Die Suche nach der Kontroverse

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Die Verweigerung bei TV-Duellen ist nur ein Indiz einer vernachlässigten Debattenkultur. Politischer Dialog findet in Österreich nur im Verborgenen statt. Zwei Amerikaner bieten dazu eine Hilfestellung.

Diese Woche war also Heinz-Christian Strache dran. In der Puls 4-Küche durfte der FPÖ-Chef unter dem Motto "Wer serviert, regiert“ ein Schweinsschnitzerl panieren und Fragen beantworten. Zuvor hatte BZÖ-Obmann Josef Bucher Hühnerbrust und die Grünen-Chefin Eva Glawischnig Biospinat vorgekocht. Frank Stronach vom gleichnamigen "Team“, Michael Spindelegger (ÖVP) und SP-Kanzler Werner Faymann werden in den folgenden Wochen im Privatfernsehen ihr "Rezept für Österreich“ präsentieren. So bereitwillig die Spitzenkandidaten sich vor der Wahl an den Herd stellen, so skeptisch sehen sie TV-Konfrontationen mit ihren Konkurrenten. Frank Stronach sagte ein geplantes ATV-Duell mit Strache kurzerhand ab und warf damit das ganze TV-Format um. Und Kanzler und Vizekanzler haben letzte Woche unisono verkündet, an der ORF-"Elefantenrunde“ nicht teilnehmen zu wollen. Vielleicht befürchten sie, dort noch mehr anzurichten als ihr Lieblingsrezept.

Drei Monate vor der Wahl haben diejenigen, die um Stimmen kämpfen, erstaunlich wenig Lust auf politische Debatten. "Man muss aber klar unterscheiden zwischen Polit-Wrestling vor Publikum und tatsächlichen Debatten“, gibt Dietmar Halper, Direktor der Politischen Akademie der ÖVP, zu bedenken. Das Konzept von Rede und Gegenrede, bei dem man einander zuhört, das Gesagte aufnimmt und kritisch reflektiert, ist das wichtigste Mittel des politischen Diskurses. "Vor laufenden Fernsehkameras passiert das nicht, da gelten andere Spielregeln“, meint Halper. Wo also finden in Österreich ernsthafte Debatten über Grundsätzliches statt?

Entscheidungen wirken beliebig

Meist im Verborgenen. Die montäglichen Ministerratsvorbesprechungen im internen Kreis sind laut Halper klassische Debatten. Auch bei parlamentarischen Ausschusssitzungen wird um den richtigen Weg gerungen. Bei den öffentlichen Plenarsitzungen ist davon allerdings nur mehr wenig zu spüren.

Dabei zieht sich die Überzeugung, dass politischer Diskurs Kernelement einer Demokratie ist, durch alle Parteien. Die Parteiakademien von ÖVP, SPÖ und Grünen pflegen sogar seit Anfang des Jahres eine fruchtbare Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg, erzählt Karl Duffek, Direktor des sozialdemokratischen Karl-Renner-Instituts: Unter dem Titel "Charta 13“ kommen regelmäßig Vertreter aller Partein und der Zivilgesellschaft zusammen, um große Fragen zu debattieren. Die Presse oder ein breites Publikum sind aber nicht erwünscht: "Es geht stark ins Diskursive. Man soll offen sprechen können und nicht von Journalisten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn man einen schiefen Satz sagt“, erklärt Duffek.

Der Wunsch, in einem geschützten Raum inhaltliche Auseinandersetzungen zu führen, ohne von der Öffentlichkeit als Verlierer wahrgenommen zu werden, sobald man sich aufeinander zu bewegt, ist verständlich. Doch die fehlende Sichtbarkeit von ernsthaften politischen Debatten ist nicht unproblematisch: Sie sorgt dafür, dass politische Entscheidungen oft beliebig bis populistisch wirken. Wie sie getroffen wurden, ist nicht nachvollziehbar.

