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Die UNO und die Neutralität

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Neutralität im UNO-Verband hat Osterreich am solidarischen Handeln in der Weltgemeinschaft nicht gehindert. Was wird künftig von uns verlangt?

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Neutralität im UNO-Verband hat Osterreich am solidarischen Handeln in der Weltgemeinschaft nicht gehindert. Was wird künftig von uns verlangt?

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Die Frage, ob Osterreich als Mitglied der Vereinten Nationen trotz seiner Neutralität zu Maßnahmen im Rahmen des kollektiven Sicherheitssystems verpflichtet ist, beschäftigt Politiker und Völkerrechtler seit vielen Jahren. Im Zuge der Operationen des Golfkrieges hatten wir zu klären, ob Österreich militärischen Transporten über sein Gebiet zustimmen kann. Die immer näher kommende Entscheidung, ob sich unser Land einem künftigen europäischen ■Sicherheitssystem anschließen soll, rückt neuerlich die Grundsatzfrage ins Blickfeld, welche Bindung wir uns 1955 durch das Neutralitätsgesetz wirklich auferlegt haben. Nach wie vor spürt man eine gewisse Verkrampfung in der Betrachtung der Dinge. Es scheint sich nun aber in zunehmendem Maße eine Klärung anzubahnen, welche alle kommenden Entscheidungen erleichtern dürfte.

Die Tendenz dieser Klarstellung weist eindeutig in Richtung, daß wir als neutraler Staat in keinen wirklichen Widerspruch zu diesem unserem Status gelangen, wenn wir die Friedens- und Sicherheitspolitik der UNO voll mittragen. Das stand aber keineswegs immer außer Streit. So sah sich Österreich noch anläßlich der Verhängung von Sanktionen gegen Rhodesien durch den Sicherheitsrat im Jahre 1967, an denen wir uns beteiligten, veranlaßt, ausdrückliche Vorbehalte anzumerken. F,s wurde dabei auf einen möglichen Widerspruch zwischen den Verpflichtungen nach der Satzung und der „allen Mitgliedsstaaten vorher notifizierten immerwährenden Neutralität” hingewiesen. Die damals abgegebene Erklärung war nicht die einzige ihrer Art, doch unterblieb eine solche anläßlich späterer Maßnahmen, wie beim erwähnten Vorgehen gegen den Irak oder jüngst im Fall Jugoslawiens. Mittlerweile wurden sogar gesetzliche Maßnahmen getroffen, um die einfache Umsetzung von Sanktionen durch Regierungsbeschlüsse im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates zu ermöglichen.

Dieser deutlich erkennbare Wandel in der Betrachtungsweise hat verschiedene Ursachen. Im Vordergrund steht wohl die totale Änderung der Weltsituation seit 1989 und die damals beginnende Auflösung des Konfliktes der großen Militärblöcke. Österreich befand sich ja an deren Schnittstelle und sah die Partner seines Staatsvertrages an beiden Seiten der Streitparteien. Man fühlte sich also wohl zu Recht veranlaßt, all dem aus dem Weg zu gehen, was für eine der Mächte als gegen die eigenen Interessen gerichtet zu sein schien. Führen wir uns als - natürlich rein theoretisch gedachtes - Beispiel vor Augen: Das seinerzeitige Engagement der UNO in Korea fand keineswegs die Billigung der Sowjetunion. Durch eine Beteiligung Österreichs in welcher Form auch immer wäre die Neutralitätsfrage, wie man sie damals zu sehen gehabt hätte, jedenfalls „schlagend” geworden.

Es sind daher aus diesen, in der Weltsituation gelegenen Gründen nach 1955 verschiedene Theorien entwickelt worden, welche sich eingehend damit befaßten, warum und in welcher Form Österreich der Mitwirkung an vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen ausweichen könnte. So wurde etwa argumentiert, die damaligen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates wären unserem Land gegenüber „estopped”. Das würde bedeuten, daß sie durch die Mitwirkung am Zustandekommen der Neutralität nach Treu und Glauben gehindert wären, von uns ein neu -tralitätswidriges Verhalten einzufordern. Alle diese Überlegungen hatten aber eher den Charakter einer nur von Österreich gepflegten Gedankenspielerei. Sie waren schon deswegen von beschränktem Wert, weil in bezug auf die Pflichten gegenüber der ÜNO kein gefestigter, international anerkannter und eindeutiger Gehalt der Neutralität feststeht.

Der Bückgriff auf deren Definition in den Haager Konventionen versagt schon deshalb, weil die „klassische” Neutralität auf den Kriegsfall abgestellt ist. Die Friedensordnung der Vereinten Nationen ist aber vom Grundsatz der Gewaltfreiheit getragen und ermächtigt nicht zu „Kriegführung” im ursprünglichen Sinn. Wenn eine Staatengemeinschaft, der man angehört, einen Aggressor (auch) militärisch in die Schranken weist, kann man sich also diesem Vorgehen gegenüber gar nicht „neutral” verhalten.

Eine gewisse Bedeutung hat in diesem Zusammenhang, daß Österreich im Moskauer Memorandum, welches obliegende Definition seiner eigenen Neutralität in eine übertriebene und starre Selbstbindung ausarten lassen. Insbesondere was die wirtschaftliche Dimension der Neutralität betrifft, haben wir sozusagen Fleißaufgaben produziert.

