"... die Waffen nur vergraben"

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Am 15. Jänner ziehen die UNO-Truppen aus dem östlichsten Teil Kroatiens ab.

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Am 15. Jänner ziehen die UNO-Truppen aus dem östlichsten Teil Kroatiens ab.

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Zerschossene Häuser, verbrannte Autos am Straßenrand, Tafeln, die vor Minenfeldern warnen, so schauen die Gebiete in Ostslawonien um Vukovar herum aus. In den Häusern, die noch in halbwegs gutem Zustand geblieben sind, wohnen vor allem Serben, meist Flüchtlinge aus der Krajina und Westslawonien. Ihre Zahl schätzt man derzeit auf etwa 67.000. Vor dem Kriegsausbruch lebten dort etwa 190.000 Menschen, davon 48 Prozent Kroaten und 41 Prozent Serben. Der Krieg ist zwar zu Ende, man hört keine Detonationen mehr, doch die Situation bleibt weiterhin angespannt. Den Frieden haben die UNO-Truppen geschaffen, die 1992 einfach zwischen die Frontlinien der verfeindeten Serben und Kroaten gegangen sind, um die Fortführung des Positionskrieges zu verhindern.

Doch in diesen Tagen, am 15. Jänner, sollen die UNO-Truppen, die hier praktisch zwei Jahre lang Ortsbehörden waren, abziehen. Ab diesem Zeitpunkt wird Ostslawonien völlig in die kroatische Staatshoheit eingegliedert. Dieser Zustand wird von den Bewohnern jedoch kaum begrüßt. Vor allem die Serben haben Angst vor den neuen Behörden. So versuchten sie schon seit langem, mit zahlreichen Anschlägen den weiteren Verbleib der UNO-Verwaltung und der UNO-Truppen über den 15. Jänner hinaus zu erzwingen. In den Schulen der Ortschaften Svinjarevcy und Orolik detonierten Sprengkörper. Im Hof der serbisch-orthodoxen Kirche in Vukovar sind bei zwei Explosionen schwere Sachschäden entstanden. Doch ungeachtet dessen hat sich Kroatiens Staatschef Franjo Tudjman vehement gegen eine Verlängerung des UNO-Mandats ausgesprochen. So fühlen sich viele Serben gezwungen, Ostslawonien zu verlassen. An Ort und Stelle bleiben vor allem alte Menschen, die keine andere Wahl haben. "Die kroatischen Behörden werden gegen Serben sicher nicht mehr mit Gewalt vorgehen", erzählt der polnische Offizier Roman Jasinski. Er ist bei den UNO-Truppen für die Sicherheit in der Stadt Ilok an der Grenze zur serbischen Republik verantwortlich. "Sie werden versuchen, die Serben auf eine administrative Weise fertig zu machen." Schon jetzt wurden in den noch staatlichen Betrieben alle Führungspositionen, unabhängig von Zuständigkeit und Ausbildung, von Kroaten besetzt.

Grenzverkehr Die Serben, jetzt Bürger des kroatischen Staates, sollen das Recht haben, günstige Kredite für den Aufbau der Häuser zu bekommen. Doch "in der Praxis wird das sicher nicht funktionieren", erklärt Jasinski. "Die Behörden werden sicher diverse Nachweise verlangen, um die einzelnen Ansuchen so lange wie möglich zu bearbeiten. Schwierig wird sich auch die Frage des Grenzverkehrs entwickeln. In den nahe liegenden serbischen Ortschaften sind zum Beispiel Lebensmittel um die Hälfte billiger als in Kroatien. Die Bevölkerung von Vukovar und anderen Grenzortschaften befürchtet, daß kroatische Zöllner wieder hart vorgehen und Zoll für einzelne Brotlaibe einführen werden."

Die UNO-Mission in Vukovar hat auch die Medienlandschaft in Ostslawonien wesentlich verändert. Einige Jahre sendete das UN-Radio wichtige Informationen für Flüchtlinge sowie Interviews mit Vertretern der Ortsbehörden. Diese Sendungen, die auch das frühere serbische Radio Vukovar übernommen hat, haben wesentlich dazu beigetragen, daß sich Propagandasendungen sowohl der Kroaten als auch der Serben stark verändert haben. Jetzt spricht man nicht mehr von nationalistisch-fundamentalistischen Absichten Großserbiens, serbischen Verbrechern oder kroatischen Banditen. "Das war nur deswegen möglich", erklärt Kirsten Haupt, die Leiterin der Station, "weil wir ein unabhängiger Sender waren und in unseren Sendungen Interviews mit den Vertretern der beiden Seiten ausgestrahlt haben, ohne Partei für Kroaten oder Serben zu ergreifen. Am 15. Jänner gehen wir aber leider zum letzten Mal auf Sendung."

Die UNTAES-Mission wird ab 15. Jänner durch die OSZE ersetzt. Diese Mission wird aus lediglich 200 Personen bestehen, die auch keine Machtbefugnisse haben und nur die Arbeit der kroatischen Polizei beobachten werden. Die derzeit dort dienenden dänischen Polizisten werden von Österreichern ersetzt. Der Leiter der OSZE-Mission in Vukovar, Pierre Peeters, ist davon überzeugt, daß diese Art der Tätigkeit vollkommen ausreichen wird, um den Frieden in Kroatien zu sichern. "Die kroatische Regierung will, daß das Land in EU- und NATO-Strukturen eingegliedert wird - damit sind allerlei Kredite für den Aufbau Kroatiens und der Zugriff auf internationale Märkte verbunden. So wird sich Zagreb nicht ins eigene Fleisch schneiden und die Serben in Ostslawonien benachteiligen." Doch wenn es auch so sein wird, was erwartet die Rückkehrer in Ostslawonien? Ihre Häuser, wenn sie noch stehen, sind vermint und von Nachbarn geplündert, ihre Kirchen zerschossen und ausgebrannt, die Grabsteine auf den Friedhöfen umgestoßen und die Gräber der Angehörigen geschändet. Die Soldaten der UNO-Mission, die jährlich etwa 200 Millionen Dollar gekostet hat, haben Demilitarisierungsaktionen durchgeführt und manche Ortschaften teilweise entmint. Doch wie Windey Rudy, Leiter des belgischen Entminungskommandos in Vukovar, erzählt: "In Ostslawonien haben sowohl Serben als auch Kroaten etwa 600.000 Minen vergraben. Bis jetzt haben wir lediglich zwei Prozent davon gefunden und gesprengt. Viele Waffen und Munition befinden sich in den verlassenen Häusern. Wir haben auch die Bevölkerung aufgerufen, die Waffen der Polizei zu übergeben. Derzeit droht eine Freiheitsentzugsstrafe von etwa zehn Jahren für den Besitz illegaler Waffen in Kroatien. So bringen manche kleine Raketen, Handgranaten, Panzerminen und auch noch eingeölte und in Fetzen eingehüllte Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber das, was wir bekommen, ist wie gesagt, nur ein Bruchteil. Viele haben ihre Waffen einfach vergraben."

EU-Gelder In Vukovar, der barocken Stadt an der Donau, die in Schutt und Asche geschossen wurde, gibt es seit kurzem wieder eine Straßenbeleuchtung. Gestiftet wurde sie aus den Mitteln der Europäischen Union. Die EU will für den Wiederaufbau in Kroatien etwa 900 Millionen Dollar investieren. Schon jetzt sieht man in Vukovar an manchen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die heute nur Ruinen sind, die Aufschrift "Wiederaufbauprojekt der Europäischen Union". Auch Privathäuser sollen aus diesen Mitteln aufgebaut werden. Doch in vielen Fällen sind jetzt die Eigentumsrechte noch nicht klar. In dem Grenzstädtchen zu Serbien, Ilok, gibt es viele Familien, die aus Bosnien vertrieben wurden. Ivo Jovancic ist aus Brajkovici nach Ilok mit seiner Familie gekommen. "Ich bin in diesem Haus mit meiner Frau, meinem Schwiegervater und meiner behinderten Schwester. Sie leidet an Mongolismus. In Brajkovici haben wir ein schönes Haus gehabt, zwei Traktoren, einen Bauernhof und ein großes Stück Land. Alles wurde vernichtet. Ich habe versucht, mit eigenen Händen das Haus wieder aufzubauen, doch die Kroaten haben es wieder angezündet. So sind wir hierher gezogen. Meine zwei Söhne sind bereits in Serbien in Novi Sad. Und hier ist unsere weitere Zukunft unsicher. Der Besitzer dieses Hauses, ein Kroate, der derzeit in Zagreb lebt, war schon einige Male bei uns. Er sagt immer: âWas macht ihr da? Ihr habt kein Recht, hier zu bleiben', und wohin sollen wir, alte Menschen, die alles verloren haben, gehen? Und hier zu bleiben wird für uns auch nicht leicht sein."

UN-Kritik Um überhaupt irgendwelche Rechte in Ostslawonien zu haben, müssen die hier zugezogenen Serben entsprechende Identitätsdokumente besitzen. Doch bis jetzt haben nur wenige den kroatischen Staatsbürgerschaftsnachweis erhalten. Ohne den gibt es keine Hoffnung auf Kredite, Pensionen oder Arbeitsplätze. Letztere sind sehr rar. In der ganzen Region arbeiten nur einzelne Lebensmittelfabriken, die, weil sie privatisiert und reorganisiert werden sollen, meistens nur 20 Prozent ihrer Kapazitäten nutzen, erzählt der Pressesprecher der Ortsbehörden in Vukovar, Wladimir Bubalo. Er ist ein Serbe und weiß, wovon er spricht. Die Zustände in Ostslawonien hat bereits UNO-Generalsekretär Kofi Annan in seinem Bericht an den Weltsicherheitsrat kritisiert. Darin bemängelt er, Zagreb habe das Versprechen, die dort lebenden Serben zu integrieren, nicht eingehalten. So werden viele ostslawonische Serben jetzt ihre neu erworbenen kroatischen Pässe dazu nutzen, um sich in den Westen abzusetzen.

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