Drei Könige für Frauenpower

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Mahita, eine von der österreichischen Dreikönigsaktion unterstützte Hilfsorganisation in Indien, hilft Mädchen, den Teufelskreis von Armut - keine Ausbildung - keine Arbeit - noch mehr Armut zu durchbrechen.

Vor einem Jahr habe ich begonnen, Agarbattis - Räucherstäbchen - zu rollen. Spaß macht mir das keinen. Aber alle meine Geschwister arbeiten. Wenigstens verdienen wir damit Geld und müssen nicht betteln", sagt Rabia Vehan. Die 12-Jährige lebt in einem Slum in der muslimischen Altstadt von Hyderabad im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Tag für Tag sitzt sie sechs Stunden lang vor dem ebenerdigen kleinen Haus ihrer Familie und rollt Räucherstäbchen. 20 Rupien verdient sie damit am Tag, das sind gerade einmal 50 Cent.

Seit wenigen Monaten geht Rabia aber auch drei Stunden am Tag zur Schule, und das sagt sie, macht ihr wirklich Spaß. Es handelt sich um keine reguläre Schule, sondern um das Bildungszentrum der Nichtregierungsorganisation Mahita, die von der österreichischen Dreikönigsaktion unterstützt wird. Mahita bedeutet Erneuerung. Konkret geht es darum, den ärmsten Menschen eine Chance zu geben, erklärt Mahita-Mitarbeiter Swaroop Kumar.

1.200 Slums in einer Stadt

Infolge von Dürre, Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit wandern Menschen aus den ländlichen Gebieten in die Stadt, um hier Arbeit zu suchen. Bereits heute gibt es in Hyderabad mehr als 1.200 Slums. 865 davon sind registriert und die Regierung hat sich verpflichtet, für die Basisinfrastruktur wie Wasser und Strom zu sorgen. Aber die Menschen sind arm, die Männer arbeiten als Fahrrad- und Auto-Rikshafahrer, als Kleinsthändler und Tagelöhner. Viele Frauen sind in schlecht bezahlten Heimindustrien tätig, sie fertigen Sicherheitsnadeln, Räucherstäbchen und dergleichen mehr. Wieviele Kinder arbeiten, ist schwer zu ermitteln, denn Verträge für Heimindustrien gehen die Frauen ein, die dann häufig auch ihre Kinder beschäftigen. Statistiken sprechen von zehntausenden Kinderarbeitern.

"Wenn man da von Bildung spricht, muss man erst überlegen: Was tut man mit älteren Kindern, die noch nie in der Schule waren? Oder mit Kindern, die ein paar Jahre verpasst haben?", erklärt Swaroop Kumar. Mahita errichtete zunächst ein Motivationszentrum. "Wenn Menschen täglich ums Überleben ringen, ist Bildung ein Luxus, an den sie nicht denken."

Mahita will den Muslimen in der Altstadt von Hyderabad helfen, auszubrechen aus dem ewigen Kreislauf Armut - Ausschluss von Bildung - unqualifizierte und daher schlecht bezahlte Arbeit sowie Kinderarbeit - und damit wieder nur Armut. Vor allem Mädchen und Frauen sollen gefördert werden. Denn Mädchen sind besonders benachteiligt, und das auch, weil Familien berechtigte Sorge um ihre Sicherheit haben. "Wenn Mädchen überhaupt eingeschult werden, müssen sie in der Pubertät oft die Schule abbrechen", betont Kumar. Denn die Eltern lassen sie dann nicht gerne einen weiten Schulweg zurücklegen.

Auch die Sprache ist für die Muslime ein großes Problem. Während in Indien der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung 12, 5 Prozent beträgt, liegt er hier in der Altstadt von Hyderabad bei 95 Prozent. Dies geht auf die Nizams zurück. In weiten Teilen des Subkontinents herrschten jahrhundertelang Muslime, das Reich des Nizam von Hyderabad bestand bis 1947, der Unabhängigkeit des Subkontinents und der Teilung in das mehrheitlich hinduistische Indien und das muslimische Pakistan. Die muslimische Elite wanderte damals großteils nach Pakistan aus. Zurück in Indien blieben vor allem arme Muslime. Bis heute zählen die Muslime zu den rückständigsten Gruppen, obwohl es starke regionale Unterschiede gibt.

