Diese politische Unkultur zieht an

19451960198020002020

Ein wohlwollend traurig Zurückblickender analysiert die FPÖ und deren Strategie zur Wählermaximierung.

19451960198020002020

Ein wohlwollend traurig Zurückblickender analysiert die FPÖ und deren Strategie zur Wählermaximierung.

Werbung
Werbung
Werbung

Klaus Lukas legt mit der "Elegie auf blau - eine politische Konfession" seine Nachbetrachtung zu FPÖ und Jörg Haider vor. Sie beschäftigt sich im wesentlichen mit der Zeit zwischen den Nationalratswahlen 1995 und 1999, unter Einschluss der "Sondierungsphase", aber nicht mehr mit dem Regierungseintritt der Freiheitlichen. Jahre, in denen der Quereinsteiger, insbesondere als FP-Bürgermeisterkandidat bei den Klagenfurter Gemeinderatswahlen 1996, zumindest zeitweise wohl zum engsten Kreis um Jörg Haider gehörte und damit in das Zentrum der FPÖ Einblick hatte. Ein Enttäuschter, vielleicht auch Getäuschter, nimmt Abschied und legt Rechenschaft ab über sein Stück Weges mit Haiders FP. Er tut dies jedoch nicht im Stil eines nach Anfangseuphorie zu Feindschaft Gewandelten, sondern noch immer als wohlwollend traurig Zurückblickender - eine Elegie eben.

Gegen Filz und System Der "Einzelkämpfer", so die Selbsteinschätzung, nach Jahrzehnten im Außenhandelsdienst der Bundeswirtschaftskammer, im Libanon, Kanada und Afrika, an internationale Offenheit und politische Eigenständigkeit gewöhnt, kehrt Ende der 80er Jahre als Chef der Fremdenverkehrswerbung nach Österreich zurück. Die Erfahrung mit dem Filz, dem System der großkoalitionär-sozialpartnerschaftlichen Realität, lässt ihn vor den Wahlen 1995 als Quereinsteiger (bis dahin Unabhängiger, der die behauptete ÖVP-Nähe stets in Abrede stellt) bei Jörg Haider mitmachen, in der Hoffnung, am System etwas ändern zu können.

Lukas gibt zunächst seine Innensicht von Haiders FPÖ wieder, ihren Aufstieg und ihre Methoden. Dabei erfährt der Leser, die Leserin vielfach Bekanntes, bekommt aber von einem ins Detail gehenden Insider bestätigt, was oft nur verkürzt und von außen beschrieben wurde. Es folgen seine Erfahrungen als EU-Parlamentarier, die Schwierigkeiten der FPÖ auf EU-Ebene, ihre internationale Isoliertheit. Schließlich schließt Lukas mit seiner Antwort auf die sich aufdrängende Frage, warum er sich in dieser Partei, die er grundlegend kritisiert, engagiert hat.

Lukas malt Haider nicht schwarz-weiß, übersieht dessen Leistungen, Erfolge, Fleiß, persönlichen Charme et cetera nicht. Eine Hauptkritik richtet sich gegen die totale "Marketing-Ausrichtung" der FPÖ auf Jörg Haider, gegen eine an "Personenkult gewöhnte Partei", die "Idolisierung" Haiders (bis hin zur Groteske des Nachäffens seines Outfits und Sportlichkeitsimages), Haiders Unfähigkeit, Kritik zu akzeptieren, die Nützlichkeit von "totaler Loyalität" und "vorauseilendem Gehorsam". Vor allem geißelt Lukas anhand einzelner Beispiele Haiders perfekten Gebrauch des "Macht- und Marketinginstruments Mandatsliste" und das dadurch geknüpfte Netzwerk aus Abhängigkeiten und Dankbarkeit.

Seine zweite Hauptkritik bezieht sich auf die inhaltliche Positionierung der FPÖ: Vom "Supermarkt der politischen Angebote", Populismus, Opportunismus, dem Aufbau von Krisenängsten, von Feindbildern ist da ausführlich die Rede. Die inhaltliche Wendigkeit beschreibt er anhand des Auseinanderklaffens zwischen Wahlaussage und politischer Praxis nach der Wahl, insbesonders anhand der Wahl vom 3. Oktober (Kinderscheck, Flat-Tax, neuerliche EU-Kursänderung, Groteske um die 60.000-Schilling-Politikerbezüge-Obergrenze), sowie der praktischen Irrelevanz des Parteiprogramms gegenüber den jeweiligen "Chef-Aussagen" beziehungsweise dem alles überschattenden Populismus und Opportunismus im Dienste der Wählermaximierung.

