Ein augustinischer Mensch

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Man weiß ja nie, was aus jemandem wird. 1979 lernte der stets neugierige Wiener Prälat Karl Strobl in Warschau bei einem Vortrag von Carl Friedrich von Weizsäcker den Organisator der Veranstaltung, einen aufstrebenden Philosophiedozenten kennen. Strobl war beeindruckt vom Vortrag Weizsäckers - und vom polnischen Gastgeber Krysztof Michalski. Als er nämlich seine Testfrage "Kennen Sie Trakl?“ stellte, referierte Michalski spontan über einige Aspekte von Heideggers Trakl-Interpretationen. Worauf Strobl seinen Mitreisenden verriet: "Ein wichtiger Mann.“

Das war er zweifellos. Seine philosophische Ausbildung hat der 1948 in Warschau Geborene in seiner Heimatstadt und in Cambridge, Köln und Heidelberg genossen. Er war ein gründlicher Philosoph, aber keiner bestimmten philosophischen Schule zuzuzählen. Als Nach-Denker ließ er sich von Martin Heidegger, Edmund Husserl, Jan Patoˇcka, Leszek Kołakowski, Hans-Georg Gadamer und Józef Tischner inspirieren. Die vier Letzteren kannte er persönlich. Krzysztof Michalski war ein begnadeter Praktiker des Ost-West-Dialogs und des Dialogs von Politik und Kultur. Er war ein bestens vernetzter, ehrgeiziger Übersetzungs- und Wissenschaftsorganisator.

Anfang der 1980er Jahre assistierte Michalski Hans-Georg Gadamer bei der Leitung des Kurses "Hermeneutik und Kunst“ am Interuniversitären Zentrum in Dubrovnik. Die dort stattfindenden Begegnungen wollte er zu einer Dauereinrichtung machen. Aber wie? Hier kam ihm sein Mentor Józef Tischner, der unvergessene Priesterphilosoph aus Krakau zu Hilfe. Der machte ihn mit Erhard Busek, Kardinal Franz König und Papst Johannes Paul II. bekannt. Der polnische Papst war äußerst angetan von der Idee, in Wien ein Forschungsinstitut aufzubauen, in dem junge Intellektuelle aus dem Osten und dem Westen einander begegnen und über die Herausforderungen der Zukunft reden konnten. Der Name "Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ ist wohl ihm zu verdanken. Die Zielgruppe waren für Michalski vor allem der akademische Mittelbau. Mit staatlicher und kirchlicher Hilfe kam es 1982 zur Gründung des IWM in Wien mit den beiden Polen Józef Tischner als Präsidenten und Michalski als Rektor. Dank seiner Tatkraft entwickelte sich das IWM rasant. Es wurde in den 1980er Jahren für viele Nachwuchskräfte jenseits des Eisernen Vorhangs zu einem Biotop der Freiheit. Bald galt das IWM als geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliches Zukunftslabor für die Ostblockländer. Mit der Herausgabe der Halbjahresschrift "Transit“ lieferte Michalski einen international beachteten Tätigkeitsnachweis des Instituts. Sein Meisterstück war die Organisation und Publikation der "Castelgandolfo-Gespräche“ mit Papst Johannes Paul II. zwischen 1985 und 1998.

Die Beschäftigung mit Heideggers "Sein und Zeit“, die Habilitation "Zeit und Logik bei Edmund Husserl“ und kleinere Artikel wie "Flamme der Ewigkeit“ (über Nietzsche) machen deutlich, wie sehr Michalski auf das Thema Zeit fokussiert war. Bei Augustinus heißt es: "Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich‘s, will ich‘s aber einem Fragenden erklären, weiß ich‘s nicht.“ So ein augustinischer Mensch war Michalski: ruhelos, rastlos, heimatlos, oft auch einsam. 2000 schrieb er einen Essay über "Die Unmöglichkeit, den Tod zu begreifen“. Jetzt, am 11. Februar vom Leiden erlöst und in einer anderen Zeitdimension, wird es ihm endlich möglich sein.

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