Die Taxis nehmen jeden mit

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Ich bin noch immer auf der Suche nach dem Taxi-Fahrer, der mich nicht mitnimmt", sagt Gerhard Huemer, der vor etwas mehr als einem Jahr von der Wirtschaftskammer Österreich in den in Brüssel ansässigen Europäischen Dachverband für Klein- und Mittelbetriebe wechselte. Auch Martina Rattinger, als Leiterin des Verbindungsbüros Kärnten bei der EU für Schmähungen theoretisch besonders prädestiniert, hat trotz angekündigtem Boykott gegen Österreicher, noch kein Taxler abgewiesen. Sie weiß aber von "Kollegen und Bekannten, die kurz nach Angelobung der neuen Regierung Anfang Februar Probleme hatten." Im persönlichen Gespräch mit Belgiern aber auch in Restaurants, beim Frisör und in Supermärkten ist von der in vielen österreichischen Medien kolportierten Anti-Österreich-Stimmung der Belgier nichts zu merken. Was viele nicht wissen: Insbesondere die Einwohner des flämischen Landesteils haben für die betont kritische Haltung ihrer Zentralregierung immer weniger Verständnis.

Kontakte mit belgischen Behörden arten momentan hingegen nicht selten in ein verbales Gerangel über die rot-weiß-rote Causa prima aus. "Als ich kürzlich eine Anzeige wegen einer gestohlenen Kreditkarte machen wollte und der Polizeibeamte bemerkte, daß ich Österreicherin bin, wurde ich auf einmal selbst zum verdächtigen Objekt", erzählt Ortrun Gauper vom EU-Büro des ÖGB. "Der Polizist prüfte nach, ob nicht im belgischen Strafregister etwas gegen mich vorliegt."

Kaum besser ging es einem anderen Österreicher, der einen Monatsausweis für die Benützung der Brüsseler Verkehrsmittel lösen wollte. "Die zwei Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe begannen auf einmal heftig über Sinn und Unsinn der belgischen Sanktionspolitik zu streiten. Daß ich einen Fahrausweis wollte, kümmerte sie nur noch am Rande." Und als Martin Säckl, Lobbyist eines österreichischen PR-Unternehmens, mit seinem Wagen eine Einfahrt verstellte, mußte er sich vom betroffenen Hausinhaber und dem flugs herbeigeeilten Polizisten den Vorwurf gefallen lassen, ein "typischer rücksichtloser Österreicher" zu sein.

Im Arbeitsumfeld, sagt Martina Rattinger vom Kärnten-Büro, verlaufen die Kontakte mit Kollegen wie mit Ansprechpartnern in den europäischen Institutionen dagegen nach wie vor professionell und korrekt ab. "Auf der für uns entscheidenden Ebene der EU-Parlamentarier und in der Europäischen Kommission gibt es überhaupt keine Probleme. Die Leute sind nett wie immer." Freilich: Belgische Vertreter - auch solche, die in einer europäischen Funktion tätig sind - schalten schon dann und wann einmal auf stur. Die explizite Ausladung der österreichischen Botschafter in Belgien und bei der Europäischen Union von einer von der Europäischen Kommission (und indirekt damit auch von Österreich) mitfinanzierten Festveranstaltung zur Eröffnung des Projekts "Europäische Kulturhauptstadt 2000" war nur die Spitze des Eisbergs.

Eine ähnliche Erfahrung hat Richard Seeber, Leiter des Tirol-Büros bei der EU und mit fünf Jahren Aufenthalt in Brüssel schon ein EU-Veteran, gemacht: "Unlängst hatten wir eine hochrangige Delegation aus Tirol zu Gast. Unter anderem sollte ein Treffen mit dem derzeitigen Präsidenten des Ausschuß der Regionen, einem belgischen Christdemokraten, organisiert werden." Ohne Erfolg. Selbst dreimaliges Urgieren konnte den Belgier nicht dazu bewegen, auf die Anfrage des Tirol-Büros zumindest eine Antwort zu geben. Seebers Schlußfolgerung: "Zu Kommission und Europaparlament gibt es ein korrektes Verhältnis. Aber wann immer es um Kontakte mit belgischen Behörden geht, steht man vor verschlossenen Türen."

