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Die Türen stehen offen

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Die Ursachen der Krankenkassenkrise, die nun in ein akutes Stadium getreten ist, liegen zweifellos tiefer als in der ultimativen Honorarforderung der Ärzte: sie ist nur der auslösende Anlaß, der Tropfen, der den schon lange randvoll gefüllten Krug zum Übergehen brachte. Dabei ist diese bis 31. März terminisierte Forderung — das sei klar festgehalten — keine mutwillige, keine willkürliche, keine „lebensstandardlüsterne“, sondern eine bereits vor langer Zeit angemeldete — und begründete. Im Vergleich zu anderen Berufsständen hinkt das Einkommen der Ärzteschaft aus der Sozialversicherung, auf die Höhe des Jahres 1945 bezogen, noch immer stark nach: ein Valori-sierungsfaktor von kaum 5/4 ist nicht eben häufig...

Was wünschen nun die Ärzte?

Sie fordern eine Erhöhung des Honorartarifs auf einen Stand, der einem Valorisierungsfaktor von 6,4 entspricht, was einer Angleichung an die derzeitige Gehaltsvalorisderung der Beamten des öffentlichen Dienstes entsprechen würde. Die Krankenkassen selbst bezeichnen diese Forderung als „berechtigt und maßvoll“. Maßvoll ist sie wohl auch deshalb, weil ja doch der Arzt — was beim Beamten nicht der Fall ist — in Ausübung seines Berufes Regien zu decken hat, deren Höhe weit über dem Valorisierungsfaktor von 6,4 liegen. Man denke nur an die Einrichtung einer Ordination, die Nachschaffung von Instrumenten und Apparaten, Strom- und Beheizungskosten; von der Reparatur oder gar Neuanschaffung eines Kraftfahrzeuges gar nicht zu reden.

Bedenkt man nun, daß die Forderungen bereits vor drei Jahren gestellt wurden, daß die Ärzteschaft aus Rücksicht auf die finanzielle Mißlage der Kassen und im Interesse der Patienten immer wieder zu einem Aufschub, einer kleinen Akontierung und anderen Kompromissen bereit war, so kann man ihr auch wahrhaftig nicht Mutwilligkeit vorwerfen.

Die Vertreter der Kassen anerkennen die Berechtigung der Ärztewünsche und wären grundsätzlich bereit, sie zu erfüllen, wenn — ja wenn sie eben die dazu nötigen finanziellen Mittel hätten. Daß die Gebarung der Krankenkassen seit längerer Zeit defizitär ist, ist allgemein bekannt. Ebenso weiß man, daß dagegen einiges unternommen worden ist. Es sei auf die Einführung der Krankenscheingebühr verwiesen, es sei auch an die so gewaltig angekündigte und so still zu Ende gegangene Enquete beim Sozialministerium erinnert. Der Erfolg dieser und ähnlicher Maßnahmen aber blieb aus.

Die Einführung der Krankenscheingebühr von fünf Schilling brachte den Krankenkassen im Jahre 1959 Mehreinnahmen von 60 Millionen Schilling, bei dem Betrag von 630 Millionen Schilling, der zur wirksamen Sanierung nötig wäre, nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Auch durch Einsparungen in der Verwaltung kann, wie Fachleute versichern, keine wesentlich wirksame Verbesserung der Gebarung erzielt werden. Die Kassen wieder wollen das Geld vom Finanzminister, also vom Staat. Dies ist sicher das Naheliegende, hat aber auch einen Pferdefuß: Im Augenblick, da der Staatsapparat zahlen muß, wird er auch einen direkten Einfluß auf die Sozialversicherung nehmen wollen. Die Gefahr des Abschlitterns in eine latente Form des staatlichen Gesundheitsdienstes würde dadurch — besonders bei Wiederholung der staatlichen Aushilfe — in greifbare Nähe gerückt. Außerdem müßten dann ja alle, auch die nicht krankenversicherten Steuerzahler — und gerade diese zahlen bekanntermaßen nicht die kleinsten Steuern — auf dem Umweg über die staatliche Krankenkassenhilfe diesen helfen. Ob man das mit Fug und Recht von ihnen verlangen kann, ist eine weitere noch zu klärende Frage.

Es wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als zu einer äußerst unpopulären Maßnahme zu greifen, nämlich zur Erhöhung der Einnahmen durch Erhöhung der Beiträge, durch einen ent-sprechend hohen Behandlungsbeitrag, den der Versicherte zu leisten haben wird, oder — beziehungsweise und — durch die Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Man muß es dem Österreicher eben einmal klarmachen, daß die Vorzüge, deren er durch die modernen Behandlungsmethoden teilhaftig wird, auch etwas, zum Teil sogar sehr viel, kosten.

Ja, dies alles kostet Geld, Geld und wiederum Geld. Die Einnahmen der Kassen aber reichen nicht dazu aus. Diese Tatsache pflegt man schlicht und einfach als Unterversicherung zu bezeichnen. Kein Mensch wird von einer Versicherungsgesellschaft, bei der er sein abgebrann- , tes Haus auf 100 000 Schilling versichert hatte, 200.000 Schilling erhalten. Nur in der Sozial- , Versicherung ist dies möglich. Für zu geringe Beiträge bekommt man teure Medikamente, kostspielige Kur- und Erholungsaufenthalte, stationäre Behandlung im Krankenhaus, großzügig wird das alles gewährt und bezahlt, nur bei den Honoraren der Ärzte wird geknausert und um Prozente gefeilscht und gerauft.

'Eine einmalige staatliche Sanierungshilfe wird wohl nicht zu umgehen sein. In irgendeiner Form wird sie kommen müssen. Dann aber mögen endlich Mittel und Wege gefunden werden, die eine weitere positive Gebarung der Krankenkassen ermöglichen. Patienten und Ärzte sind gleichermaßen an einer finanziell gesunden Krankenkasse interessiert, und auch dem Staat sollte daran gelegen sein. Zu den Beratungen über die dabei einzuschlagenden Wege möge man aber auch Ärzte zuziehen und auch hören, Vertreter der Ärzteschaft, die tagtäglich immer wieder durch ihren selbstlosen Einsatz zu jeder Tag- und Nachtzeit ihre Bereitwilligkeit zur Mitarbeit in der Sozialversicherung unter Beweis stellt. Die Türen stehen offen.

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