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Dienstbares Eigentum

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Es ist auffallend, daß heute die Soziali-sierungsforderungen und Enteignungsprogramme nicht mehr in der ungestümen Art und revolutionierenden Einseitigkeit gestellt werden wie in der Diskussion nach dem ersten Weltkriege. Einstige prinzipielle Gegner verdammen heute ein# Sozialisierung nicht mehr grundsätzlich, aber auch viele Befürworter von früher wollen eine solche nicht unter allen Umständen durchgeführt wissen: Wir haben letzthin im Wege der österreichischen Sozialisierungspläne erfahren, wie empfindlich auch Subjekte des internationalen Privatrechts auf die Verstaatlichung von Privateigentum reagieren. Großbritannien und die Vereinigten Staaten haben in einer Note an die österreichische Regierung dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß die Verstaatlichung von Unternehmungen, die sich in der britischen und amerikanischen Zone befinden, nicht übereilt durchgeführt wird. Die österreichische Regierung ihrerseits versicherte, daß Betriebe, an denen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen beteiligt sind, erst dann verstaatlicht würden, wenn dafür eine angemessene Entschädigung geleistet werden könne.

Die grundsätzliche Berechtigung des Privateigentums wird kaum mehr bestritten. Das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben baut auf diese Tatsache. Eigentum ist aber nicht bloß eine statische Gegebenheit, die unwandelbar und unbeeinflußbar gegenüber jeweiligen Zeiterfordernissen erstarren darf. Eigentum — Staats- wie Privateigentum —: beinhalten ganz eminent eine Sozialfunktion, die dynamisch und ununterbrochen ihre Wandlungen erfährt. Man erkennt heute, daß es ein unglückliches Beginnen war, die naturgesetzlich verankerte Institution des Privateigentums im Prinzip zu unterhöhlen. Damit raubte man auch den Trägern persönlicher Verantwortung die wertvollsten Verpflichüungsmotive Das Eigentum erfüllt seine Sozialfunktion vor allem im Dienst-* ba'rsein. Damit erweitert sich der Wirkkreis völlig unbegrenzt über die unmittelbaren Interessen der Eigentümer hinaus und befruchtet die Gemeinschaft. Die Herrschaft des Menschen über sein Eigentum ist nicht unbeschränkt und absolut. Sie muß derart sein, daß sie den vom Schöpfer in die Erdengüter gesetzten Widmungszweck tatsächlich verwirklicht. Der Mensch darf seine Güter nicht so ausschließlich zu eigen haben, daß sie in keiner Weise dem Gemeinnutz dienen könnten oder daß sie jedes andere Individuum immer und unbedingt ausschalten dürfen. Das Privateigentum ist immerhin nur ein sekundäres Recht. Der Hauptzweck, wozu die Erdengüter geschaffen sind, liegt darin, daß den Menschen die Mittel zur Erhaltung jener Güter geboten werden, die naturgesetzlich allen zukommen müssen. Solche Güter sind das leibliche beben und die Gesundheit, Freiheit und guter Ruf, Ordnung und Frieden der Gemeinschaft usw.

Eigentum gewährt das Redit des G e-* brauchs und des V e r brauchs. Der Eigentümer ist Sozialwesen. Er lebt in der Gemeinschaft, hat also Pfliditen gegen sie, wie er dafür auch Rechte genießt, so vor allem den relativen Schutz seines Eigentums* Eine solche Regelung erfolgt nach den Normen der rechtmäßigen Gemeinschafts-autorität, nach den Gesetzen der Staatsgewalt, die freilich den sittlichen Forderungen zur Wahrung der Menschenwürde nicht zuwiderlaufen dürfen. Die Institution des Eigentums erfährt — ohne daß ihr Wesen davon berührt wurde — mit dem Wandel der gesellschaftlichen Zustände auch selbst Veränderungen. Dem haben auch die Gesetzgeber Rechnung zu tragen. Schon in den germanischen Partikularrechten waren viel mehr soziale Pflichten zu Rechtspflichten erstarkt als im rigorosen römischen Recht. Im modernen Recht werden' Sozialpflichten des Eigentums sogar zum Bestandteil der Verfassung erklärt. 364 ABGB schreibt vor: „Überhaupt findet die Ausübung des Eigentumsredites nur insofern statt, als dadurch weder in die Rechte eines Dritten ein Eingriff geschieht, noch die in den Gesetzen zur Erhaltung und Beförderung des allgemeinen Wohls vorgeschriebenen Eini schränkungen übertreten werden.“ Das Schweizer Zivilgesetzbuch erklärt Eigentum als den wichtigsten Faktor der privaten Wirtschaftsordnung. Die Verfügungsmacht über das Eigentum darf sich aber nur „in den Schranken der Rechtsordnung“ auswirken* Trotz guter Ansätze sind die Kodifizierungen der Eigentumsrechte und -pflichten in den modernen Gesetzen noch zu sehr von individualistischem, ja wie das österreichische ABGB von absolutistischen Geiste beherrscht. Die kommende Neuordnung wird noch weit mehr wahrhaft sozialem Empfinden Rechnung tragen müssen.