Haider sieht Lukas nicht mit ausgeprägter Ideologie befrachtet, keinesfalls als rechtsextrem. Einschlägige Aussagen verweist er in den Bereich der Taktik. Lukas geht auf wichtige ideologisch-inhaltliche Eckpfeiler freiheitlichen Wahlkämpfens ein: die zumindest verdeckt xenophobe Zwei-echte-Österreicher-Kampagne, das Ansprechen der Ängste vor dem Anderen und vor der Überfremdung, das Ausnützen der historischen Ressentiments gegen die Kärntner Slowenen, die unglaubliche Skandalisierung des Kärntner Künstlers Cornelius Kolig im Landtagswahlkampf, die unentwegten Anti-EU-Affekte beim Beirittsreferendum, das Anti-Euro-Volksbegehren, die scheinpatriotische "Österreich zuerst"-Parole, die Angstmacherei gegen die EU-Erweiterung bei der EU-Wahl. Verständlich die Enttäuschung von Lukas, wenn er die Vergeblichkeit der Bemühungen beschreibt, wenigstens bei einer der betont EU-kritischen bis fundamental ablehnenden weit rechts stehenden Europaparlament-Fraktionen unterzukommen (Union für Europa beziehungsweise Europa der Nationen) - ein interessantes Detail.

Trennlinie zur FPÖ Nach dieser umfassenden inhaltlich-politischen und persönlichen Kritik an FPÖ und Haider beantwortet Lukas die Frage nach dem warum seines Engagements verblüffend offen. Natürlich hoffte er, zu Veränderungen in Österreich beitragen zu können, lockte die schöne Aufgabe des Europaparlament-Mandats, bedingte er sich beim Quereinstieg die Akzeptanz seiner differenten politischen Positionen aus. Letztlich wurde ihm im traumatisierenden Klagenfurter Gemeinderatwahlkampf "klar, dass die selbsternannten Anständigen und Ordentlichen nur dann anständiger und ordentlicher sind, wenn sie keine Möglichkeit haben, unanständig und unordentlich zu sein." Und die Erfahrung, dass der "Versuch konstruktive Elemente in unser europapolitisches Bemühen einzubringen als gegen die Parteilinie gerichteter Unsinn betrachtet" wurde, wird den Rest ausgemacht haben.

Aus persönlicher Beobachtung im europäischen Parlament weiß ich, dass Klaus Lukas mit Inhalt und Stil der FPÖ keineswegs deckungsgleich agierte. In seinem Buch zieht er überdies eine klare Trennlinie zu Fremdenfeindlichkeit, Slowenenablehnung, antieuropäischer, nationalistischer Haltung und beeindruckend stellt er sich vor Cornelius Kolig.

Politische Unkultur Ein tiefer Widerspruch bleibt jedoch. Er durchschaut zwar die inhaltlichen Abgründe und Methoden zur Wählermaximierung und Machterringung bei Haider und seiner Partei, aber sie bleiben für ihn "ohne ausgeprägte Ideologie". Dabei übersieht er, dass diese Inhalte, diese politische Unkultur Wähler anzieht, mobilisiert und dadurch zur politisch wirksamen Realität werden, auch dann wenn sie "nur" als Wahlkampfmittel missbraucht wurden.

Selbst wenn er recht behalten sollte und die FPÖ ihre Inhalte wieder wendet - die Regierungserklärung trägt nicht mehr die FPÖ-Wahlkampfhandschrift. Was ist von einer Partei zu halten, die erwiesenermaßen aus Opportunismus jederzeit bereit ist, Wahlaussage von praktizierter Politik zu trennen. Zu Regierungsbeginn mag es nützlich erscheinen, andere Töne anzuschlagen; kann aber jemand glauben, dass bei späteren, zum Machterhalt entscheidenden Wahlkämpfen auf die gewohnt wirksamen Inhalte verzichtet wird? Letztlich steht und fällt eine Partei mit dem, wofür sie gewählt wird. Darum kommt ein Urteil über die Freiheitlichen nicht herum.

Klaus Lukas überzeugt alles in allem mit diesem Buch durch seinen offenen, selbstkritischen, sehr persönlichen und unaufgeregten Stil. Eine Arbeit, auf die alle, die sich ein Urteil über die FPÖ und Haider bilden wollen, nicht verzichten können. Übrigens: Warum Klaus Lukas bei der EU-Wahl zusammen mit Karl Habsburg angetreten ist, das wäre wohl auch von Interesse gewesen.

Der Autor ist Geschäftsführer des Liberalen Bildungsforums.

Elegie auf Blau. Eine politische Konfession. Von Klaus Lukas. Edition Va bene, Klosterneuburg 2000, 256 Seiten, geb., öS 348,-/e 25,29

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung