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Ein bisserl Hochverrat.

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Die erste sozialistische Regierung der Republik Österreich ist .im Begriff, das Bundesheer zu liquidieren. Da man nun freilich sowohl aus rein technischen als auch, der Neutralitätsverpflichtung wegen, aus optischen Gründen einen derartigen Körper nicht einfach auflösen kann wie einen lokalen Kegelklub, der gegen das Vereinsgesetz verstoßen hat, wurde zuerst einmal die fälschlich so genannte Reformkommission eingesetzt. Diese aus Militärs und Zivilisten gemischte Kommission sollte — ja also, was sollte sie eigentlich? Man weiß, was sie mehrheitlich wollte: sie wollte Vorsehläge für eine Reform des Heeres erarbeiten. Just das aber durfte sie, nach dem Willen der Regierung, nicht; denn als der Verdacht aufkam, daß da ,Gott behüte etwa konstruktive Arbeit geleistet werden könnte, ließ Dr. Kreisky — pikanterweise hei einem Besuch in der bis an die Zähne bewaffneten Schweiz — wissen, die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate sei unwiderruflich beschlossen, was und wie auch immer die Kommission darüber befinde: nur auf dieses Ziel hin — und also nicht etwa auf die Erhöhung der Kampfkraft hin — sei das Heer zu reformieren.

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Die erste sozialistische Regierung der Republik Österreich ist .im Begriff, das Bundesheer zu liquidieren. Da man nun freilich sowohl aus rein technischen als auch, der Neutralitätsverpflichtung wegen, aus optischen Gründen einen derartigen Körper nicht einfach auflösen kann wie einen lokalen Kegelklub, der gegen das Vereinsgesetz verstoßen hat, wurde zuerst einmal die fälschlich so genannte Reformkommission eingesetzt. Diese aus Militärs und Zivilisten gemischte Kommission sollte — ja also, was sollte sie eigentlich? Man weiß, was sie mehrheitlich wollte: sie wollte Vorsehläge für eine Reform des Heeres erarbeiten. Just das aber durfte sie, nach dem Willen der Regierung, nicht; denn als der Verdacht aufkam, daß da ,Gott behüte etwa konstruktive Arbeit geleistet werden könnte, ließ Dr. Kreisky — pikanterweise hei einem Besuch in der bis an die Zähne bewaffneten Schweiz — wissen, die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate sei unwiderruflich beschlossen, was und wie auch immer die Kommission darüber befinde: nur auf dieses Ziel hin — und also nicht etwa auf die Erhöhung der Kampfkraft hin — sei das Heer zu reformieren.

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Verteidigungsminister Freihsler machte eine Fleißaulgabe, indem er die Einführung der Fünf-Tage-Woche nun auch beim Heer bekanntgab, worauf er einen römischen Einser bekam und sich setzen durfte, während sein -für die Ausbildung verantwortlicher Generalskollege Lütgendorff und dessen ihm vorgesetzter General Seitz, weil sie bei diesen roten Plänen nur schwarz sahen, wegen vorlauten Benehmens ins Klassenbuch eingetragen wurden. Und vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wurde die Kommission durch die nicht nur ohne, sondern gezielt gegen sie entworfene Wehrgesetznovelle.

Mit rund 55.000 Mann (gut 0,7 Prozent der Bevölkerung), einer Dienstzeit von de facto achteinhalb Monaten (und praktisch ohne Reserve-übuhgen), einem Anteil von rund 4 Prozent am Budget und von 1,3 Prozent am Bruttonationalprodukt, ohne schwere Raketenwaffen und vbei völliger Absenz einer aktiven und passiven Luftabwehr ist Österreichs Heer, wenn man von Albanien und vielleicht von Finnland absieht, nicht nur .relativ, sondern auch absolut das schwächste auf dem ganzen Kontinent. Nicht etwa die professionellen Revoluzzer mit den Haschischkrümeln im Barthaar, sondern staatspolitisch denkende Offiziere wie der die Gruppe II in Graz kommandierende General Bach bescheinigen diesem Heer eine bestenfalls bedingte Abwehrbereitschaft. Eine Reform erscheint also als eine nationale Pflicht.

Realistische und (natürlich nur in einem mehrjährigen Prozeß) realisierbare Pläne für eine die Abwehrbereitschaft steigernde Reform liegen vor: im Heer selber, und auch bei politischen Gruppen außerhalb desselben. Dr. Kreisky hingegen will offenbar überhaupt kein Bundesheer haben. Ein Mann von seiner Intelligenz muß wissen, daß die sowieso schon unverantwortbar geringe Effizienz des Heeres bei einer Verkürzung der Dienstzeit innerhalb weniger Monate auf Null absinkt, soferne nicht das Landesverteidigüngsbudget ganz drastisch erhöht wird. Man wird das Budget aber eher verringern, weil diese Reform ja, angeblich, dem Staate sparen hilft. Das geplante Sechs-Monate-Heer wird den jetzigen Stand der Abwehrbereitschaft aber nur halten können, wenn einerseits eine aus Berufs- und Zeitsoldaten formierte, also immens teure Einsatztruppe ständig bereit steht, und wenn anderseits die Masse der Wehrpflichtigen in den sechs Monaten intensivst ausgebildet und in Reserveübungen ständig weitergebildet wird, was aber wiederum sehr viel Geld kostet, weil man dann etliche tausend Unterführer anheuern und die übenden Reservisten finanziell entschädigen muß. Das Bundesheer ist derzeit mit rund 4 Milliarden Schilling pro Jahr dotiert, die

Kreisky-Armee hingegen käme auf 5 bis 7 Milliarden — die Berechnungen divergieren natürlich je nach gedachter Stärke, Gliederung und Ausrüstung. Mehr als 4 Milliarden aber will die Regierung auf keinen Fall geben, womit sie ihr eigenes Heer zum Tod durch permanente Unterernährung verurteilt.

Es wird also das Bundesheer noch innerhalb der dem Kabinett Kreisky gewährten — oder angeblich von ihm erkauften — Gnadenfrist funktionsuntüchtig werden, so daß die Sozialisten dann mit einem gewissen Recht auch offiziell dessen Auflösung und, allenfalls, dessen Ersetzung durch eine Art Grenagendarmerie werden fordern und durchsetzen dürfen. Nicht ohne Grund' ist der Terminus „Verleidigungsfall“ aus dem Vokabular dieser Regierung herausgestrichen worden. Doktor Kreisky, laut „Jasmin“ vom 20. Juli 1970' lieber in Grinzing beim Heurigen als am Ballhausplatz residierend, vertraut offenbar der in einem Wienerlied unmißverständlich ausgesprochenen Drohung, daß der echte Wiener eh nicht untergehe. Wozu dann also ein Bundesheer?

Was das auch in tieferen Regionen nicht immer gerade wohlinformierte „Jasmin“ nicht weiß, ist die Tatsache, daß fühlende Sozialisten Österreichs, auch wenn sie im Bürgerkriegsjahr 1934 erat kleine Buben waren, in einer traumatischen Fixierung wähnen, ein österreichisches Bundesheer existiere letzten Endes doch immer nur zu dem einen Zweck, die von sozialistischen Stadtverwaltungen errichteten Gemeindebauten kaputtzuschießen. Aber ein Trauma ist kein Alibi! Und obendrein war Dr. Kreisky selber dabei, als über den Staatsvertrag verhandelt wurde; und schon deshalb muß er ja wissen, daß — nachzulesen in dem. auch . von Dr. Kreisky unter -

zeichneten Moskauer Memorandum vom 15. April 1955! — die Neutralitätserklärung der österreichischen Delegation (mit Dr. Kreisky) eine Conditio sine qua non des Staatsvertrages und damit der Einheit und Souveränität des Staates war und natürlich noch ist. Unter I dieses Memorandums versichert die österreichische Delegation (mit Doktor Kreisky), „die österreichische Bundesregierung (wird) eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie. von der Schweiz gehandhabt wird“, und unter direkter Bezugnahme darauf heißt es dann unter II: „Die Herren stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR W. M. Molotow und A. I. Mikojan haben namens der Sowjetregierung im Hinblick auf die Erklärungen der österreichischen Regierungsdelegation“ — das heißt also im Hinblick auf die Neutralitätsverpflichtung — „folgende Erklärungen abgegeben: 1. Die Sowjetregierung ist bereit, den österreichischen Staatsvertrag unverzüglich zu unterzeichnen ...“

