Die Verbannten der Saualm

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In Kärnten tobt sechs Wochen vor der Wahl ein Streit zwischen Landesregierung und Zivilgesellschaft um 15 angeblich kriminelle Asylwerber, die Haiders Nachfolger in ein Heim fernab der Zivilisation steckten.

Früh am Morgen beginnt der Wörthersee auszuatmen. Selbst bei minus sechs Grad setzt sich die feuchte Luft über der Wasseroberfläche als Nebel ab, der sich auf den kahlen Bäumen und Häusern ringsum niederschlägt. Der Reif überzieht Pörtschach. Selbst die Hotels und Pensionen im kläglichen Stil der 70er Jahre mit ihren nüchternen, kantigen Fronten und den großen Fenstern erhalten so eine Art rustikalen Charme. Ein paar Spaziergänger quälen sich gebückt durch den Frost - ihren Hunden nach. Sonst ist Ruhe. Im Jänner gibt es keine Gäste in Pörtschach. Außer jene Unwillkommenen, die die Kärntner Politik hierher verschlug.

Im evangelischen Pfarrhaus auf dem Kirchplatz von Pörtschach kocht Rida Ben Chaib Kaffee mit Zimt. Zu Hause in Marokko liebt man dieses Getränk. Seit zehn Tagen lebt der 22-Jährige hier. Dreimal pro Tag betet er im Wohnzimmer von Pfarrerin Renate Moshammer zu Allah. Dazwischen geht er einkaufen, spielt mit dem Hund oder er putzt die evangelische Kirche. Vor drei Monaten kam er über das Meer nach Europa, mit 230 anderen, zusammengepfercht auf einem Fischkutter. Stehend, lehnend, schließlich erschöpft zusammenbrechend: "Ich habe meinen Tod gesehen."

Für Pfarrerin Moshammer, eine kleine robuste junge Frau mit roten Backen und dazu noch "waschechte Lavanttalerin" ist Chaib ein Opfer unmenschlicher Behandlung. Für Gerhard Dörfler, ihren Landeshauptmann, ist der Marokkaner dagegen ein krimineller Asylwerber, der zu isolieren ist. Ein unüberbrückbarer Graben, zumal Dörfler eine Landtagswahl zu gewinnen hat. Ein Mann leiser Zwischentöne will er auch gar nicht sein, nicht umsonst zeigt ihn sein Werbespot als hemdsärmeligen Holzfäller. Seinen Wahlkampf legt der BZÖ-Spitzenkandidat ganz nach Vorbild seines BZÖ-Ahnvaters Jörg Haider an. Kein Nachgeben in der Ortstafelfrage, keine Gnade für straffällige Asylwerber. Egal ob Schwerkrimineller oder Ladendieb, gerichtlich verurteilt oder bloß angezeigt - und damit vielleicht unschuldig. Für Dörfler gibt es keine Ausnahmen, nur "ein Umleitungsschild für Kriminelle, da steht Saualm drauf".

Ben Chaib etwa wurde als Zeuge einer Schlägerei vor einer Diskothek polizeilich erfasst. Deshalb hat man ihn Anfang Dezember auf die Saualm bei Wölfnitz verbracht - und mit ihm 15 andere angeblich Angezeigte oder verurteilte Asylwerber aus neun Nationen.

An der Grenze zum Nichts

Dort, in 1200 Meter Seehöhe, "an der Grenze zum Nichts", wie der örtliche katholische Pfarrer Nepomuk Wornik sagt, wurde ihnen ein aufgelassenes Karmeliter-Kloster, das später als Jugendsommerheim des Landes in Verwendung war, zugewiesen.

Wenige Meter vom Kloster entfernt endet die Zivilisation in einem aus sechs Gehöften bestehenden Häuserhaufen namens Wölfnitz. Dahinter starrt alpine Einöde: Wald, Felsen und wieder Wald. Entfernung bis zur nächsten Stadt, Griffen: 18 Kilometer über Forststraßen und Güterwege.

Die ideologischen Hintergedanken der Landesregierung zum neuen Heim entschlüpften dem ehemaligen Haider-Intimus Stefan Petzner, als er in einer Pressekonferenz von einem "Lager" sprach, "in dem Leute konzentriert werden". "Das war ein Gefängnis", erinnert sich Ben Chaib. Ein Ort mit einschlägigen Sitten jedenfalls: Wachen vor den Zimmern, Zimmerkontrollen, Perlustrierungen nach jedem Ausgang. Die Bitte um ärztliche Behandlung der zum Teil traumatisierten Kriegsflüchtlinge in Krankenhäusern soll des Öfteren wie folgt abgeschmettert worden sein: "Wir sind doch kein Taxiunternehmen."

Kurz vor Weihnachten verließen die Asylwerber Wölfnitz mit zwei Sammeltaxis, um in Klagenfurt eine Petition einzureichen. Doch die zuständigen Beamten wollten sie nicht einmal anhören.

Frierend und hungrig fanden sie die Mitglieder des "Aktionskomitees für mehr Menschlichkeit und Toleranz in Kärnten" vor. Das Komitee ist eine überparteiliche Organisation von Menschenrechtsaktivisten, Freiwilligen, der katholischen Aktion, der Caritas und der Diakonie. Sie haben die 15 angeblichen Rechtsbrecher bei Privatfamilien und in Pfarrheimen untergebracht.

Seit Weihnachten tobt nun ein Kleinkrieg zwischen dem offiziellen Kärnten und den Vertretern der Zivilgesellschaft. Landeshauptmann Dörfler hat den Sprecher des Komitees, den Grünen Rolf Holub wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angezeigt, zudem alle Zahlungen für den Unterhalt der Asylwerber eingestellt. Er weigert sich auch beharrlich, die Betroffenen wieder in die Bundesbetreuung zu übernehmen, solange sie nicht auf die Saualm zurückkehren.

