Die Zukunft hat einen Namen

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An Schlaf war in jener Nacht nicht zu denken. Unterwegs in Amerika, erlebte ich 1968 den Mord an Martin Luther King und seine furchtbaren Folgen in der bizarren Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem: Auf meinem Hotelbildschirm lief noch die immer gleiche Szene vom Sterben des schwarzen Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers: Sein Winken vom Balkon eines billigen Motels in Memphis (Tennessee). Dann der Schuss aus dem Irgendwo - und sein Tod. Draußen aber, vor meinem Hotelfenster, vollzog sich schon das Unvermeidliche: der Aufstand, die Brandlegungen, die Schreie nach Rache, die schrillen Sirenen. Blut floss. Amerika war in Trauer - und Angst.

"… das gelobte Land gesehen"

Kings letzte Rede, nur einen Tag zuvor, war voller Anspielungen gewesen: "Ich habe das gelobte Land gesehen …" Hatte er seinen nahen Tod erahnt - oder ein Amerika ohne Rassenhass und Diskriminierung?

Fünf Tage später, als Martin Luther King begraben wurde, standen wir im New Yorker Central Park - unter Hunderttausenden; mit brennenden Kerzen und "We shall overcome" singend. Es war die Stunde der Sehnsucht - nach einem neuen Amerika, einem wahrhaft "gelobten Land".

Genau 40 Jahre sind seither vergangen. Mit Barack Obama haben die US-Bürger nicht nur den ersten dunkelhäutigen Präsidenten gewählt. Sie haben einer erschöpften, illusionslosen, auch zynisch gewordenen Weltpolitik eine neue Hoffnung, ja Begeisterung geschenkt.

"I have a dream", hatte Martin Luther King schon 1963 auf den Stufen des Capitols ausgerufen. Sein Traum ist jetzt von der Realität überholt worden. Freilich: Ohne den Traumata der sieben Plagen unter George W. Bush (Irak und Afghanistan, Bank- und Finanzkrise, Bildungs- und Sozialnotstand, Rekord-Defizit) wäre Obama wohl chancenlos geblieben. Ohne seine maßgeschneiderte Biografie - schwarzer Vater, weiße Mutter, Christ aus muslimischer Familie, Eliteausbildung in Harvard - wären die Rassen-Trennlinien nicht so leicht verblasst.

Und ohne seinen so fehlerlosen 633-Tage-Marathon, genährt aus Charisma, Intelligenz, Integrität und einer Umarmungsstrategie, die alle Rassenfragen überdeckte, wäre das weiße Parteien-Establishment plus Kriegshelden-Mythos gegen ihn nicht so farblos geworden.

Amerikas große Medien haben das Ihre dazu beigetragen - aus einem feinen Gespür für die Dringlichkeit der Wiedergeburt amerikanischer Werte.

Fest der inneren Befreiung

Immer schon haben die Amerikaner die Kür eines neuen Präsidenten als semi-religiöses Fest der inneren Befreiung zelebriert - in der beneidenswert naiven Hoffnung, dass nun alles besser werde. Nie aber seit Kennedy waren die Jugend und die Farbigen so sehr die Träger dieser Hoffnung. Und nie zuvor hat diese Erwartung auch so sehr die Grenzen der USA überschritten.

Noch fehlen die konkreten Belege für den großen Wandel. Und noch lebt auch die Angst, der feine Riss durch Amerikas Gesellschaft könnte gerade jetzt neu spürbar werden. Aber die großen Weichen sind gestellt. Demoskopen wissen: Ab 2038 haben die USA keine weiße Mehrheit mehr. Die Zukunft hat schon begonnen - und sie hat jetzt einen Namen.

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