"Die Zeit arbeitet für China"

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Detlev Nolte, Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerika-Studien über den wachsenden Einfluss Pekings und welche politischen Risiken das mit sich bringt.

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Detlev Nolte, Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerika-Studien über den wachsenden Einfluss Pekings und welche politischen Risiken das mit sich bringt.

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Prof. Dr. Detlef Nolte ist Vizepräsident des unabhängigen Forschungsinstituts GIGA/German Institute of Global and Area Studies) in Hamburg, Direktor des GIGA-Instituts für Lateinamerika-Studien und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Er forscht zu politischen Institutionen in Lateinamerika, regionaler Zusammenarbeit und den internationalen Beziehungen Lateinamerikas.

DIe Furche: Die USA haben unter Barack Obama die Annäherung an Kuba betrieben, auch um die Beziehungen zu Lateinamerika zu verbessern. Diese Annäherungspolitik wurde vom neuen US-Präsidenten Donald Trump nun zumindest auf Standby gesetzt. Was bedeutet dies für die Beziehungen zwischen USA und Lateinamerika, auch vor dem Hintergrund USfreundlicherer Regierungen in Argentinien und Brasilien?

Detlef Nolte: Die genannten Regierungen hatten auf eine Annäherung an die USA bei wirtschaftlicher Öffnung (sprich Freihandel) gesetzt und müssen sich jetzt neu orientieren, soweit sie überhaupt außenpolitisch handlungsfähig sind, wie im Fall Brasiliens. Die lateinamerikanischen Staaten werden versuchen, die Beziehungen zu Asien auszubauen und zu Europa zu vertiefen.

DIe Furche: In einer seiner ersten Amtshandlungen hat Trump das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP gekündigt, verprellt mit seinem anti-mexikanischen Diskurs einen wichtigen Partner und will den Freihandelspakt NAFTA neu verhandeln. Könnte das China neue Spielräume eröffnen, das ohnehin versucht, verstärkt Fuß zu fassen in Lateinamerika? Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Nolte: China versucht sich auch in Lateinamerika als Verteidiger des Freihandels zu profilieren. Der chinesische Präsident Xi Jinping machte auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Asia-Pacific Economic Cooperation, kurz APEC) in Lima im November 2016 ein breites Angebot zum Ausbau der Handelsbeziehungen, und er besuchte Ecuador und Chile, wo China und Chile ihren Beziehungen einen höheren offiziellen Status gaben. Und gleichfalls im November 2016 hat die chinesische Regierung ein neues Weißbuch zur Lateinamerikapolitik veröffentlicht, welches das vorherige von 2008 aktualisiert. In Lateinamerika -vor allem in Zentralamerika und der Karibik -unterhalten viele Staaten noch Beziehungen zu Taiwan. Auch hier macht China strategische Fortschritte. Gerade hat Panama die Beziehungen zu Taiwan abgebrochen. DIe Furche: Ist Lateinamerika nicht folgerichtig ein neuer Markt für Chinas exportorientiertes Entwicklungsmodell? Nolte: Ein Markt ist es schon länger -seit 2000 hat China stetig seine Importe aus und Exporte nach Lateinamerika ausgebaut und dabei vor einigen Jahren Europa als Handelspartner überholt. Bei den Investitionen liegen die Europäer dagegen noch vor den Chinesen. Die 2000er-Jahre gelten als die chinesische Dekade in Lateinamerika. Und in der Phase der wirtschaftlichen Krise in Lateinamerika ist es auch nicht zu einem Rückgang des chinesischen Engagements gekommen.

DIe Furche: In einem ambitionierten Strategiepapier hat die chinesische Regierung "eine neue Ära" der Beziehungen zwischen China und Lateinamerika umrissen. Ein Angriff auf die Vormachtstellung der USA in der Region?

Nolte: Ich glaube, die Chinesen agieren vorsichtig im Bewusstsein, dass die Zeit für sie arbeitet. Für sie ist Trump ein Glücksfall, sie müssen nicht agieren, sondern können reagieren. Sie werden aber versuchen, während der Präsidentschaft von Trump ihre wirtschaftliche Präsenz in Lateinamerika auszubauen (als Investor, Kreditgeber und Handelspartner). Vor allem in den Beziehungen zu Mexiko gibt es noch Potenzial nach oben.

DIe Furche: Welche neuen Konfliktfelder und geostrategischen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass China den USA ihren "Hinterhof" Lateinamerika streitig macht, während die USA fortan auf Protektionismus setzen? Wer sind hier zukünftig Gewinner und Verlierer? Nolte: Im Moment scheinen die Chinesen die Gewinner zu sein. Doch bei einer Verschärfung der Handelskonflikte und einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China könnte auch Lateinamerika in diesen geopolitischen Konflikt hineingezogen werden. Die USA könnten allergisch reagieren, falls China die militärische Kooperation mit lateinamerikanischen Ländern ausbauen sollte. Bisher versucht China allerdings eine offene Provokation der USA zu vermeiden und vorsichtig zu agieren. Insgesamt entspricht ein von den USA unabhängigeres Lateinamerika den chinesischen Vorstellungen einer multipolaren Weltordnung. In gewisser Weise ist Lateinamerika auch ein Testfeld für die Außenpolitik einer global agierenden Macht. Die Beziehungen Chinas zu Lateinamerika sind relativ neu und nicht vorbelastet. Die Nähe Lateinamerikas zu den USA gibt der Region als Testfeld einen besonderen Touch. Und China lernt mit Regierungen unterschiedlicher politischer Ausrichtung umzugehen.

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