Dritter Anlauf auf das Weiße Haus in Washington

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Der Republikaner Mitt Romney ist der dritte Mormone, der Präsident der USA werden möchte. Das lenkt den Blick auf die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“ und ihre Legende.

Mitt Romney, der im November 2001 zum Interview bittet, begegnet dem Journalisten aus Österreich mit freundlicher Professionalität. Gelassen zerstreut er Befürchtungen, die Mormonen könnten die Olympischen Winterspiele zu "Molympics“ umfunktionieren. Das von ihnen gegründete Salt Lake City sei immer ein Sammelplatz für Religionen und Ethnien gewesen und für die Religionsfreiheit gegründet worden, sagt Romney.

Dem smarten Wirtschaftsprofi gelang es, die Olympischen Spiele 2002 nach einem Bestechungsskandal wieder flottzumachen. Noch im selben Jahr wurde er als Republikaner im demokratischen Massachusetts zum Gouverneur gewählt. Zehn Jahre und eine verpatzte erste Kampagne später könnte er jetzt US-Präsident werden.

Romney wäre das erste Mitglied der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“ im Weißen Haus - aber nicht der erste Mormone, der US-Präsident werden wollte. Sein Vater George hat es 1968 versucht, und auch der Kirchengründer: Joseph Smith ließ sich am 17. Mai 1844 zum Kandidaten proklamieren - 41 Tage, bevor er von einem mormonenfeindlichen Mob im Gefängnis von Carthage (Illinois) erschossen wurde.

Die Suche nach der wahren Kirche

Die Kirche ist im Amerika des frühen 19. Jahrhunderts entstanden, in einem religiös aufgeheizten Klima. Der Farmersohn Smith aus Vermont litt unter den Widersprüchen der Konfessionen, bis er erkannte, dass die wahre Kirche in keiner von ihnen zu finden wäre. In Visionen erschien ihm ein Engel namens Moroni und führte ihn zu goldenen Platten mit Schriftzeichen. Er übersetzte sie mithilfe wundersamer "Übersetzungssteine“ und schuf das Buch Mormon, die neben der Bibel wichtigste Schrift der Kirche. Sie berichtet von Völkern aus alttestamentlicher Zeit, die Gott aus Israel ins heutige Amerika geführt habe. Dort sei den Nephiten sogar der auferstandene Christus erschienen. In Kriegen gegen die abgefallenen Lamaniten aber gingen sie unter. Geblieben seien nur die Schriften des Propheten Mormon, die sein Sohn Moroni überarbeitet und 421 vor den Lamaniten verborgen habe. Das Auffinden der Platten gilt als erster Schritt zur Wiederherstellung der wahren Kirche.

Ein Netzwerk humanitärer Hilfe

Diese legendenhafte Geschichte ist - und war immer - schwer zu glauben. Nur wer wirklich überzeugt war, ließ sich taufen. Bald nach dem Gründungsjahr 1830 predigten Missionare auch in Europa. Viele "Saints“ folgten dem Ruf, in Amerika ihr "Zion“ zu errichten. Andererseits stieß die junge Kirche auf Anfeindungen. Joseph Smith galt seinen Gegnern als Betrüger.

Nach dem Tod ihres Propheten zogen die Mormonen unter Brigham Young zwischen 1846 und 1868 in dem legendären "Mormon Trek“ nach Westen, gründeten ihre Stadt "Salt Lake City“ und bauten einen Tempel. Youngs Wunsch, einen theokratischen Staat namens "Deseret“ ("Biene“) zu schaffen, scheiterte an der amerikanischen Bundesregierung. Auf ihren Druck wurde die Polygamie (wie das frühe Wahlrecht für Frauen) aufgegeben; der neue Bundesstaat Utah, 1896 anerkannt, fügte sich amerikanischem Recht. Im Beinamen, "The Beehive State“, ist das alte Deseret jedoch erhalten geblieben.

Seit ihrer Konsolidierung bewegt sich die "Kirche Jesu Christi“ in die Mitte der amerikanischen Gesellschaft. Sie unterstreicht den Wert der Familie, deren Zusammengehörigkeit im Tempel auf ewig "gesiegelt“ werden kann. Darum ist ihr auch die Ahnenforschung sehr wichtig. Die Kirche hat ein beeindruckendes Netz an humanitärer Hilfe entwickelt, das den Betroffenen vor allem helfen soll, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Sport und Gesundheit sind wichtig; Mormonen verzichten auf Tabak und Alkohol. Sie geben ein Zehntel ihres Gehaltes für die Kirche, dazu ein monatliches Fastopfer für Bedürftige. Die meist im Ausland absolvierte Mission ist eine intensive Lebensschule und fördert Sprachkenntnisse. Nicht zuletzt holt die Gründungserzählung Christus nach Amerika und bietet Stoff für Abenteuer und Pioniergeist.

Mitt Romney ist, wie die meisten männlichen Mitglieder, Priester seiner Kirche. Er hat sich als Bischof einer Gemeinde in Boston bewährt. Dass er von den Medien als Wendehals kritisiert wird, findet sein Glaubensbruder Thomas Andre - ein gebürtiger Wiener, der in Salt Lake City lebt - ungerecht. Romney sei kein Ideologe, sondern ein Pragmatiker. Die Vorwürfe hätten damit zu tun, dass sonst kaum Kritikpunkte zu finden wären. "Er ist einfach ein guter Mensch“, sagt Andre. Zum Beispiel habe er in Boston spontan angeboten, die Ausbildungskosten für zwei nach einem Unfall querschnittgelähmte Kinder zu übernehmen. Und die Sache mit der Krankenversicherung, die er in Massachusetts eingeführt hat und jetzt als "Obamacare“ bekämpft? Für einen Republikaner stehe die Freiheit an erster Stelle, erklärt Andre. Da mache es eben einen Unterschied, ob eine Regelung in einem Bundesstaat ausgehandelt oder von Washington aufgezwungen werde.

Ein Gläubiger, aber kein Eiferer

Die Kirche selbst betont im Wahlkampf ihre politische Neutralität. Auch unter den Demokraten sind ja Mormonen - zum Beispiel Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer im Senat.

Religionswissenschafter sprechen von einer "christlichen Sondergemeinschaft“. Das Buch Mormon wird von den anderen Kirchen keineswegs als "ein weiterer Zeuge für Jesus Christus“ anerkannt. Eine theo-logische Annäherung an die Lehre der "Kirche Jesu Christi“ ist schwer vorstellbar. Trotzdem sprachen sich bei einer Umfrage 2007 mehr als 50 Prozent der US-Amerikaner dafür aus, Mormonen als Christen zu akzeptieren. Ein Präsident Romney würde diese Akzeptanz vermutlich weiter erhöhen.

Sollte die Wahl am Ende auf ihn fallen, würde ein gläubiger Mormone und kein religiöser Eiferer ins Weiße Haus ziehen - so viel oder so wenig das im Blick auf die drängenden Fragen in Politik und Wirtschaft bedeuten mag.

* Der Autor ist Religionsjournalist und ORF-Dokumentarfilmer

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