Die Stadt Wien und die direkte Demokratie

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Auf den ersten Blick ist die Stadt Wien eine "Stadt der direkten Demokratie“, die ihren Bürgern seit 1973 in acht Volksbefragungen insgesamt 32 Fragen vorgelegt hat (ohne Untergliederungen), um deren Votum einzuholen; häufig mit viel Werbeaufwand betrieben und relativ wenigen echten Auswirkungen (weil schon von Rechts wegen unverbindlich).

Da wäre freilich noch die "BürgerInnen-Umfrage“ zur "Mahü“ (eigentlich ein fürchterlicher lokaler Jargon!), die mit einem knappen und unklaren Abstimmungsergebnis endete. Und vor allem: sie ist ein Fallbeispiel, wie nach demokratischen Normen der objektive Bürgerwille nicht erkundet werden sollte. Hierzu nur einige kurze Hinweise.

Direkte Demokratie als Notnagel

Kein wienweiter Stadtdiskurs: Über viele Jahrzehnte trennte eine breite Koalition aus Technikern, Planern, Juristen und Politikern die Menschen im öffentlichen Raum mit Demarkationslinien, disziplinierte sie, teilte ihnen Rechte und Pflichten zu, Fußgänger wurden von der Straßenfläche vertrieben, um Platz für die Autos zu schaffen. Für Radfahrer findet man bis heute keinen rechten Platz. Getrieben von der international aufgebauschten Mode der shared spaces will die grüne Stadtpolitikerin nun die Vermischung der Menschen in sogenannten Begegnungszonen! Zurück in die Zukunft?

Direkte Demokratie als Notnagel: Wenn ein für die Grünen symbolisch wie wahlpolitisch prestigeträchtiges Projekt sich von unten her politisiert, flüchten die Verantwortlichen in eine Befragung - eine sehr weiche Variante der direkten Demokratie - um die Meinung "betroffener“ Bürger zu erkunden. Vorsorglich wird das zugelassene Wahlvolk zurechtgeschneidert und eine zielgerichtete Überzeugungswelle gestartet, im Kern eine Mobilisierungskampagne der Grünen in einem Überlebensgebiet.

Verkehrsberuhigung als Suggestion: Die in der grünen Kampagne gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, wer gegen das Projekt sei, sei gegen Verkehrsberuhigung, spaltete die Bürgerschaft und nahm die Chance auf einen breiten Konsens.

Vertagung von wirkungsmächtigen Details: Wichtiges - wie die Anzahl der Querungen etc. - wurde vertagt und blieb in der Abstimmungsvorlage vage formuliert, wie auch die Kosten des Projektes nicht einmal angedeutet wurden. Das Projekt soll nach den offiziellen Angaben die steuerzahlenden Bürger Wiens - direkt und indirekt - mindestens 30 Millionen Euro kosten, in einer Stadt, die sich gerne Wohlfahrtskönigin wähnt und tatsächlich auf einem riesigen Schuldenberg sitzt. Erfahrungsgemäß werden die Kosten höher ausfallen.

Weiterhin: Hätte die grüne Stadtpolitikerin den Bürgern konkrete Querungsvarianten und/oder eine begründete objektive Kostenschätzung ihres Projektes vorgelegt, dann wäre die Befragung mit einer klaren Mehrheit gegen das Projekt ausgegangen.

Halten wir fest: Der von den Grünen gepflegte Mythos, sie seien Kämpfer für die urbane Demokratie, zerbricht (wieder einmal) an der eigenen politischen Praxis. Die Grünen postulieren Bürgerrechte und regieren "rechts“. Aber halten wir ihnen zugute: Der Umgang mit den Bürgern und mit der direkten Demokratie in Wien ist historisch eingebettet, den Pfad können und wollen die Grünen nicht verlassen.

Die "Menschen draußen“

Seit 1919 regiert die SPÖ in Wien - mit Ausnahme der Jahre 1934 bis 1945 -, meistens als Alleinpartei, permanent ist sie Bürgermeisterpartei. Ihr Regierungspersonal wechselt, die Partei bleibt an der Macht. Parteiliche Eigeninteressen haben sich nachhaltig verfestigt und sind in der Rathauspolitik bestimmend, das kommunale Regieren verliert an Offenheit, Transparenz und Bewertbarkeit, Selbstgewissheit der Repräsentanten hat sich breitgemacht. Ideologisch ist die Stadtpolitik wohlfahrtssozialistisch geprägt. Bereits die Einführung der "Breitner“-Steuern oder der diversen "Luxus“-Abgaben nach 1920 war ein selbstgewisser wie antibürgerlicher respektive klassenkämpferischer Akt, ohne visionären Konsens aller. Die Armen sind arm, weil die Reichen reich sind: Diese falsche alte und neue wohlfahrtssozialistische Story wird bis heute fortgestrickt. Am aktuellen Ende steht die soziale Verbürgung: Förderung 2.0 - Gratisnachhilfeunterricht in der Schule für die Sechs- bis 14-Jährigen im Sinne des behaupteten Anliegens von Chancengleichheit und Gerechtigkeit für Benachteiligte.

Symptomatisch ist das Von-sich-überzeugt-Sein der Regierenden - man wisse schon, was das Richtige sei für die proletarischen Massen (damals) bzw. die "Menschen draußen“ (heute). Notabene sind direkte Bürgerrechte ein Störfaktor einer ideologisch-selbstgewissen Rathauspolitik. Bürger können anderes wollen. SPÖ-seitig wurden Bürgerrechte stets skeptisch betrachtet und demzufolge erst 1978 (und dies restriktiv) in die Stadtverfassung aufgenommen.

Wollt ihr Vollbeschäftigung?

Gerne und anlassbezogen belehren Regierende von SPÖ (wie Grünen) die Bürger, ihre Voten hätten allenfalls eine Ergänzungsfunktion zu der prinzipiell den gewählten Regierenden vorbehaltenen Entscheidungsbefugnis im vorrangigen Repräsentativsystem. In direktdemokratischen Prozessen werden Bürger zielgerichtet und zumeist erfolgreich für die Abstimmungsziele und verbundene parteipolitische Ziele organisiert. Häufig werden die Bürger zur Meinungsäußerung über populäre Konventionen aufgerufen. Wollt ihr Vollbeschäftigung? Keine der den Bürgern in Wien vorgelegten 32 Frageformulierungen wurde vor der Abstimmung von Sprachwissenschaftlern oder Umfrageforschern auf ihre Qualität getestet, um Unklarheiten und Manipulationsabsichten auszuschließen und sicher zu sein, dass die Fragen soweit wie möglich den objektiven Volkswillen messen. Der diesbezügliche Qualitätsunterschied zu westlichen Ländern wie Großbritannien, Neuseeland oder Kalifornien ist mehr als eklatant.

Noch glauben Bürger in Wien hoffentlich daran, dass ihre Stadt ein Ort der direkten Demokratie sein soll. Der demokratische Zentralismus der Stadtpolitik ist eine mächtige Gegenpraxis zur städtischen Bürgerdemokratie. Ist Bürgerdemokratie in Wien unmöglich wie "heißes Eis“? Es liegt an den Bürgern der Stadt, die politische Bühne zu betreten und eine Antwort zu geben.

* Der Autor ist ao. Universitätsprofessor und als Politikberater tätig

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