Dass die Bewertungen des österreichischen Rückzugs aus der UNO-Mission am Golan sich auf einer Skala von "Heldentat“ bis "Schissbefehl“ (© Profil) bewegen, liegt auch daran, dass es seit Jahren keine ernsthafte Debatte über Österreichs Außenpolitik gegeben hat. Wie können und wollen wir Geopolitik gestalten? Was sind außenpolitische Ziele? Und was sind wir bereit, dafür zu geben? Erst ernsthafte und gut diskutierte Antworten auf diese Fragen können die Richtung der Sicherheitspolitik und die Rolle des Bundesheeres bestimmen. Das wiederum wäre die Grundvoraussetzung, um qualifiziert zu entscheiden, ob es eine allgemeine Wehrpflicht geben soll. Den langwierigen und sperrigen Prozess sparte sich die Regierung aber bekanntlich, und ließ das Volk im Jänner lieber eine knappe Ja-Nein-Frage beantworten.

Oder: Statt unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse zu diskutieren und an einem schlüssigen Verkehrskonzept zu kiefeln, wird ein paar Monate vor der Wahl die Pendlerpauschale erhöht. Und die Schlüsselfrage, welche Bedürfnisse eine Gesellschaft hat, die gleichberechtigt, demographisch ausgeglichen und volkswirtschaftlich erfolgreich ist, verliert sich in Haarspaltereien um Ausbildung und Bezahlung von Pädagogen. Was bleibt, ist der fahle Geschmack, mit Platitüden abgespeist worden zu sein.

Intensiv-Diskurs zum Nachlesen

Dieses Gefühl kennen auch die beiden US-Amerikaner Phil Neisser und Jacob Hess. Beide sind Politologen, doch sonst gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Neisser bezeichnet sich als "linker Atheist“ und stammt aus New York, Hess ist überzeugter Konservativer und praktizierender Christ aus Utah. Trotz der vielen Unterschiede haben sie sich auf ein ungewöhnliches Projekt eingelassen: Eineinhalb Jahre lang haben sie intensiven Dialog geführt. Der reichte von Fragen der Moral und Macht bis hin zu Geschlechterrollen und Sexualität. "Es ging nicht darum, einander zu überzeugen oder einen Kompromiss zu finden“, sagt Neisser. "Wir wollten verstehen, wo der andere herkommt und prüfen, ob es Gemeinsamkeiten gibt.“

Dabei machten es sich die beiden nicht leicht. Sie fragten einander: "Welchen Autoritäten trauen wir und warum?“ Oder: "Ist institutionalisierte Religion gut oder schlecht?“ Auch vor heiklen Fragen wie "Welche Rolle spielt die Biologie bei sexueller Orientierung?“ schreckten sie nicht zurück. Die durchaus kontroversen Antworten und die reflektierte Entwicklung der Diskussion kann man im (derzeit nur auf Englisch erhältlichen) Buch "You‘re not as crazy as I thought (But you‘re still wrong)“ nachlesen. Ihre anfängliche Sorge, dass die eigene politische Meinung durch zu viel Austausch verwässert, war übrigens umsonst: "Am Ende waren unsere politischen Positionen klarer und solider als je zuvor“, meint Hess

Ein Thema aus der Konversation - nämlich: "In welchem Zusammenhang stehen Moral, Werte und Recht?“ - sei all jenen empfohlen, die derzeit im Justizministerium diskutieren. Dort wird nämlich gerade an einer umfassenden Reform des Strafrechts gearbeitet - und zwar auf eine ungewöhnlich diskursive Art. Politische Ziele sind (vorerst) keine vorgegeben. Stattdessen evaluieren Experten aus Praxis und Wissenschaft die derzeitige Gesetzeslage und erarbeiten Verbesserungsvorschläge. Ergebnis offen! Aber weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.

You‘re not as crazy as I thought

(But you are still wrong). Conversations between a Die-Hard Liberal and a Devoted Conservative. Von Phil Neisser und Jacob Hess. Potomac Books 2013. 221 Seiten, geb., e 22,60

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