In der geschichtlichen Entwicklung der Rechtsnormen haben sich nach den jeweiligen Erfordernissen mannigfaltige Formen dienstbaren Eigentums gebildet. Schon im römischen Recht finden wir die Institution der Servituten scharf ausgeprägt. Servituten sind dingliche, das heißt an einer Sache haftende Rechte, die den Gebraudi od*r Nutzungswert einer Sache einer anderen Person als dem Eigentümer (Personalservitut) oder ' einem fremden Grundstücke (Prädialservitut) „dienstbar“ machen. Praktische Beispiele solcher Dienstbarkeiten sind etwa das Wohnungsrecht im Ausgedinge, Fruchtnießung und anderes. Grunddienstbarkeiten sind zum Beispiel das Recht der Dachtraufe, Fensterrecht, Weide- und Wegerechte für Nachbai-grundstücke und ähnliches. Weitere gesetzlich verankerte Formen dienstbaren Eigentums sind die Reallasten, das sind Belastungen eines Grundstückes mit wiederkehrender Leistung seiner jeweiligen Eigentümer (Reallastschuldner) an einen anderen Gläubiger (Reallastgläubiger). Reallasten sind zum Beispiel der Altenteil, Zehnten, das in Gie-bigkeiten bestehende Ausgedinge und vieles andere. Ideale Formen dienstbaren Eigentums entwickelten sich in manchen Wirtschaftszweigen, wo noch einiges vom patriarchalischen Geiste früherer Zeiten nachklingt,* wie etwa die Erbpachtverhältnisse auf Fideikommiß- und Kirchengütern. Auch Teilhaberund Mitnutzungsrechte am Unternehmen oder an einzelnen Betriebseinrichtungen bildeten sich für die Gefolgschaftsmitglieder, zum Beispiel Regiekarten, Freifahrten und ähnliches für Bahnpersonal; zusätzliche Beteiligung mit Produkten; Genuß von Dienst-, Arbeiter- und Angestelltenwohnungen, Prämien, Ausbildungsbeihilfen und ähnliches.

Mit dem Inkrafttreten eines neuen Staatsvertrages für Österreich werden wir uns auch mit dem Begriff von Staatsservituten vertraut machen dürfen, das sind dauernde Beschränkungen der Gebietshoheit eines Staates zugunsten eines anderen Staates, zum Beispiel durch Besatzungsrechte, dauernde Entfestigung gewisser Plätze, neutrale Zonen und ähnliches. Jegliche Art von Eigentum also, ob Individual-, Kollektiv- oder Staatseigentum hat in erster und oberster Verpflichtung dem Allgemeinwohle zu dienen oder diesem wenigstens nicht im Wege zu sein. Schon die Technisierung des Wirtschaftslebens hat neue Formen und Forderungen dienstbaren Eigentums geschaffen. Denken wir etwa an die Bahn- and Straßenbaubestimmungen, das Elektrizitätswegegesetz und anderes.

Welch interessante Formen dienstbaren Eigentums werden die geistige Evolution, die materiellen Umwälzungen und das Ringen um die neue Gesellschaftsordnung nach dem soeben noch verglimmenden Weltenbrande schaffen! Millionen von Menschen sind enteignet, entsiedelt, entrechtet, verarmt. Vielfach zwangsweise und künstlich werden sie in neue Gebiete, in einer Iremden Umgebung anzusiedeln versucht. Auch diese werden wieder ihre natürlichen Rechte auf Menschenwürde, Persönlichkeit und Freiheit geltend machen wollen; aber auch die Gastgeber werden weiterhin ein Ebenmaß solch angeborner Rechte behaupten dürfen.

Dienstbarkeiten eigener Prägung, und sozial gar nicht unbedenklich, bilden sich aus der Vergenossenschaftung im Wirtschaftsleben. Wir erinnern uns noch an die unpersönlichen Wirtschaftsdiktate der Trusts und Konzerne, an die unheilvolle Verflechtung von Politik und Geschäft und an die zersetzende Verproletarisierung und gesellschaftliche Isolierung. Noch ist nicht abzusehen, wie sich die inner- und zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen gestalten werden. In engeren Bereichen einzelner Wirtschaftszweige zeigt sich teils als Überbleibsel eines kriegsbedingten Rationierungssystems, teils als bürokratisierende Vitalität eine neue Form der Wirtschaftslenkung in sogenannten Kammern, Genossenschaften öffentlichen Rechts und ähnlichen, die nicht nur durch gesetzliche Umlagen und Sonderbefugnisse, sondern auch durch ihre autokratische Waltung den Prozeß zwisdien Produktion und Konsum zu modulieren versuchen. Unter Verzögerung der Verstaatlichungsabsicht hat sich zum Beispiel in England soeben ein Direktorium für die Reorganisation der Stahlindustrie gebildet, das aus staatlich ernannten Vertretern der Unternehmer und Arbeiter sowie unabhängigen Fachleuten besteht. Dieser Stahlrat soll sich nur mit der technischen Erneuerung und mit der Regelung von Produktion, Verteilung und Preisen befassen. Es ist einzusehen, daß die moderne Wirtschaftstedinik eine besondere Produktions-. Verkehrs- und Konsumregelung gebietet. Nicht vertretbar aber ist e-, wenn solche Einschaltung durch unproduktive Zwischengewinne, Verbürokratisierung, fragwürdige Kompensationsgeschäfte, Ausgleichsprämien und anderes - den Warenpreis erhöhen wird. Die Zeche hat immer der Konsument zu bezahlen, vor allem auch der verbrauchende Arbeiter.

Im abendländischen Kulturraum mag der naturrechtlich verankerte Begriff des Eigentums nun weiterhin gewährleistet sein. Dessen verpflichtende Sozialfunktion wandelt sich aber mit der Neuordnung der Gesellschaft. Daraus erwachsen für das Eigentum Dienttbarkeiten neuer und wohl auch besonderer Art. Die Sozialphilosophen und Wirtschaftspraktiker werden rechtzeitig dorthin die Richtung weisen uncj die Wege gebahnt haben, ehevor die notwendigen Auseinandersetzungen zum Politikum werden. *

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