Unter dem Nizam war Urdu offizielle Sprache. Doch mit der Eingliederung Hyderabads in den Bundesstaat Andhra Pradesh änderte sich das. In Andhra stellen die Hindus die Mehrheit, die offizielle Regionalsprache ist Telugu, in der auch die meisten staatlichen Schulen geführt werden. Urdu wurde vom Staat vernachlässigt. Die Slumbewohner brauchten also Bildungszentren in ihrer eigenen Sprache, erklärt Kumar.

Mahita errichtete Motivations- und dann Bildungszentren und ist heute in 82 Slums in der Altstadt tätig. Dort führt Mahita jedes Jahr eine Erhebung über die Anzahl der Kinderarbeiter durch. "Dann bemühen wir uns, alle Eltern davon zu überzeugen, dass sie die Kinder zu uns schicken", erklärt Kumar. Viele Kinder werden auf den erstmaligen Schuleintritt vorbereitet - und das möglichst in einer ihrem Alter gemäßen Klasse, Schulabbrechern soll der Wiedereintritt ermöglicht werden. Oder sie können per Fernkurs die Open School absolvieren. Telugu und Englisch gehören zu den Pflichtfächern bei Mahita.

Computer für Mädchen

Berufsausbildung - wo nötig, mit Alphabetisierung - bietet Mahita ebenfalls an. Mädchen und junge Frauen können sich zur Kosmetikerin oder Schneiderin ausbilden lassen. "Früher war ich nur zuhause. Eine Schule habe ich nie besucht", erzählt die 16-jährige Imroz Kartum. Durch eine Nachbarin erfuhr sie von Mahita, und es gelang ihr, die Eltern "zu überzeugen. Immer werden die Burschen bevorzugt. Ich bestand darauf: Wir Mädchen können es allemal mit den Burschen aufnehmen."

Die größte Attraktion bei Mahita ist die Computerausbildung. "Eine technische Ausbildung stärkt das Selbstbewusstsein der Mädchen ungemein. Natürlich können wir sie nicht so schulen, dass sie später bei Microsoft eine Arbeit bekommen", meint der zuständige Mitarbeiter B. Rayudu. Doch die Mädchen können für einen Job in einem Bürozentrum ausgebildet werden. Dort verdient eine Frau 50 Rupien - etwas mehr als einen Euro - am Tag. Wenn sie Armreifen oder Sicherheitsnadeln in Heimindustrie erzeugt, bekommt sie 20, oft nur zehn bis 15 Rupien am Tag.

Zu den Mädchen, die eine Computerausbildung absolvieren, gehört die 14-jährige Taslima Sultana. Nach der Volksschule schickte sie ihr Vater, ein Rikshafahrer, in eine Privatschule, weil die staatliche Schule zu weit weg war. Doch die Kosten waren zu hoch, Taslima musste abbrechen. Nun ist sie froh, bei Mahita etwas zu lernen - und das kostenlos. Auch ihre Mutter ist zufrieden, denn "Mädchen sollten die gleiche Bildung erhalten wie Burschen".

"Lernen macht Spaß!"

Das Programm bei Mahita umfasst auch Bürgerkunde sowie Informationen über Regierungsinitiativen, die für die Armen gedacht sind, von denen diese oft aber nichts erfahren. Ein wichtiges Thema ist der Frauenhandel. Für 5.000 bis 10.000 Rupien - umgerechnet 140 bis 280 Euro - verkaufen arme Familien Mädchen an Mittelsmänner, die sie nach Bombay bringen. "Wir versuchen, die Gemeinden zu stärken. Wir bilden Teams aus Mullahs, Lehrern und Frauen. Die sollen einschreiten, wenn sie von einem Fall erfahren", erklärt Kumar.

Es wird dauern, bis der Kreislauf Armut - Kinderarbeit und Mädchenhandel - und noch mehr Armut durchbrochen ist. Im Bildungssektor können Nichtregierungsorganisationen keinesfalls staatliche Strukturen ersetzen. Aber Mahita hat gute Erfolge vorzuweisen. Seit 1995 hat Mahita mehr als 14.000 Kinder in staatliche Schulen vermittelt, 80 Prozent davon Mädchen. Seit 1997 haben 1.538 junge Frauen nach der Berufsausbildung bei Mahita Arbeit gefunden.

Und in den Bildungszentren lernen Tausende weitere Kinder, wie Afrim und Faranas, die für Gäste Gedichte aufsagen über Sonne und Mond, Papageien und Elefanten. Die dazu passenden Bilder schmücken die Wände. Und macht das Lernen Spaß? "Ja," strahlt Faranas, "ich bin glücklich."

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