Eigentlich war die von Österreich früher praktizierte und damals sicher vernünftige Bedachtnahme auf die Konfliktsituation der Großmächte durch die Satzung der Vereinten Nationen nicht gedeckt. Aus dieser - insbesondere dem Artikel 103 - ergibt sich eindeutig, daß die Verpflichtungen, die durch die Zugehörigkeit zur Völkergemeinschaft entstehen, stärker als alle anderen sind und letztere sozusagen verdrängen. Ein Land, das der UNO beigetreten ist, hat sich damit bedingungslos zu einer internationalen Friedensordnung bekannt, dem Staatsvertrag voranging, eine immerwährende Neutralität nach dem Muster der Schweiz in Aussicht stellte. Dieses Land hat freilich mehrmals, zuletzt vor zwei Jahren, bekundet, daß es die Neutralität als „flexibles Instrument” der internationalen Politik betrachtet. Dazu gehört unter anderem eine weitgehende Bewegungsfreiheit im wirtschaftlichen Verkehr mit kriegführenden Staaten. Allerdings hat sich auch die Schweiz - und zwar ohne rechtliche Verpflichtung - wirtschaftlichen UNO-Sanktionen angeschlossen. Österreich hingegen neigte bisher dazu, die ihmwelche Maßnahmen gegen deren Bruch zwingend vorsieht. Man bedenke: Gehen die Vereinten Nationen gegen einen Aggressor vor, solidarisiert sich jeder, der sich bei Sanktionen abseits stellt, mit dem Friedensbrecher. Osterreich hat sich aber seit 1947 - zunächst erfolglos - bemüht, der UNO-Friedensordnung eingegliedert und damit naturgemäß auch durch sie geschützt zu werden. Es gab damals in dieser Hinsicht keine'Vorbehalte - ganz abgesehen davon, daß die Neutralität erst 1955 Bestandteil unserer Verfassung wurde. Aber auch zu diesem Zeitpunkt ging man offen-bar davon aus, daß die Neutralität mit der Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen vereinbar sei.

Aus all dem bisher Gesagten ist wohl der Schluß zu ziehen, daß es heute nicht mehr darum gehen kann, spitzfindige Überlegungen darüber anzustellen, inwieweit wir durch unsere Neutralität daran gehindert sind, an dem mitzuwirken, was die Überschrift des Kapitels VII der Satzung der Vereinten Nationen bezeichnet, nämlich an „Maßnahmen bei Bedrohungen des Friedens, bei Friedens-brächen und Angriffshandlungen”. Österreich hat sich im Lauf der Jahre einen anerkannten Platz in der gesamten Friedenspolitik der UNO gesichert, also in jenem Bereich, der sich eigentlich neben der Satzung oder über diese hinaus entwickelt hat. Es lieferte immer wieder Kontingente für die Friedenstruppen. Wien wurde neben New York und Genf Amtssitz und unser Land hat einen Generalsekretär gestellt. Es war zweimal - zuletzt 1991/92 ~ Mitglied des Sicherheitsrates.

Osterreich steht keineswegs abseits

Wir stehen also, was die Friedens- und Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen betrifft, keineswegs abseits und haben unter den heutigen weltpolitischen Bedingungen keinen Grund mehr, Vorbehalte dort anzumelden, wo es um die Durchsetzung jener Friedensordnung geht, die wir uneingeschränkt bejahen. Im Gegenteil: Unsere Neutralität war' ein Schutzfaktor, solange wir zwischen den Machtblöcken standen und einfach deswegen damit rechnen konnten, in Buhe gelassen zu werden, weil wir in keinem der beiden feindlichen Lager standen. Diese Sicherheit - die bis zu einem gewissen Grad schon seinerzeit eine trügerische sein mochte - ist heute entfallen.

Niemand weiß, wie sich die friedenserhaltende Aufgabe der Vereinten Nationen in Zukunft wirklich gestalten kann. Nach den ermutigenden und energischen Schritten zugunsten des Aggressionsopfers Kuwait erwies sich im Jugoslawienkrieg eine erschreckende Schwäche. Dieser Bückschlag hat seine Ursache wohl auch darin, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrates bestehen. Solche kann es wohl immer wieder geben. Niemand weiß also heute, worauf man sich im Ernstfall wirklich verlassen könnte. Sicher erscheint nur, daß sogenannte Trittbrettfahrer der Staatensolidarität kaum auf wirksame Unterstützung rechnen können.

Nur zurückblicken, wäre gefährlich

Auf Österreich kommt die Frage unausweichlich zu, ob und auf welche Weise wir uns in ein zukünftiges europäisches Sicherheitssystem einordnen. Dabei wird zu entscheiden sein, ob wir neutral im Sinne unserer bisherigen Verfassung bleiben können oder ob wir die Absicht, keinen militärischen Bündnissen ajjzugehören, zugunsten einer gemeinsamen Verteidigungspolitik aufgeben müssen. Einschränkungen und Vorbehalte gegenüber den Bechten und Pflichten, die sich aus unserer Zugehörigkeit zur umfassenden Völkergemeinschaft ergeben, erscheinen aber eindeutig überholt. Das hat nicht nur die bedingungslose Teilnahme Österreichs an den UNO-Aktionen der letzten Jahre ergeben, sondern es ist dies auch eine Konsequenz der neuen Gefahrensituationen, wie sie heute existieren und vor denen uns die Neutralität allein nicht mehr schützen kann.

Es wäre gefährlich für Österreich, bei einem befriedigten Bückblick zu verharren. Es muß vielmehr versucht werden, mit den neuen Herausforderungen ebenso gut fertig zu werden, wie dies die Generation vor uns mit den damaligen Problemen geschafft hat. Für Österreich ist eine glaubwürdige Friedenspolitik auch in Zukunft unverzichtbar. Sie wird aber immer weniger den Charakter eines Abseitsstehens aufweisen dürfen, sondern wird sich an den rasanten Änderungen der Weltlage orientieren müssen. Dabei werden uns Pflichten auferlegt werden, denen sich Österreich mutig stellen muß.

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