Spricht man mit den angeblich Kriminellen, ist von einer Gefährdungslage, die das BZÖ sieht, allerdings wenig zu spüren.

Gefangen in der "grünen Wüste"

Im Südosten Klagenfurts auf einem Hügel des Sattnitz-Gebirgszugs mit pittoreskem Blick auf die Kärntner Hauptstadt liegt die kleine zweisprachige Gemeinde Lipitzach. Die wenigen hundert Einwohner des Dorfes sind einfache Bauern, Pensionisten oder wohlbestallte Bürger, Künstler, Professoren, Unternehmer. Die Klagenfurter Universitätsassistentin Ruth Lerchster lebt hier mit ihrer Familie. Seit Anfang Jänner hat die Familie den Iraner Kasra Keyhan und zwei weitere Asylwerber zu Gast. Keyhan, ein schmächtiger Mann mit feingliedrigen, zitternden Händen ist eigentlich Schriftsteller und Philosoph. Nach seinem Studium in Teheran begann er sein erstes Buch zu schreiben. Er schrieb, woran er glaubte, nachdem er Nietzsche, Kant und Descartes gelesen hatte: "Gott existiert nicht." Noch vor Drucklegung des Buches standen die Abgesandten der iranischen Revolutionswächter vor seiner Tür. Es folgten Folter und Untersuchungshaft. Keyhan wurde psychisch krank, litt an Wahnvorstellungen und Depressionen.

Als er vor zwei Jahren gegen Kaution aus der U-Haft entlassen wurde, packte er seine Habseligkeiten und floh über das Schwarze Meer Richtung Österreich. Doch einmal angekommen, begann die Odyssee von Neuem: Zunächst war er in Traiskirchen untergebracht, dann im Kärntner Tajnach, dann in St. Urban, dann in Wolfsberg.

Dort entschied die Wirtin, den Atheisten mit drei strenggläubigen Moslems in einem Zimmer unterzubringen. Keyhans Ersuchen an die Pensionsbesitzerin, aus der Wohngemeinschaft abgezogen zu werden, wurden nicht erhört. 10 Tage verbrachte er mit dem Anhören der ihm verhassten Suren, "dann wurde es dunkel im Kopf". Dem Polizeibericht zufolge begann Keyhan zu schreien und zu toben. "Eurer Allah ist ein Esel." Es folgte eine Schlägerei, dann eine Woche Psychiatrie in Klagenfurt und die Verbannung auf die Saualm. Keyhan nennt das Heim, von dem er vor Weihnachten floh, "die grüne Wüste".

Dashvaanjil Enkbath, ein hagerer, hochaufgeschossener Mongole ist in der Einsamkeit der Saualm Keyhans Freund geworden. In Ulan Bator war er Lehrer für Religion und Geschichte, ehe er zu viel über Jesus Christus sprach. Er wurde seines Amtes enthoben, geächtet und zur Auswanderung gezwungen. Über Österreich ging er nach Irland, wurde zurück abgeschoben und landete Ende November in Traiskirchen. Vier Tage später, ohne dass es einen Konflikt mit der Polizei gegeben hätte, stand sein Name auf der Tafel vor dem Verwaltungsbüro: "Verlegung Montag neun Uhr früh". Der Bus fuhr auf die Saualpe. Enkbath: "Everything is nothing up there. No Information, no newspapers, no medicin, no human rights."

Die Lerchsters haben kein Problem im Ort wegen der Unterbringung, im Gegenteil. Immer wieder komme jemand vorbei mit Lebensmitteln, so Ruth Lerchster.

Nicht alle Quartiergeber haben solches Glück. In Tajnach im Jauntal wohnt Thomas Kulterer, Koch von Beruf. Bis vor Wochen lebte er ein unauffälliges Leben in seinem kleinen, gelb getünchten Haus. Dann entschied er sich, drei Tschetschenen aufzunehmen, weil er es als "menschliche Pflicht" empfand, "etwas zu tun". Seither ist es mit dem Frieden vorbei. Kulterer erhält böse Anrufe von Freunden, die ihn fragen, was ihm denn einfiele. In der Vorwoche fand er einen Zettel in seinem Briefkasten mit der Aufschrift: "Bald tot".

Als Kulterer mit zwei seiner Schützlinge im Lebensmittelgeschäft des Ortes war, musste sich einer der Asylwerber perlustrieren lassen: Eine Kundin hatte behauptet, sie habe ihn beim Stehlen beobachtet. Der Verdacht erwies sich als falsch. "Verstehen Sie, warum man Menschen so behandelt?", fragt Kulterer.

Hans Peter Premur, Pfarrer in Krumpendorf und Mitbegründer des Hilfskomitees, versucht seit Tagen, in dem Streit zu vermitteln. Er hofft, die "Unverhältnismäßigkeit in der Kommunikation" abbauen zu können - dann würde vieles leichter gehen.

Doch von Mäßigung ist in der Landesregierung nicht viel zu spüren. Sonntag, als das Land um den Wörthersee in Kälte erstarrt, eröffnet Gerhard Dörfler in der Klagenfurter Messehalle die Intensivphase seines Wahlkampfs. Umrahmt von Fahnen, begleitet von Fanfaren und Hurra-Rufen aus 1500 Kehlen donnert der erhitzte Spitzenkandidat sein Credo in den Saal: "Die Saualm ist der richtige Ort für Kriminelle, da gibt es keine Einkaufszentren, wo sie einbrechen können, die Bauern sind wehrhaft und brauchen keine Drogen." Der Saal, voll besetzt mit Trachtenjankern, beklatscht und bejohlt keine andere Passage der Rede Dörflers so dauerhaft wie diese.

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