Don Quijotes spitzer Bleistift

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Ein historisches Budget wurde in Straßburg verhandelt: Ab 2004 muss die EU für 25 Mitgliedsstaaten sorgen. Sparen lautet die Devise - viel Geld wird aber auch ungenützt liegen gelassen.

Die Europäische Union spart: Den Beamten und Abgeordneten ist zu kalt, sie frieren und schimpfen im Lift über das nasse Wetter in Straßburg und die kalte Heizung im Europäischen Parlament; bis auf einen - Herbert Bösch sitzt mit aufgekrempelten Ärmeln in seinem Büro und kämpft am Telefon um Zustimmung für seine Budgetpolitik. In zwei Stunden trifft sich das Parlament zur ersten Lesung über den EU-Haushalt 2004: ein historisches Budget, wird das Zahlenwerk bei jeder Gelegenheit genannt, denn ab Mai kommenden Jahres sorgt die Union für 25 Mitgliedsstaaten.

Für den SPÖ-Europaabgeordneten Bösch zählt in den Stunden vor der Abstimmung am Donnerstag letzter Woche aber nur mehr sein "amendment 725", sein Änderungsantrag, der eine Streichung der Ausfuhrerstattungen für Lebendtiertransporte fordert. "That's great", ruft er ins Telefon und knallt den Hörer auf die Gabel. "Die britischen Tories stehen wie die Weltmeister hinter meinem Antrag", jubelt der Sozialdemokrat. "Bei uns ist das anders als in den nationalen Parlamenten", erklärt der Vorarlberger, "wir raufen uns anhand von Themen zusammen." Das Telefon läutet wieder, Bösch schaut auf die Anzeige: "Der Souladakis, ein griechischer Sozi, ist das - die werden mir wohl die Stange halten..."

Hosen runter fürs Budget

Um 40 Millionen Euro geht es bei der von Bösch angefochtenen EU-Prämie. Der gesamte EU-Haushalt 2004 beträgt laut Vorstellung des EU-Parlaments jedoch rund 112 Milliarden Euro an Verpflichtungen. Zum Vergleich: Das österreichische Budget schlägt pro Jahr mit 60 Milliarden Euro zu Buche. Bemerkenswert ist, dass die Union der 25 Mitgliedsstaaten um lediglich zwölf Milliarden Euro mehr als die bisherige 15er-EU budgetiert. "Die Union nimmt sich zurück", kommentiert Paul Rübig, der ÖVP-Europaparlamentarier im Haushaltsausschuss die Sparsamkeit. Trotz Erweiterung budgetiert die EU 2004 deutlich unter der erlaubten Obergrenze. "Wenn alle Mitgliedsländer wegen des Stabilitätspakts die Hosen runterlassen, können wir nicht aufstocken, meint Rübig.

Einen "eingeschworenen, kleinen Zirkel" nennt eine EU-Beamtin den Haushaltsausschuss: "Das sind Tüftler, die an unendlichen Zahlenkolonnen ihre Freude haben." Paul Rübig ist dem Reiz von Budgetberichten zweifellos erlegen; er nimmt die dicken Wälzer auch in den Urlaub mit: "Ein Budget zeigt die gesamte Breite der Politiken", erklärt der oberösterreichische EU-Parlamentarier, "da entdeckt man Sachen, die sind spannender als jeder Krimi."

Gegen Windmühlen

Spannend geht es auch im Büro von Herbert Bösch zu: Alle paar Minuten läutet das Telefon und der Abgeordnete nimmt Solidaritätsadressen für seinen Änderungsantrag entgegen. "Jetzt ist es a Gaudi", skizziert er zwischen zwei Gesprächen seine Gemütsverfassung: "Das war gerade ein grüner Belgier, und vorher war ein französischer Sozialist am Apparat." Seine pubertierenden Kinder hätten Bösch auf die Tierquälerei bei Transporten aufmerksam gemacht: "Und so etwas finanziert die Union!", stellten die Kinder ihren EU-Vater zur Rede, seither kämpfe er dagegen an - "ein Kampf gegen Windmühlen", seufzt Bösch, aber heute scheint er dem Wind gewachsen.

