar nichts. Es gab keine Pressekonferenz, wir warteten vorerst zwei, drei Monate ab," so Heinelt. In diesem Zeitraum änderte sich an der Diebstahls- und Verbrechensstatistik erwartungsgemäß nichts. "Dann haben wir den Leuten mitgeteilt, daß seit drei Monaten Flüchtlinge hier wohnen," kann sich Heinelt ein Grinsen nicht verkneifen.

Übergangslösung Das Integrationshaus ist genauso wie das Heim in der Simmeringer Zinnergasse eine Übergangslösung, in der etwa 50 Flüchtlings- und Asylantenfamilien auf das reguläre Leben in Österreich vorbereitet werden sollen. Das beinhaltet Deutschkurse, Arbeitsplatzsuche und Unterstützung beim Finden einer festen Bleibe.

Mit Flüchtlingen hat Heinelt durchwegs gute Erfahungen, sie sind etwa nach zwei Jahren soweit, daß sie das Integrationshaus mit den eigenen vier Wänden vertauschen können. Der Komfort der Übergangswohnungen ist noch niederer als in der Zinnergasse. "Wir haben bewußt die Duschen und WC's am Gang, damit die Leute ein Erfolgserlebnis mit der ersten Wohnung haben. Wenn sie unser Haus verlassen, können sie sich schon was Besseres leisten," erklärt Heinelt den niederen Standard.

Für Asylwerber ist es allerdings nicht so einfach, die temporäre Bleibe mit einer anderen auszutauschen. Sie müssen auf einen positiven Aufenthaltsbescheid warten. Das kann acht oder neun Jahre dauern und dann trotzdem negativ ausgehen.

Im Jahr 1994, als das Projekt in der Simmeringer Zinnergasse von der gemeinnützigen Wohnbauvereinigung für Privatangestellte in Auftrag gegeben wurde, war der Bedarf an Übergangswohnungen für Ausländer groß. Das Grundstück auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne der K.u.K. Armee hatte schon einschlägige Geschichte: bereits 1956 wurden ungarische Flüchtlinge im alten Militärbau der Monarchie untergebracht. Einige von ihnen leben immer noch in den großen Sälen, in denen früher Soldaten für die kaiserliche Armee ausgebildet wurden. Andere bewohnen barackenähnliche Provisorien.

Leere Wohnungen Mit dem neuen Zubau hat zumindest ein Teil der Flüchtlinge auf dem Areal bessere Wohnbedingungen. "Ich bin zufrieden, ich habe Warmwasser," sagt Senai Selimovic aus Bosnien. Er wohnt seit einem Jahr mit seiner Frau und zwei Kindern im Heim. Seine 53 Quadratmeter mit Küche und Sanitäreinheit kosten ihn 4.400 Schilling im Monat, "aber ich muß nur noch den Strom extra zahlen," lacht er. Sein Deutsch ist so, daß er besser verstehen als sprechen kann, doch immerhin reicht es für eine Arbeit. Wenn die Terrasse auch noch ein Dach hätte und nicht im Winter zugeschneit wäre, könnte er gänzlich zufrieden sein. Mit den Nachbarn hat er kein Problem, und das ist erfreulich.

Die restriktive Änderung der Flüchtlingspolitik im Jahr 1997, die schneller eingetreten als der Bau fertiggestellt war, führte nämlich zu einer wundersamen österreichischen Lösung. Der so sorgsam zum Versiegen gebrachte Flüchtlingsstrom sorgte dafür, daß plötzlich an die 40 Wohneinheiten leerstanden. Die werden nun von alleinerziehenden Müttern und Polizeischülern bewohnt. "Es ist eine Möglichkeit, daß Polizisten in Ausbildung eine natürliche Einstellung zu Flüchtlingen entwickeln, und das funktoniert gut," erklärt Archtiekt Schwalm-Theiss.

Der Bauherrnpreis, den das Projekt in der Zinnergasse 1998 erhielt, ist verdient. Aus einer Siedlung für Ausländer einen Ort der Begegnung zu machen, gelingt schließlich nicht jedem.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung