Doppelte Geiselhaft

Werbung
Werbung
Werbung

Wer in die Geiselhaft von irakischen Rebellen gerät, ist selber schuld, heißt es in Japan. Wer sich nicht aus der Geiselhaft befreit, in die US-Politiker die Welt gebracht haben, ist es auch.

Die japanischen Geiseln im Irak sind an ihrer Verschleppung selber schuld, schreibt Japans auflagenstärkste Zeitung Yomiuri Shimbun. Die Regierung habe ausdrücklich vor den extremen Gefahren im Irak gewarnt. Ihr unverantwortliches Handeln, wirft die Zeitung den Landsleuten im Leitartikel am Ostermontag vor, führe dazu, die Wiederaufbaubemühungen Japans im Irak zu behindern.

Beim entführten japanischen Fotojournalisten lässt sich diese Argumentation ja noch mit Einschränkungen irgendwie nachvollziehen: Auch wenn es eigenartig ist, dass gerade eine Zeitung einen Journalisten anklagt, der sich zur Berichterstattung an einen Krisenherd begibt. Für die beiden japanischen Aufbauhelfer, die in die Hände der irakischen Freischärler geraten sind, gilt jeder Vorwurf von Sensationslust oder Geschäftemacherei aber keineswegs. Wer, wenn nicht die Vertreter von Hilfsorganisationen, die aus allen Ländern herbeigeeilten Ärzte, Bauingenieure, Techniker etc. sollen denn den Irak in jene "blühende Demokratie" verwandeln, die George W. Bush als Ergebnis seines Kriegs in Aussicht gestellt hat? Auch weitere Hunderttausend Soldaten können an der katastrophalen Strom- und Wasserversorgung und der mangelhaften Ausstattung mit dem Lebensnotwendigen nichts zum Besseren hin verändern - zuallererst auf diesen Gebieten wird aber, wenn schon nicht das Herz der Iraker, so doch ihr Glaube an eine bessere Zukunft gewonnen werden.

Mindestens vierzig Zivilisten aus zwölf Ländern haben die irakischen Aufständischen seit vergangener Woche in ihre Gewalt gebracht - wissend um den Effekt, den dies vor allem auf die Bevölkerung der aktuellen oder zukünftigen Entsendeländer von Soldaten und Aufbauhelfern haben wird. Schon nach dem Anschlag auf das Hauptquartier des Roten Kreuzes in Bagdad im Herbst letzten Jahres kam es zu einem Exodus der Helfer. Jetzt geht der letzte Rest. Auch die erste Handelsmesse seit Kriegsende, geplant für den April, ein Lichtblick am tristen Wirschaftshimmel, ein Normalisierungs- und Stabilisierungssymbol wurde abgesagt. "Wir haben das Büro in den letzten Tagen nicht mehr verlassen", sagt Frank Mc Areavy von der privaten Minenräumorganisation "Help" vor der Abreise seiner letzten drei Mitarbeiter aus Bagdad. "Wir können derzeit ohnehin nichts tun."

Derzeit? In Mc Areavys Worten schwingt noch immer die Hoffnung mit, dass eine Rückkehr einmal möglich sein wird, dass sich die Sicherheitslage im Irak stabilisiert, dass es zur Übergabe der Regierungsgeschäfte auf die irakische Übergangsregierung kommt, dass ... Ist das nicht allein der berufsbedingte Optimismus eines Minenräumers? Alle Zeichen im Irak stehen auf Sturm, das Land steht kurz vor einem Bürgerkrieg, die Lage gerät außer Kontrolle - ein Jahr nach dem Sturz Saddam Husseins kontrollieren die Amerikaner mit ihren Verbündeten nicht mehr viel im Irak, der zusehends so aussieht wie Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Besatzung.

Mit den Geiselnahmen ziehen die vermummten irakischen Rebellen die Welt noch stärker als bisher in den Konflikt hinein. Sie folgen damit dem Muster, das ihnen ihr größter Feind vorgegeben hat: Die Staatengemeinschaft gerät jetzt in die zweite Geiselhaft. US-Präsident Bush war der erste Geiselnehmer. Mit seinen unbewiesenen Warnungen vor angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen hat er seinen Krieg zu einem Krieg der Welt zu machen versucht - wer nicht folgte, wurde als Handlanger eines Despoten abgekanzelt. Alle Warnungen galten nichts, Geiselnehmer hören nicht auf Argumente, sie bauen Druck auf, auch auf die Gefahr hin, dass sich dieser Druck ein anderes als das geplante Ventil sucht.

Deeskalation, Druck abbauen, das Gespräch suchen, vermitteln, moderieren - das sind Wege, mit denen Geiselnehmern beizukommen ist. Die gemäßigten religiösen und staatlichen Führer im Irak sind dabei genauso gefordert wie jene Staaten, die jetzt noch zögern, sich an einem multinationalen Programm unter Uno-Führung für den Irak zu beteiligen. Aber allein diese Vielfalt an Widerstand wird aus der doppelten Geiselhaft befreien können - aus der irakischen und aus der amerikanischen.

wolfgang.machreich@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung