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Die Wahlgerechtigkeit
Die SPÖ hat ihrem neuesten Vor-
schlag umfangreiche Berechnungen 1 angefügt, denen zum Beispiel zu entnehmen ist, wie die Nationalratswahlen in den Jahren 1953, 1956, 1959 und 1962 ausgegangen wären,
, wenn man ihnen das von der SPÖ t nunmehr befürwortete Wahlverfah-
ren zugrunde gelegt hätte. An diesen Berechnungen ist vor allem interessant, daß die ÖVP im Jahre 1953 für die Erlangung eines Mandates 26.203 Stimmen, im Jahre 1956 26.315, im Jahre 1959 25.707 und im Jahre 1962 25.955 Stimmen benötigt hätte; die Vergleichszahlen für dieSPÖ lauten: 1953 25.979 Stimmen für ein Mandat, 1956 26.384, 1959 25.376 und 1962 26.142 Stimmen. Praktisch hätte also die ÖVP in den Jahren 1953 und 1959 jeweils um eine an sich geringfügige Stimmenzahl mehr, in den Jahren 1956 und 1962 jedoch um eine ebenfalls geringfügige Stimmenzahl weniger für die Erringung ihrer Mandate benötigt als die SPÖ.
Auf diese Argumentation legt die SPÖ besonderen Wert, weil nach einer Meinungsumfrage sich herausgestellt haben soll, daß die Mehrzahl der österreichischen Bevölkerung das jetzige Wahlsystem als ungerecht empfindet. 57 Prozent der ‘befragten Personen erklärten, daß sie das gegenwärtige Wahlrecht ablehnen, 13 Prozent hatten keine Meinung und nur 30 Prozent hielten das geltende Wahlrecht für gerecht. Von den befragten ÖVP-Anhängern sol len immerhin 28 Prozent die Meinung vertreten haben, das geltende Wahlrecht sei ungerecht, während es bei den Sozialisten sogar 71 Prozent und bei den Anhängern der FPÖ 78 Prozent waren. Auf die andere Frage, ob ein gerechtes System darin bestünde, daß jede Stimme gleich viel wert sei, entschieden sich sogar 74 Prozent aller Befragten dafür, und selbst von den ÖVP-Anhängern sollen 52 Prozent ein solches System als das zweckmäßigste bezeichnet haben.
Bestärkt von dieser Haltung der Bevölkerung, die offenbar im Wahlakt eine Statistik und in der mathematisch möglichst genauen Verhältnismäßigkeit der Mandatsverteilung das wichtigste Kriterium einer Wahlgerechtigkeit erblickt, wird die SPÖ in die spätsommerlichen Verhandlungen über die Wahlreform eintreten. Die ÖVP darf sicher nicht hoffen,
daß die Uhr am Zeitzünder der Wahlrechtsreform nicht mehr läuft. Versetzt man sich nämlich in die Lage der SPÖ, dann sieht die Situation etwa so aus:
Die ÖVP hat nach dem geltenden Wahlverfahren 81 Mandate; wenn sich der Abbröckelungsprozeß der Wählerschaft der FPÖ fortsetzt und ein Teil dieser Unzufriedenen das bürgerliche Lager stärken und das nächstemal die ÖVP wählen sollte, dann könnte diese unter Umständen die absolute Mehrheit im Nationalrat erlangen. Angesichts dieser Gegebenheiten kann die SPÖ die nächste Wahl nicht unter der Geltung des gegenwärtigen Systems schlagen. Und da niemand genau weiß, wann die nächste Nationalratswahl stattfinden wird, muß die SPÖ auf einer Änderung des Wahlsystems wohl schon zu Beginn der Herbsttagung 1964 65 des Nationalrates bestehen.
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