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Irakisch-Kurdistan gilt als Musterschüler, was Demokratie und Freiheit im Irak nach Saddam betrifft. - Nicht für Frauen: Ehrenmorde und (versuchte) Selbstverbrennungen zeugen von deren Verzweiflung.

Im Zentrum der nordirakischen Stadt Suleymania gibt es einen Park, den jeder kennt. "Azadi-Park" heißt er und auf Kurdisch klingt das verheißungsvoll. "Azadi" bedeutet nämlich Freiheit. Bis 1991, bevor im Nordirak die von Kurden kontrollierte halbautonome Zone eingerichtet wurde, war der Freiheits-Park ein riesiges Militärgelände der irakischen Armee. Stacheldraht riegelte das Areal ab. Heute regiert hier sattes Grün; Teiche, Imbissbuden, bunte Blumenbeete und schön gestaltete Wege ziehen viele Spaziergänger an. Besonders unter jungen Kurden ist die Grünanlage beliebt. Denn hier ist es unverheirateten Pärchen gestattet, einander zu treffen und zusammenzusitzen. Und das ist schon etwas, das im Nordirak mitunter als moralisch verwerflich gilt.

Auf einer Wiese haben sich junge Leuten niedergelassen. Sie sind Studenten der Finanzwirtschaft an der hiesigen Universität und feiern den Geburtstag einer Kommilitonin. Tortenstücke werden verteilt, einige tanzen zu Volksmusik, die aus dem mitgebrachten Kassettenrecorder dröhnt. Was sie in ihrer Freizeit am liebsten tun? "Frauen hinterherschauen", sagt einer der Jungen und lacht. Nein im Ernst, man müsse viel lernen, das Studium sei anstrengend. An persönlicher Freiheit scheint es den Studenten nicht zu mangeln. "Wir sind Jugendliche, wir sind frei. Wir können alles sagen und schreiben, was wir wollen", ist der 22-jährige Bahman Mohammad überzeugt.

Pflichtprogramm: Heiraten

Auch in Irakisch-Kurdistan sind es die Studenten, bei denen die Gesellschaft ein Auge zudrückt. Der Campus der Universität Suleymania erinnert ein bisschen an einen Zoo: Mädchen und Jungs beschnuppern sich hier vorsichtig, und das alles hinter schützenden Mauern. Doch manch eine stört die Doppelmoral. Haschan, eine 22-jährige österreichische Austauschstudentin, die hier ein Semester lang Politikwissenschaft studiert, rümpft die Nase. Auf der Uni gehe es doch nur ums Sehen und Gesehenwerden. "Und nach den Vorlesungen werden die Mädels immer abgeholt. Es gibt niemanden, der allein nach Hause geht." Freundschaft zwischen den Geschlechtern sei so gut wie unmöglich, erzählt sie, man käme sofort ins Gerede. Und Heiraten gehört nach wie vor zum Pflichtprogramm. Das Heiratsalter in der Provinz Erbil, die um einiges konservativer als Suleymania ist, liege beim "Baujahr 90", konstatiert Haschan sarkastisch.

Frauen und Männer sind wie Feuer und Benzin - so lautet ein bekannter Spruch im Nordirak. "Frauen wird von klein auf gesagt: Nimm dich in Acht, Männer sind gefährlich", erklärt Fallah Mordakhin, Projekt-Koordinator von Wadi, einer deutsch-österreichischen Hilfsorganisation, die Frauenprojekte im Irak durchführt. Familie und Verwandtschaft üben eine starke soziale Kontrolle aus. Wenn etwa jemand durch "ehrloses" Verhalten "Schande" über die Angehörigen bringt, dann wird das sanktioniert. Im schlimmsten Fall bezahlt man mit dem Leben. Von Ehrenmorden, verstoßenen Frauen oder der hohen Zahl an weiblichen Selbstmorden erzählte man sich im Nordirak bis vor kurzem nur hinter vorgehaltener Hand. Doch in letzter Zeit hat die unabhängige Presse begonnen, diese Missstände publik zu machen.

Sara Qadir ist Journalistin bei der unabhängigen Wochenzeitung Awena. Die junge Frau, lässig in fleckige Jeans und eine weiße Bluse gekleidet, hat in Krankenhäusern recherchiert. 2005 haben 725 Frauen versucht, sich selbst zu verbrennen. 172 davon starben. "Wenn man keine Chance auf ein Leben hat, wenn man in einer schrecklichen Familiensituation ist und es keine Möglichkeit gibt, das zu ändern - dann machen die Frauen das", erklärt Qadir die Hintergründe.

Auch Ehrenmorde sind ein akutes Problem in der Region Suleymania. Qadirs Daten zufolge wurden im letzten Jahr 27 dieser Ehrverbrechen verübt. Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2006 wurden wieder acht Frauen getötet. Obwohl die Ehrverbrechen mittlerweile unter Strafe stehen, kommt es selten zu Schuldsprüchen vor Gericht. Für bedrohte Frauen ist Flucht oft die einzige Rettung, ein Frauenhaus der letzte sichere Ort.

Flucht als einzige Rettung

Das nawa-Zentrum in Suleymania befindet sich in einem ganz normalen Wohnviertel. Fast sieht es wie ein Einfamilienhaus aus - nur dass ein Polizist den Eingang des Gebäudes bewacht. Das Zentrum bietet Platz für bis zu 20 Frauen, die in hellen Mehrbettzimmern wohnen. Die hier lebenden Frauen wurden von ihren Nächsten verstoßen und haben keinen Ort mehr, wo sie hingehen können. Oder sie wurden mit dem Tod bedroht, weil sie sich in den falschen Mann verliebten. "Zu Beginn haben die Leute gesagt: Wie könnt ihr euch nur in Familienangelegenheiten einmischen?", erinnert sich Diman Kamal Achmed, Sozialarbeiterin und Direktorin des 1999 eröffneten Zentrums. Doch das habe sich geändert: "Die Öffentlichkeit hat uns akzeptiert."

Im Irak gibt es aber nur zwei derartige Zentren - in Erbil und Suleymania. Beide wurden von Wadi aufgebaut. Mittlerweile verwaltet die Kurdische Regionalregierung die beiden Einrichtungen. "Unser Ziel ist es, Projekte nach einer gewissen Anlaufphase an die Behörden zu übergeben, denn es ist der Staat und nicht ein Verein, der für die Sicherheit und Unversehrtheit seiner Bürgerinnen zu sorgen hat", erklärt Mary Kreutzer von Wadi Österreich.

Frau gehört allen anderen

Die Zukunftsperspektiven für die Frauen, die hierher kommen, sind nicht rosig. Denn eine allein lebende Frau wird von der Gesellschaft immer noch nicht akzeptiert. "Wir leben in einer islamischen Gesellschaft, in der die Frauen immer unter dem Mann stehen. Die Frauen gehören allen anderen, nur nicht sich selbst: dem Vater, dem Bruder, dem Ehemann", sagt Diman Kamal Achmed. Deshalb ist Wiederverheiratung oft die einzige Chance für die Betroffenen, das Frauenhaus wieder verlassen zu können.

Dass der Norden und der Rest des Iraks sich politisch immer mehr voneinander entfernen, bekommen auch die Mitarbeiterinnen zu spüren. Die Regionalregierung sehe es nicht gerne, wenn Araberinnen aufgenommen werden, erzählt die Direktorin, hinter deren Schreibtisch ein Porträt von "Mam Jalal" - so die familiäre Anrede für den irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani - prangt. Der angebliche Grund: Terror-Gefahr. "Wenn eine Frau auf der Straße steht, können wir sie doch nicht im Stich lassen!", entgegnet Achmed.

Nicht nur Vorbild für Restirak

Irakisch-Kurdistan dient vielen Beobachtern bezüglich der Erfahrungen mit Demokratie aus den letzten 15 Jahren als Vorbild für den Restirak. Dennoch fällt es Frauenvertreterinnen schwer, ihre Forderungen in den politischen Gremien durchzusetzen. Denn in Zeiten von politischer Instabilität und Terrorgefahr ist das "nationale Interesse" meistens wichtiger als die Geschlechtergleichheit. Häufig bleiben die Politikerinnen vor den Eingangstoren zur Macht stehen. Dahinter treffen sich die wohlbekannten Männerrunden. In der Anfang Mai neu vereinigten Kurdischen Regionalregierung sind nur zwei Ministerinnen - von 42 Kabinettsmitgliedern. Damit liegt das sonst so fortschrittliche Kurdistan hinter der Zentralregierung in Bagdad.

Dennoch scheint die Demokratie erste Früchte zu tragen. In Suleymania sind - zumindest tagsüber - unbegleitete Frauen auf den Straßen zu sehen, viele ohne Kopftuch, manche sogar in figurbetonter westlicher Kleidung. Und abends treffen sich Freundinnen im Serchnar-Vergnügungspark, um miteinander zu picknicken. Es war nicht immer so in Suleymania, sagt Achmed. "Aber heute gibt eine neue Generation von Frauen, die mutig sind und an die Öffentlichkeit gehen."

Die Autorin ist freie Journalistin.

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