Drohungen eines nervösen Autokraten

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan greift massiv in den Wahlkampf um die Parlamentswahlen ein. Doch eigentlich gebietet sein Amt die strikte Neutralität. Unter den Aktionen Erdogans leidet auch die Pressefreiheit in der Türkei.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan greift massiv in den Wahlkampf um die Parlamentswahlen ein. Doch eigentlich gebietet sein Amt die strikte Neutralität. Unter den Aktionen Erdogans leidet auch die Pressefreiheit in der Türkei.

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Auf den ersten Blick scheint alles wie immer: Wenn die Türken am Sonntag ein neues Parlament wählen, haben sie eine mehrwöchige mediale Dauerbeschallung durch den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hinter sich. Egal, wohin man hinschaut und hinhört, das Staatsoberhaupt ist allgegenwärtig. Von den meisten Titelseiten winkt Erdogan seinen Anhängern zu und wirft rote Nelken in die ihm zujubelnden Massen.

Dass er mit seiner offensiven Werbekampagne als Präsident für die von ihm mitgegründete islamisch-konservative Regierungspartei AKP gegen die Verfassung verstößt, interessiert ihn nicht. Alleine in der letzten Woche sendete der staatlich kontrollierte Fernsehsender TRT 75 Stunden an AKP-Wahlpropaganda. Für die Oppositionsparteien gab es hingegen lediglich 17 Minuten, wie die Oppositionspartei HDP ausrechnete.

Trotzdem ist die Stimmung innerhalb der AKP alles andere als gut. Und die Umfragewerte zeigen, dass die Erdogan-Partei herbe Verluste bei der bevorstehenden Parlamentswahl einfahren könnte. Erdogans Stammhalter, AKP-Chef und zugleich auch Ministerpräsident, Ahmet Davutoglu, ist ein blasser Wahlkämpfer -und dann droht die prokurdische HPD auch noch damit, seinen Traum von einem Präsidialsystem zu zerstören. Nämlich dann, wenn die HDP die Zehn-Prozent-Hürde überwinden und damit erstmals als Partei ins Parlament einziehen sollte.

Abstimmung über Systemwechsel

In den Umfragen liegt die erst 2012 gegründete HDP mal knapp unter zehn Prozent, mal knapp darüber. Wenn es der Oppositionspartei gelingen sollte, als vierte Partei ins Parlament in Ankara zu kommen, ist eine verfassungsändernde Mehrheit, die Erdogan bei der Parlamentswahl erreichen möchte, illusorisch.

Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni wird nicht nur über die Zusammensetzung des Parlaments in Ankara entschieden, sondern vor allem über einen Systemwechsel. Entsprechend nervös ist Erdogan. Die AKP ist seit 2002 ununterbrochen und allein regierend an der Macht. Seitdem konnte die Partei bei jeder Parlamentswahl ihren Stimmenanteil steigern, und für Erdogan ging es immer nur bergauf. Bei der Parlamentswahl 2011 kam die AKP auf 49,8 Prozent der Stimmen, und seit August 2014 ist Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident. Der bis dahin amtierende Ministerpräsident und Parteivorsitzende Erdogan musste diese Ämter nach der gewonnenen Präsidentenwahl niederlegen und sollte sich eigentlich aus dem politischen Tagesgeschäft heraushalten sowie politisch neutral zeigen.

In der türkischen Verfassung ist die Überparteilichkeit des Staatspräsidenten festgelegt. In Artikel 101 steht: "Wenn der designierte Präsident Mitglied einer Partei ist, muss seine Beziehung zu der Partei abgebrochen werden." Doch Erdogan stellte schon im Vorwahlkampf klar: "Natürlich bin ich der Präsident und habe zu jeder Partei den gleichen Abstand. Aber natürlich habe ich im Herzen eine Partei, das ist meine persönliche Art und ein anderes Thema."

So tourt Erdogan im In-und Ausland mit einem Koran in der Hand, wirbt für die AKP und wettert gegen die Opposition, meist ohne diese beim Namen zu nennen. Mit der Schere in der Hand eröffnete er Krankenhäuser, Flughäfen und wie im kurdischen Südosten des Landes Gebäude, die schon vor einem Jahr fertiggestellt worden sind.

Doch neben der etwas eigenwilligen Auslegung der Neutralität des Amtes offenbart der Staatspräsident eine beängstigende Paranoia gegenüber regierungskritischen Medien. Neu ist auch die rasche Abfolge von Drohungen, die Erdogan gegenüber ihm unliebsamen Journalisten äußert. In sein Blickfeld geraten neben den heimischen Medien wie der Tageszeitung Hürriyet oder Todays Zaman auch zunehmend ausländische Medien, wie jetzt etwa die New York Times.

Anspielungen auf Ägyptens Mursi

"Niemals in der Geschichte der Türkei hat es einen solchen Druck auf die Medien gegeben", schreibt Kolumnist Cafer Solgun in Todays Zaman, einem Blatt, welches das Sprachrohr des islamischen Predigers Fetullah Gülen ist. Der im US-Exil lebende Gülen ist der stärkste Widersacher von Erdogan und wird von diesem beschuldigt, ihn stürzen zu wollen.

Erdogan und die AKP-Regierung hätten eine totalitäre Auffassung, schreibt Solgun. "Die Wahl am 7. Juni ist die letzte Chance, eine solche Entwicklung zu verhindern", warnt Solgun, "das macht sie so historisch."

Aber der Reihe nach: Nachdem am 16. Mai der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi von einem Gericht in Kairo zum Tode verurteilt wurde, schrieb Hürriyet: "Die Welt ist geschockt: Todesurteil für einen mit 52 Prozent gewählten Präsidenten". Eine Schlagzeile, die Erdogan persönlich nahm, auch er wurde im August letzten Jahres mit 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Er klagte daraufhin, dass die Hürriyet ihm den Tod wünsche. Dann schimpfte er, dass die Dogan-Mediengruppe, zu welcher Hürriyet gehört, unter einer Decke mit Gülen stecke. Erdogans Anwälte forderten gar die Festnahme des Hürriyet-Chefredakteurs Sedat Ergin.

Die Journalisten antworteten mit einem offenen Brief: "Was wollen Sie von uns?" fragten sie Erdogan, und: "Wollen Sie uns verbannen?" Weiter hieß es: "Falls Sie beabsichtigen, uns einzuschüchtern, damit wir keinen Gebrauch machen von unserem verfassungsmäßigen Recht auf Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Kritikfreiheit, dann sollten Sie wissen: Wir werden diese Freiheiten furchtlos verteidigen."

Die New York Times griff den Brandbrief der Hürriyet in einem Leitartikel auf, und warnte vor der zunehmenden Zensur türkischer Medien durch die AKP. Prompt erwiderte Erdogan daraufhin, der Text sei "ungehörig". Einer ausländischen Zeitung stehe es nicht zu, sich in die türkische Innenpolitik einzumischen, mit dem Artikel habe das Blatt "die Grenzen der Freiheit überschritten", und er fügte drohend hinzu: "Du solltest erst einmal deine Grenzen kennen. Unterstehe dich. Seit wann legst du von Amerika aus Hand an die Türkei an?"

Vom Ehrenbürger zum Staatsfeind

Letzte Woche dann sagte der US-Journalist Stephen Kinzer, ihm sei auf persönliche Anweisung Erdogans die Ehrenbürgerschaft der südtürkischen Stadt Gaziantep verwehrt worden. Anlass für die geplante Ehrung Kinzers sei seine Berichterstattung in der New York Times vor 15 Jahren gewesen, die zur Rettung römischer Mosaike in Gaziantep beigetragen habe. Der Journalist war damals Büroleiter der Zeitung in Istanbul.

Wegen anderer, regierungskritischer Artikel sei ihm jetzt aber die angekündigte Auszeichnung entzogen worden. In einem Fax aus Erdogans Büro, so Kinzer, sei er als "Feind unserer Regierung und unseres Landes" bezeichnet worden. Die Bürgermeisterin von Gaziantep, Fatma Sahin, widersprach zwar, dass Erdogans Büro die Anweisung erteilt habe. Aber das AKP-Mitglied Sahin räumte via Twitter ein, dass ihre Entscheidung wegen Kinzers "unfairer Anschuldigungen" gegen Erdogan gefallen sei.

Kritische Journalisten stehen in der Türkei unter massivem Druck. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" rangiert die Türkei derzeit auf Platz 149 von insgesamt 180 Ländern. Im Jahre 2003, als Erdogan erstmals das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, war die Türkei noch auf Rang 116.

Vergangene Woche gab die Journalistin Asli Aydintasbas bekannt, dass sie bei der Tageszeitung Milliyet aufgehört habe. Das Blatt gilt als AKP-freundlich, und ihre Texte seien zu regierungskritisch gewesen, so Aydintasbas. Wegen ihrer Berichterstattung sei Druck auf sie von der Regierung ausgeübt worden. Die Milliyet gehört seit 2012 der Demirören Holding. Diese ist ein Mischunternehmen, welches mit staatlichen Gasgeschäften Millionen umsetzt.

Die Autorin lebt als Korrespondentin in Istanbul

Generation Erdogan Die Türkei -ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert Von Cigdem Akyol Kremayr &Scheriau 2015 208 Seiten, Hardcover, € 22,-

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