Bekannt geworden ist Herbert Bösch für seinen Kampf gegen andere EU-Windmühlen: Als Betrugsberichterstatter des europäischen Parlaments brachte er die finanziellen Verfehlungen der letzten EU-Kommission an die Öffentlichkeit, was schließlich zu deren Rücktritt führte. Außerdem gilt Bösch als der Vater der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF, die gerade in den letzten Wochen wieder mehrere Male erfolgreich zuschlagen konnte. Vor allem die EU-Agrarpolitik mit ihren großen Überproduktionen, so der Betrugsberichterstatter, lade zu Missbrauch ein. Bösch: "Überall, wo es an Transparenz fehlt, beginnt es schummerig zu werden."

Geld bleibt in Brüssel liegen

Aber auch bei Böschs Änderungsantrag zu den Lebendtiertransporten wird den Parlamentariern schwindelig: Beim ersten Teil des "amendments" gehöre mit Minus, beim zweiten mit Plus gestimmt, wird Bösch am Telefon nicht müde, dreisprachig zu erklären. Vor ihm am Schreibtisch liegt ein mit einem Messer gespitzter Bleistift - ein bisschen grob, das passt ganz gut zu den Kommentaren, mit denen Bösch besonders begriffsstutzige Kollegen bedenkt.

Ebenfalls laut wird Bösch, wenn es um die EU-Strukturfonds geht. Mit über 40 Milliarden Euro hinter dem Bereich Landwirtschaft immerhin der zweitgrößte Posten im EU-Budget. Der Abgeordnete kritisiert, dass die Mitgliedsländer diese Förderungen viel zu wenig in Anspruch nehmen. "Das EU-Budget ist das einzige der Welt", schimpft Bösch, "das an Unterausschöpfung leidet." Über 90 Milliarden Euro hat im letzten Jahr der Rückstau an Strukturmitteln, die von den Mitgliedsstaaten liegen gelassen wurden, bereits betragen. Das bedeutet gleichzeitig, dass man zahlreiche von der Union vorgegebenen Strukturziele nicht umgesetzt hat. Und Österreich sei an vorvorletzter Stelle, klagt Bösch, was die Ausnutzung der EU-Mittel betrifft.

Warum ein Land freiwillig Geld in Brüssel liegen lässt, hängt mit der von den Mitgliedsstaaten eingeforderten Kofinanzierung zusammen. "Ein sinnvoller Mechanismus", findet Paul Rübig, "denn in der EU gilt das Prinzip der Subsidiarität und die Landesregierungen wissen am besten, was und wieviel an Strukturpolitik Not tut." Herbert Bösch quittiert diese Meinung mit einem lauten Lacher. Den grob gespitzten Bleistift in der Hand doziert er: "Um zu Hause das Budget zu schönen und einem Null-Defizit-Dogma anzuhängen, verzichtet man auf teure EU-Gelder."

Ständiger Betrugsverdacht

Nicht aufgebrauchtes Geld gehe anteilsmäßig sowieso an die Mitgliedsstaaten zurück, lässt der Oberösterreicher Rübig diesen Einwand seines Kollegen aus dem Ländle nicht gelten. Rübig verweist indes auf die zunehmende Bürokratisierung bei der Mittelvergabe, die viele Antragsteller von vornherein abschrecke. Der ständige Betrugsverdacht in der Union, sagt Rübig, führe dazu, dass die Vorschriften immer mehr verschärft werden. "Am einfachsten und sichersten ist es, man gibt überhaupt kein Geld mehr aus", beschreibt Rübig die "passive Resistenz" vieler EU-Beamte.

Das hätte bei dieser Budgetabstimmung beinahe dazu geführt, dass die EU-Informationsstellen in den Mitgliedsländern und die Unterstützung von Städtepartnerschaften eingespart worden wären. Doch die Parlamentarier konnten sich gegen den Vorschlag der EU-Kommission durchsetzen. Anders bei Herbert Bösch: Sein Antrag fällt durch. Er muss im nächsten Jahr erneut den Bleistift spitzen - und wieder den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen.

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