Die Zeitbombe Hunger entschärfen

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Landminen auf den Feldern, zerstörte Wasserversorgung: Die FAO weist auf die verheerenden Folgen von Gewaltkonflikten und Ernährung hin.

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Landminen auf den Feldern, zerstörte Wasserversorgung: Die FAO weist auf die verheerenden Folgen von Gewaltkonflikten und Ernährung hin.

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Die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) mit dem Sitz in Rom veröffentlichte vor kurzem ein aufrüttelndes Dokument, das mit präzisen Fakten aufzeigt, welche negativen politischen Folgen der fortschreitende Hunger in der Welt nach sich zieht. Grundlage für diese Analyse der FAO, von Österreich seit Jahrzehnten unterstützt, ist eine Studie ("Vision 2020") des Internationalen Forschungsinstitutes für Ernährungspolitik.

Die Schaffung einer von Hunger freien Welt im 21. Jahrhundert erfordert die Verhinderung und Lösung von Gewaltkonflikten sowie konzentrierte Anstrengungen zum Wiederaufbau kriegszerstörter Gesellschaften, ist eine der zentralen Aussagen.

Zwischen 1970 und 1990 litten 43 Entwicklungsländer unter Hunger und verringerter Nahrungsmittelproduktion infolge von "Ernährungskriegen"; damit ist der Hunger als Waffe in zerstörerischen Konflikten gemeint.

Umgekehrt ist auch wahr, daß Hunger und mangelnde Befriedigung von Grundbedürfnissen oft den Ausgangspunkt von gewaltsamen Konflikten bilden. In den neunziger Jahren kam es zu einem starken Anwachsen komplexer humanitärer Notsituationen als Folge sozialer Spannungen.

Bis 1996 setzten bewaffnete Feindseligkeiten und deren Folgen 80 Millionen Menschen dem Hungerrisiko aus, darunter 23 Millionen Flüchtlinge, 27 Millionen innerhalb ihrer Länder Vertriebene und 30 Millionen in Kampfgebieten eingeschlossene Personen. Feindseligkeiten zu schlichten und den damit verbundenen landwirtschaftlichen und ökonomischen Verlusten Einhalt zu gebieten, ist entscheidend dafür, daß die Perspektiven der Agrarwirtschaft und der menschlichen Entwicklung im 21. Jahrhundert verbessert werden. Konfliktverhütung muß auch ein Ziel von Entwicklungs- und Nothilfeprogrammen sein.

Konflikte zerstören materielle (Boden, Wasser, Flora und Fauna) und soziale Ressourcen der Nahrungsmittelproduktion. Dazu schränken Militärausgaben Investitionen in das Gesundheits- und Bildungswesen, in die Landwirtschaft und den Umweltschutz ein. Konflikte führen zu Ernährungsunsicherheit durch Belagerung von Städten, Plünderung des Eigentums der Kriegsopfer, Zerstörung von Märkten, Beseitigung der Gesundheitsfürsorge und Zerschlagung von Gemeinwesen.

Ohne Nahrung kein Friede möglich Weitere, nicht immer beabsichtigte Kriegsfolgen sind der Verlust des Lebensunterhaltes der Bauern, wenn sie keinen Zugang zu Äckern und Weideflächen haben. "Ist ein Konflikt vorüber, müssen mit entsprechendem Arbeits- und Kostenaufwand Landminen geräumt, Wasserversorgungssysteme instandgesetzt, Bäume neu gepflanzt, Behausungen wieder aufgebaut und Gemeinwesen neu belebt werden. Ohne ausreichende Nahrung und Infrastruktur kann der brüchige Frieden wieder leicht in einen Konflikt münden", wird im FAO-Dokument gewarnt.

Untersuchungen über die Unterschiede in der Nahrungsmittelproduktion in Friedens- und in Kriegsjahren verdeutlichen: Zwischen Konflikt und sinkender Pro-Kopf-Erzeugung von Nahrungsmitteln in Afrika südlich der Sahara (1970 bis 1993) besteht ein enger Zusammenhang. Danach erzeugten von Auseinandersetzungen heimgesuchte Länder in Kriegsjahren durchschnittlich 12,4 Prozent weniger Nahrungsmittel je Einwohner als zu Friedenszeiten.

Ein Vergleich zwischen den Trends von Kriegszeiten und Friedensbedingungen angepaßten Perioden zeigt: Seit 1980 hätten Friedensbedingungen in Afrika zwei bis fünf Prozent mehr an Nahrungsmitteln pro Kopf und Jahr gebracht. In den neunziger Jahren reduzierten Kriegsereignisse die jährlichen Wachstumsraten der Pro-Kopf-Erzeugung von Nahrungsmitteln um fast fünf Prozent.

Das Durchbrechen des Teufelskreises von Hunger und Gewaltkonflikt muß ein Ziel der Ernährungs-, Landwirtschafts-, Umwelt- und Wirtschaftsentwicklungspolitik werden. Für die internationale Gemeinschaft heißt das, der Überwindung von Ernährungsunsicherheit, die zu Konflikten führen kann, mehr Beachtung zu schenken; Entwicklungshilfe so zu leisten, daß zu Konflikten führende Konkurrenz vermieden wird; lebensnotwendige Nahrungsmittelhilfe so zu verteilen, daß Kriege nicht verlängert werden; und schließlich die Wiederaufbauhilfe besonders zu beachten. Dies sind einige wichtige Forderungen der FAO an die Weltpolitik, um die Zeitbombe "Hunger" endlich und dauerhaft zu entschärfen.

Der Autor ist Gruppenleiter im Landwirtschaftsministerium.

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