6539586-1946_33_10.jpg
Digital In Arbeit

Die UNRRA und österreidi

Werbung
Werbung
Werbung

Gewarnt durch die Erfahrungen nach dem ersten Weltkrieg und angesichts der viel größeren Zerstörungen, die der letzte große Krieg über weite Ländergebiete gebracht hat, ist man diesmal unter Initiative der Vereinigten Staaten schon vor Beendigung der Feindseligkeiten daran gegangen, eine Organisation zu schaffen, die den schlimmsten wirtschaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen begegnen sollte. Schon im November 1943 wurde die UNRRA durch internationale Vereinbarungen von 44 alliierten Regierungen gegründet. Die Zahl der Beteiligten erhöhte sich noch auf 47. Als gestellte Aufgabe wurde erklärt, die Hilfsquellen der vereinten Nationen zu erfassen, tum die Leiden der Bevölkerung befreiter Staaten zu lindern und den friedlichen Wiederaufbau zu beginnen. Als endlich auch Österreich als befreiter und neu organisierter Staat um die Aufnahme in den Verband ansuchen konnte, waren bereits zwei Jahre eifriger Tätigkeit der UNRRA vorüber und es galt nun sich in das Vertragssystem und in den gewaltigen Mechanismus einzuschalten. Am 10. April 1946 konnte endlich der Vertrag, der Aussicht auf lang schon ersehnte Hilfe verhieß, unterzeichnet werden.

Österreich, von je her in bezug auf Lebensmittel ein Einfuhrland, befand sich zur Zeit des Vertrages in einer besonders sdilimmen Lage. Woher hätte die Hilfe in der ausgebrochenen Hungerzeit kommen sollen, wenn nicht durch internationalen Beistand? Es wurde berechnet, daß die Ernährung der österreichischen Bevölkerung pro Monat einen Aufwand von 9 Millionen Dollar beansprucht, einen Betrag, der noch durch die Transportkosten von drei Millionen erhöht wird. Wäre Österreich gezwungen gewesen, im Wege einer in ihren Erfolgen übrigens fraglichen Kreditaktion die Mittel aufzubringen, so wäre allein schon für ein halbes Jahr ein Kredit von 72 Millionen Dollar notwendig gewesen, um unser Volk vor dem Ärgsten zu bewahren. Also eine Summe von 720 Millionen Schilling. Aus eigenen Mitteln des Landes, ohne fremde Hilfe, wäre Österreich nur imstande gewesen, der Bevölkerung einen Tageskaloriensatz von 240 Kalorien zu gewährleisten. Hier griff nun die UNRRA ein: Ihre Waren, die Österreich zur Verfügung erhält, werden weder auf Kredit noch gegen Valuten noch auf Grund von Kompensationsverträgen geliefert; nach dem ersten Weltkriege hatte Österreich wertvolle Monopole und seine Zölle zu verpfänden und strenge Biirgsdiaften zu leisten, um die Kredithilfe des Völkerbundes zu erhalten, eine Erinnerung, die das Hilfswerk der UNRRA in seiner imposanten Größe und fügen wir bei: Noblesse zeigt.

Gemeinhin redet man nur von der Lebensmittelhilfe der UNRRA; von gleich ausschlaggebender Wichtigkeit ist ihr Beistand für die Wiederaufrichtung der österreichischen Landwirtschaft. Die von ihr ausgehenden Maßnahmen ermöglichten die Bestellung der Ernte, brachten Maschinen, Saatgut und Mittel zur Schädlingsbekämpfung ins Land. Es wurden bisher geliefert:

67.584 Tonnen Feldsaatgut, 1.648 Tonnen Gesmüsesaatgut, also rund 200 Eisenbahnzüge Saatgut. 22.683,5 Tonnen Kunstdünger, 2000 Tonnen Kupfervitriol.

Aber Österreich braucht nidit nur Lebensmittel sondern auch Arbeit. Unsere Fabriken lagen zum größten Teile still, es fehlte und fehlt ja zum Teil heute noch an wichtigstem Rohmaterial. Der Bedarf der inländischen, zum Teil völlig pauperisierten Wirtschaft an allen möglichen Artikeln ist übergroß. In vielen tausenden Haushalten fehlen die primitivsten Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Die Fabriken würden Arbeit genug haben, wenn sie nur wieder anlaufen könnten. Zugleich brauchen wir diese Erzeugnisse unserer Industrie für den Kompensationsverkehr mit dem Auslande. Die UNRRA kam uns bisher zur Erleichterung der Situation der österreichischen Industrie zu Hilfe durdi die Lieferung voa 25.000 Tonnen Kohle, 25.210 Kilogramm Glasersatz, 10.000 Kilogramm Zinn, 518 Kilogramm Quebracho, (einen für die Zubereitung von Leder notwendigen Stoff) dazu noch Dachpappe und anderes mehr.

Noch eine vierte Zone hat die UNRRA in ihren Aufgabenbereich einbezogen. Die G e-sundheitspflege ist in den letzten Jahren in einen kritischen Zustand geraten: Zu dem Ärztemangel, der auch noch in der ersten Zeit nach Beendigung der Kriegshandlung anhielt, der Überfüllung der Spitäler, dem Auftreten der Seuchengefahr gesellte sich ein katastrophaler Mangel an Medikamenten und der Verlust vielen Spitalgerätes in den bombenbeschädigten Städten. Auch hier griff die UNRRA ein. Sie lieferte bisher 925 Tonnen-Medikamente, 152 Tonnen Spitalsbedarfsartikel und 80 Tonnen Krankenhauseinrichtungen.

Übersieht man die Größe dieser Leistungen, so wird es kaum vorstellbar, in welche Zustände unser Land ohne sie gestürzt wäre. Die Art der Organisation ermöglicht eine enge Zusammenarbeit mit der österreichischen Regierung, die im Bundeskanzleramte zur Verteilung der eintreffenden URRA-Güter eine Stelle errichtete, die dem Bundeskanzler persönlich unterstellt ist. Wenn die düsteren Prognosen, die am Anfang dieses Jahres ernste Fachleute des In- und Auslandes, namentlich für die Frühjahrszeit in Österreich stellten, im allgemeinen durch den Ablauf der Ereignisse nicht bestätigt wurden und wenn auch nicht günstige, so doch immerhin noch lebensmögliche Verhältnisse geschaffen werden konnten, so ist dies das Ergebnis einer mit zäher Bedachtsamkeit geführten Arbeit. Sie wird allzu leicht von dem Laien unterschätzt, der ja freilich nicht ermessen kann, durch welch gefährliche Engpässe dieses Hilfswerk mehr als einmal geleitet werden mußte; er spürt die Härte einer ihm täglich begegnenden Notzeit, ohne zu wissen, wie viel ihm und uns allen dank dieser Tätigkeit erspart geblieben ist, und ohne berechnen zu können, welche gigantische Aufgabe die Überwindung einer Katastrophe stellt, aus der nicht nur dieses oder jenes Land, sondern hunderte Millionen Menschen zu retten sind.

Die Rohstofflage der Welt wird noch jahrelang beengt sein und die Koordinierung der Kräfte auf wirtschaftlichem Gebiet in weltweiter Planung wird auch weiterhin Notwendigkeit bleiben. Es wird mit einer Übergangszeit von noch weiteren ein bis zwei Jahren bis zum Beginne einer einigermaßen normalisierten Wirtschaft gerechnet werden müssen. Ob es der UNRRA aufgetragen werden wird, den von ihr schon be-schrittenen Weg weiterzuverfolgen, ob sie etwa in irgend einer Form in den Apparat der UNO übergehen wird, kann von hier aus heute noch nicht gesagt werden. Wie auch immer die Entwiddung weiterschreiten wird, die Tatsache, daß Österreich zur Wiederherstellung seiner Lebensfähigkeit der Hilfe dieses Werkes teilhaftig wurde und sie auch weiterhin erwarten kann, ist denkwürdig. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man in diesem Hilfswerk von bisher noch niemals erreichter Größe die Züge eines neuen Weltbildes erkennt, das die Gesetze edler Menschlichkeit und Solidarität geformt haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung