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Die vier Postulate der Konjunktur-Stabilisierung

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Die Feststellung, daß der österreichische Wiederaufbau nach 1945 ein Ergebnis vernünftiger und zielstrebiger Wirtschaftspolitik ist, hieße heute schon Wasser in die Donau tragen. Wir Oesterreicher, die wir diesen wirtschaftlichen Wiederaufstieg täglich miterleben konnten, wissen um die Größe und Bedeutung dieser Leistung. Aber auch das Ausland anerkennt die Methoden und Erfolge des österreichischen Wiederaufbaues. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, daß neben der österreichischen Leistung ebenbürtig und als ebensolche unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg die amerikanische Aufbauhilfe gestanden ist. Aber auch die geschickte Verwendung dieser ausländischen Hilfe ist wiederum ein Beweis österreichischer Tüchtigkeit. Der Wiederaufbau ist im wesentlichen abgeschlossen, wenn man von dem noch nicht zu Ende gekommenen Wohnhaus-Wiederaufbau und von einzelnen Wiederaufbaumaßnahmen im Fremdenverkehr in den östlichen Bundesländern absieht.

Daß wir in den beiden letzten Jahren an der allgemeinen wirtschaftlichen Hochkonjunktur aller freien europäischen Staaten einen so bedeutenden Anteil nehmen konnten, ist ebenfalls nicht zuletzt auf unsere eigene Wiederaufbautätigkeit zurückzuführen.

: Die uns jetzt gestellte Aufgabe lautet: Stabilisierung der Konjunktur! Allein, daß man diese Aufgabe erkennt, zeigt den großen Unterschied der Wirtschaftspolitik von heute zu der der Vorkriegszeit. Während bis knapp in die Zeit

;vor dem zweiten Weltkrieg die noch immer stark liberal-kapitalistisch beeinflußten Gedankengänge fast aller maßgeblicher Wirtschaftspolitiker konjunkturbeeinflussende Maßnahmen verhinderten, ist es heute allgemeines Gedankengut geworden, den Ablauf konjunktureller Erscheinungen so weit wie möglich im Sinne einer Konjunkturstabilisierung zu beeinflussen. Der Unterschied von damals und heute ist vor allem darin zu sehen, daß damals außer monetären Maßnahmen zur Erhaltung der Währungsstabilität kaum nennenswerte wirtschaftspolitische Veranlassungen getroffen wurden. Eine der Folgen dieser Haltung war ohne Zweifel die Weltarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre, unter der Oesterreich bespnders gelitten hat. Heute würde eine Regierung, die sich etwa nicht um Arbeitsbeschaffung kümmert, kaum von langer Lebensdauer sein!

Die Einflußnahme auf den Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens hat aber auch die Folge, daß die staatliche Ingerenz oft einen größeren Umfang annimmt, als dies zur Erreichung der notwendigen Ziele unbedingt notwendig wäre. Das Wort Dirigismus ist die hierfür' geprägte Bezeichnung. In der Mitte zwischen Liberalismus und Dirigismus liegt das System von heute; man hat dafür den Ausdruck „Soziale Marktwirtschaft“ gefunden.

„Soziale Marktwirtschaft“ ist nur ein Name für ein nicht genau zu definierendes Wirtschaftssystem, von dem man bestenfalls die wichtigsten Merkmale kennt. Sicherlich liegt es im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft, wenn die öffentliche Hand nicht mehr unternimmt — dirigiert —, als eben unternommen werden muß, wenn die wirtschafts- und sozialpolitischen Postulate der Gegenwart erfüllt werden sollen. Diese Postulate sind: Vollbeschäftigung, Stabilität der Währung, ausgeglichenes Budget und soziale Bedarfsdeckung.

Was ist im einzelnen darunter zu verstehen?

Als Vollbeschäftigung ist der Zustand zu bezeichnen, in dem möglichst alle arbeitswilligen Menschen eine Arbeit haben, die ihnen wenigstens das Existenzminimum sichert. Saisonbedingte Arbeitslosigkeit (zum Beispiel im Baugewerbe) widerspricht nicht der Vollbeschäftigung. Gerade in den Saisonbetrieben ist ja für die unfreiwillige aber unvermeidbare Arbeitspause außerhalb der Saison durch bessere Lohnbedingungen meistens ein entsprechender Ausgleich geschaffen. Auch die Nichtbeschäftigung nicht voll einsatzfähiger Arbeitskräfte oder von im Rentenalter stehenden Personen beeinträchtigt nicht die Vollbeschäftigung. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, daß man sich aus sozialen Erwägungen nicht mit allen Kräften bemühen muß, zum Beispiel den kranken Personen eine ihrem Gesundheitszustand angemessene Beschäftigung zu gewährleisten. Diese Vollbeschäftigung also ist ein Postulat, da erfüllt werden muß. Als Mittel hierzu dienen die Investitionen der öffentlichen Hand.

Was die Stabilität de rWährung betrifft, so gelten für ihre Erhaltung im großen und ganzen noch immer die alten Methoden. Eine entsprechende Kredit- und Steuerpolitik sind nach wie vor die wirksamsten Maßnahmen. Wir müssen uns heute aber vor den Fehlern hüten, die man noch vor 30 Jahren begangen hat, indem man einem möglichst hoheti internationalen Geldwert zuliebe die Gesundheit der Gesamtwirtschaft aufs Spiel setzte. Der „Alpendollar“ der dreißiger Jahre ist uns in keiner allzu guten Erinnerung, wenn man rückschauend bedenkt, daß unter Opferung einiger Kursstriche des Schillings an der Züricher Börse eine weitaus großzügigere Arbeitsbeschaffungspolitik in Oesterreich möglich gewesen wäre, als sie tatsächlich gehandhabt wurde.

Der Ausgleich des Budgets ist in Zeiten einer wirtschaftlichen Konjunktur dann kein unmögliches Kunststück, wenn die verantwortlichen Ressortleiter bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Der Ausgleich des österreichischen Budgets im Jahre 1957 wird einfach davon abhängen, ob es dem Finanzminister gelingt, nicht unbedingt notwendige Ausgaben aller Ressorts auf jenes Maß zusammenzustreichen, das eben zum Ausgleich des Budgets erreicht werden muß. Um es deutlich zu sagen: In jedem Ressort bestehen soundso viele Wünsche, die auch nicht im Hinblick auf die unbedingt notwendige Vollbeschäftigung erfüllt werden müssen. So ist z. B. die Elektrifizierung der Bundesbahnen gewiß eine schöne und, auf lange Sicht gesehen, auch wirtschaftliche Sache; aber ob diese Elektrifizierung im Jahre 1960 oder 1962 abgeschlossen wird, das ist keine Lebensfrage für Oesterreich, sondern kann nur nach den budgetären Möglichkeiten bestimmt werden. Das gleiche gilt von dem Ausbau der Wasserkräfte und sonstigen Energieversorgungsanlagen. Es hätte keinen Sinn, den Kraftwerksbau in einem Tempo zu forcieren, das zum

Zusammenbruch des Budgets, damit zum EncTe der Konjunktur und damit auch zu einem Minderbedarf an elektrischer Energie führen müßte.

Unter sozialer Bedarfsdeckung ist die Rangordnung der Produktion jener Bedarfsgüter zu verstehen, die zum überwiegenden Teil nur durch öffentliche Investitionen erzeugt werden können. Es wird sich notwendig erweisen, die Investitionen in ihrer Bedeutung, die sie für den Staatsbürger haben, zu ordnen. An erster Stelle sollte hier der Wohnungsbau stehen, weil die Befriedigung dieses Bedarfes wohl den Vorrang vor allen anderen haben sollte. Sodann wird man in der Bedeutung der Investitionen für den Straßenbau, den Bau der Autobahn, die Elektrifizierung der Bundesbahnen, den Ausbau der Energieversorgung, die Modernisierung der Hotellerie usw. eine Rangordnung festsetzen müssen. Nach dieser Rangordnung haben sich die Zuteilungen aus dem Budget zu halten. Eine Investitionspolitik, die etwa nach dem Grundsatz vorgenommen würde, daß die zur Verfügung stehenden Investitionsmittel unter den Ministerien von zwei regierenden Koalitionsparteien auf jeden Fall im Verhältnis 1:1 aufzuteilen seien, wäre ein glatter Unsinn! Ebenso kann nicht genug vor der Inangriffnahme neuer, großer Investitionsvorhaben gewarnt werden, bevor die Finanzierung der schon begonnenen nicht sichergestellt ist. Das Debakel der Verbundgesellschaft mag ein warnendes Beispiel hierfür sein!

Das politische Geschehen wird heute weitgehend von den wirtschaftlichen Notwendigkeiten überdeckt. Stabilisierung der Konjunktur ist heute gleichbedeutend mit politischer Stabilität. Wir sind in der glücklichen Lage, hierfür den Beweis zu liefern. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, daß beide „Stabilitäten“ in Oesterreich nicht gehalten werden könnten. Die in letzter Zeit da und dort zu hörenden Unkenrufe, daß die wirtschaftliche Konjunktur in Oesterreich gefährdet sei, entbehren der Grundlage, weil alle Verantwortlichen wissen, daß man dem Ablauf der wirtschaftlichen Erscheinungen der Gegenwart eben nicht die Zügel schießen lassen darf. Allein die Erkenntnis der Notwendigkeit — wie oben ausgeführt —, den Wirtschaftsablauf stets unter Kontrolle halten und die notwendigen — nur die notwendigen! — Veranlassungen treffen zu müssen, sind die Garanten einer Konjunktursstabilisierung. Wir haben Anlaß, mit guter Zuversicht in die Zukunft zu blicken!

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