Die Zähne aus dem Wasserglas nehmen

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Der Presserat ist kein Gericht, er ist eine Art von Ehrenrat. Er hat keine Waffe, nicht einmal einen Prügel und stellt Benimm-Regeln auf. Ist das genug?

In den teilweise obskuren "Fragebögen", die regelmäßig in Magazinen erscheinen, fehlt eine wichtige Sparte: "Was halten Sie von Ihrem eigenen Beruf?" Was die Journalisten betrifft, kann man sich vielleicht die Antwort aus einem Kolumnentitel ihrer Branchenzeitschrift zusammenreimen: "Aus der Journaille". Es geht um Personalberichte des heimischen Journalismus, und ich weiß nicht, ob der Erfinder der Überschrift mit Absicht oder ohne dieselbe seine Kollegen beiderlei Geschlechts samt und sonders solchem Arbeitsbereich zuordnet. Man kennt ja die Bedeutung des Wortes, und unterstützt wird sie durch den Duden: "Journaille: gewissenlos und hetzerisch arbeitende Tagespresse".

Hat die politische Öffentlichkeit diese diffamierende Tätigkeit gemeint, als sie vor vielen Jahren mit Befriedigung die Gründung eines Presserats zur Kenntnis nahm? Hat sie gefürchtet, es nehme ansonsten überhand, was in solchen Journalisten-Fragebögen, und dieses Mal ausdrücklich, beantwortet werden will? Da ist vom Verhältnis der Befragten zur Macht die Rede. Die Antwort fällt meist in jeder Beziehung des Wortes bescheiden aus - Hybris, jener Hochmut, den die Götter bestrafen, ist den Journalisten ja nicht eigen, nicht wahr, und wer wagt sich schon als mächtig zu bezeichnen? Es war gewiss kein Medienmann, der von seinem Beruf als der "Vierten Gewalt" gesprochen hat, neben Legislative, Jurisdiktion und Exekutive. Und Montesquieu ist ja schon lange tot. Da ist es, was die Macht betrifft, besser, sich an einen alten Spruch zu halten: "Nie davon reden, stets daran denken".

Bin ich als einer, der in seinem Beruf, dem Journalismus, alt geworden ist und ihn nicht nur deshalb, weil er ihn als Berufung betrachtet, aus ganzen Herzen liebt - bin ich noch zynischer geworden, als es der den Journalisten angeblich eigene Zynismus verlangt? Die Erkundigung nach einer Instanz, von der die Kontrollore (und das sind sie zweifellos und zu Recht) kontrolliert werden, nach den Wächtern (aber das klingt schon wieder nach Zensur), die auch in der Demokratie deren Wächter bewachen, ist eine nach der Freiheit, auch nach der Pressefreiheit.

Für den Presserat gilt daher, dass man ihn, wäre er nicht schon da, erfinden müsste. Er ist gleichsam die oberste Instanz, von der journalistische Verantwortung geprüft werden soll - so widersprüchlich dies auch klingen mag. Denn Wächter ohne Waffe ähneln jenen englischen Polizisten, die auf das Tragen einer solchen bis vor nicht allzu langer Zeit verzichtet hatten. Sie besaßen nur eine Trillerpfeife, um sich bemerkbar zu machen, wenn es nötig war. Jetzt haben sie nicht nur Knüppel, sondern auch Pistolen, anders ging es nicht.

Der Vergleich mit dem Presserat liegt, pardon, relativ nahe. Was ist Verantwortung? Was versteht man unter journalistischem Gewissen, wie definiert man es? Kann man beschreiben, was diffus ist, vielleicht manchmal auch eine "Non entity"? Ich bin viele Jahre lang abwechselnd Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender dieses Presserats gewesen, ich habe mitgewirkt, als zum ersten Mal der Ehrenkodex der Journalisten festgeschrieben wurde, als man erstmals versuchte, ihre Berufspflichten zu formulieren. Dass wir uns im "außergerichtlichen Raum" bewegten, war klar. Der Presserat ist kein Gericht, er ist eine Art von Ehrenrat. Er hat keine Waffe, nicht einmal einen Prügel. Er stellt Benimm-Regeln auf und hofft, dass sich die Berufsmitglieder daran halten. Wo nicht, wird er "angerufen". Es ist falsch, von Klage und Kläger zu sprechen, von Verurteilung oder Freispruch. Es gibt "Feststellungen". Ist das genug?

In anderen Ländern wird ein Presserat von Richtern geleitet, in wieder anderen von Vertretern der Öffentlichkeit, die nichts mit der Journalistik zu tun haben. In Österreich hatte bis jetzt immer einer oder eine aus den eigenen Reihen den Vorsitz. Das ist, wie mir heute klar ist, nicht gut. Der Presserat ist zudem auf den guten Willen mitwirkender Medien angewiesen. Wenn das eigene betroffen ist (hoffentlich auch im wahrsten Sinn des Wortes), kann es nicht gezwungen werden, einen negativen Spruch zu veröffentlichen. Nicht einmal einen Prügel hat der Presserat, es geht ihm jede Sanktionsmöglichkeit ab. Seine Zähne liegen, bildlich gesprochen, im Wasserglas, und es fehlt das Kukident.

Allein, wieder käme dann die Rede auf Zensur, Pressefreiheit, sogar Kunst (etwa, wenn es um Karikaturen geht). Falsche Zitate? Klar. Aber Verspottung? Intimsphäre? Beleidigung? Verletzung religiösen Empfindens? Die Grenzen scheinen zu verschwimmen. Auch ein Ehrenkodex kann daran nichts ändern, wenn selbst die Ehre ein umstrittener Begriff ist, von dem des Stils in jeder Beziehung gar nicht zu reden.

Bisweilen bin ich froh, nicht mehr im Presserat zu sein. Oder, wie es immer wieder heißt, auch in politischen Interviews: "Fragen Sie mich was Leichteres!"

Der Autor war lange Vorsitzender des Presserates.

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