Die etwa 500 Österreicher, die in einer der europäischen Institutionen tätig sind, und ihre Landsleute in den Interessenvertretungen waren vor allem unmittelbar nach Angelobung der neuen Regierung voll damit beschäftigt, den Informationshunger ihrer Kollegen über den vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsruck in Österreich zu stillen. Diskussionen über das Warum und Wie standen lange auf der Tagesordnung. "Manchmal", sagt ÖGB-Vertreterin Gauper, "schwang sogar die Sorge mit, ob wir Gewerkschaftler in Österreich jetzt in Gefahr sind."

Keine Menschenhatz Von der hierzulande vermuteten Österreicher-Hatz kann jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Die meisten EU-Beamten sind selbst über die Heftigkeit der Reaktionen der Politik gegenüber Österreich erstaunt. "Die FP-Regierungsbeteiligung wird von einigen zwar als unmoralisch angesehen", erzählt Gewerkschaftlerin Ortrun Gauper, "trotzdem halten viele die Boykottmaßnahmen gegen Österreich für übertrieben." Kein Wunder: Daß Einfrieren der offiziellen bilateralen Kontakte der 14 EU-Partnerländer zur österreichischen Regierung wurde - an der Brüsseler Maschinerie vorbei - in den 14 Hauptstädten der Union ausgeklügelt.

Österreichs EU-Botschafter Gregor Woschnagg war über die Sanktionen wohl mindestens ebenso überrascht wie seine Kollegen aus Deutschland, Italien oder Dänemark. "Unter meinen Kollegen", meint Lothar Jaschke, der vor gut einem Jahr das österreichische Außenministerium für eine Stelle im Rat der Europäischen Union verlassen hat, "wird der Fall Österreich als ein Beispiel für die Grundwerte-Orientierung der Union gesehen, aber nicht als ein Fall, um Leute auszugrenzen." Die tägliche Arbeit werde durch die Sanktionspolitik nicht beeinträchtigt.

Sehr wohl durcheinandergewirbelt wurde für einige Zeit der Aufgabenbereich der Verbindungsstelle des Landes Kärnten bei der EU. Martina Rattinger: Wir haben damit zu kämpfen, daß das Kärnten-Büro automatisch mit der Freiheitlichen Partei gleichgesetzt wird." Vor allem viele ältere Menschen hätten bei ihr das Parteiprogramm der FPÖ angefordert und wollten ihre persönliche Meinung zur neuen Regierung loswerden. "Nachdem wir erklärt haben, daß wir zur Kärntner Landesregierung gehören und nicht zur FPÖ, waren die meisten einsichtig", schildert Rattinger ihre Erlebnisse.

Anfangs ein Albtraum Sieht man als Auslandsösterreicher in Brüssel die neue Regierung eigentlich anders als in der Heimat? Eine größere Differenzierung ihrer Meinung nehmen die meisten Österreicher, die in Brüssel arbeiten, für sich in Anspruch. Daß sie mit den Sanktionen einverstanden seien, heißt das aber noch lange nicht. Arbeitgebervertreter Huemer: "Natürlich hat man als Österreicher in Brüssel ein differenzierteres Bild über die laufende Diskussion. Ich verstehe auch, daß sich die Belgier und die anderen Europäer Sorgen darüber machen, ob dieses Experiment funktioniert. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn die österreichische Regierung aus innenpolitisch oder parteipolitisch motivierten Gründen kritisiert wird." Und Ratsbeamter Jaschke meint: "Am Anfang war das für mich ein Albtraum. Das weithin beliebte Österreich, das viel in die EU eingebracht hat, ist binnen kurzer Zeit zum internationalen Paria geworden." Allerdings sei dafür aus seiner Sicht auch die österreichische Innenpolitik verantwortlich und nicht nur "die böse EU".

Die Autorin ist EU-Korrespondentin der Tageszeitung "Wirtschaftsblatt" in Brüssel.

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