Wenn nun Österreich, unter der Regierung Kreisky, sejne dann auch in einem Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 fixierte Neutralitätserklärung, wenn auch nicht de jure, aber de facto — nämlich durch den Verzicht auf militärische Verteidigungsbereitschaft und sonstige gröblichste Verletzung seiner Neutralitätsverpfliehtung — widerruft, daran konzediert es damit auf jeden Fall politisch und nach Ansicht namhafter Rechtslehrer auch völkerrechtlich den Signatarmächten des Staatsvertrages, diesen im Bedarfsfall für null und nichtig zu erklären und den Status quo ante wiederherzustellen: das geteilte und besetzte Land mit der Zonengrenze an der Enns und am Semmering, denn Jalta gilt, wie die USA anläßlich der CSSR-Krise expressis verbis wieder versichert haben, ja nach wie vor. Aber auch dann, wenn Österreichs staatliche Souveränität vorerst unangetastet bleibt, entsteht durch die Liquidierung des Bundesheeres ein nicht nur für Österreich selbst, sondern auch für die Nachbarstaaten gefährliches Vakuum, militärisch und, vorher schon, moralisch. Die Entmili-tarisierung Österreichs erzeugt jetzt schon Unsicherheit rundum und zwingt die Nachbarstaaten, den Raum des neutralistischen Österreich nun ganz konkret in ihr militärisches Kalkül einzubeziehen. Daß die NATO sich, zumindest gedanklich, auf die neue Lage bereits eingestellt hat, weiß man sogar schon in Wien; die Deutsche Bundeswehr speziell wird um die Aufstellung zusätzlicher Verbände kaum herumkommen, wenn sie ihre im Raum Salzburg, Passau, Linz dann offene Südflamke decken will. Daß die Sowjets danin erst recht den Großraum Innsbruck mit Mittelstreckenraketen anvisieren, versteht sich nach einem Blick auf die Karte von selbst. Und wenn man die in der Schweiz aufkeimende Nervosität bedenkt, dann kann man sich unschwer die Stimmung der führenden Politiker und Militärs Jugoslawiens ausmalen, die schon vor eineinhalb Jahren den damaligen österreichischen Verteidigungsminister Prader geradezu beschwörend gefragt haben, ob Österreich wirklich willens sei, im Katastrophenfall sich zu wehren: denn der Weg in die tiefe Flanke der jugoslawischen Abwehrfront gegen die nach Titos Abtreten zu erwartende „brüderliche Hilfe“ führt durch das südöstliche Österreich. Damit aber würde der Westen, in die auf dem Balkan bevorstehenden Kalamitäten direkt, statt nur indirekt, verwik-kelt werden — es sei denn, die Amerikaner wären bezüglich eines russischen Durchmarsches zu jenem vorherigen Agreement bereit, das die Russen ihnen vor der Intervention in dem ebenfalls so gut wie entmilitarisierten Kambodscha erteilt haben.

In dem Fall einer großen militärischen Ost-West-Auseinandersetzung endlich würde ein entmilitarisiertes Österreich von der ersten Minute an durch taktische Atomwaffen verwüstet werden, und zwar aus dem folgenden Grund, den auch Dr. Kreisky kennen muß, da sein Verteidigungsminister ja ein gelernter Soldat ist: Infolge der Technisierung leiden sämtliche Heere der Welt an einem schweren Mangel an Kampftruppen, vor allem an der zum Besetzen von Räumen unerläßlichen Infanterie; und sogar schon Lücken, die man nicht füllen, und Flanken, die man nicht decken kann, sperrt man deshalb durch den Einsatz atomarer Kampfmittel: in dieser militärischen Doktrin stimmen Ost und West überein, es ist geradezu schon ein Gemeinplatz im operativen Denken. Ein entmilitarisiertes Österreich bedeutet offene Lücken und offene Flanken sowohl für die NATO als auch für den Warschauer Pakt: Lücken und Flanken, die den Atomkrieg geradezu provozieren. Ein hoch gerüstetes und nach allen Seiten hin neutrales Österreich hingegen wäre, von der selbstverständlichen konvention eilen Abschrek-kung ganz abgesehen, die relativ sicherste Garantie gegen' ein Hiroshima-Schicksal.

Jedenfalls hat Dr. Kreisky mit seiner Politik der Entmilitardsierung den logischen Grundgedanken der österreichischen Landesverteidigung preisgegeben: die Gewaltabwendung, oder, wie ein gewisser Herr Freihsler, als er nur General und noch nicht Minister war, dies öffentlich, am 7. Februar 1969, ausgedrückt hat: die „Vorbeugung“ durch „die entsprechenden militärischen Voraussetzungen“ für einen ,;starken militärischen Widerstand“. Vom „Vorbeugen“ soll, nach Dr. Kreiskys Willen und mit Freihslers Willfährigkeit, nur das Beugen bleiben: der einschlägigen Verfassungsgesetze und damit des eigenen Rückens. Aber wenn dann, irgendwann einmal, wiederum etwas passiert wie im März 1938, dann wird es, in Grinzing, natürlich wiederum niemand gewesen sein wollen, der das ermöglicht, ja geradezu herausgefordert hat. „Wir Österreicher waren ja“, wie Helmut Qualtingers „Herr Karl“ sagt, „immer unpolitisch“.

Unerklärlich bleibt trotzdem, warum die Staatsanwälte, die in jedem entblößten Busen ein öffentliches Ärgernis wittern, in der Heerespolitik der Regierung Kreisky nicht jenen strafbaren Tatbestand erblicken, den der § 58 Strafgesetz wie folgt beschreibt (auszugsweise): „Das Verbrechen des Hochverrates begeht: wer etwas unternimmt, was auf Herbeiführung oder Vergrößerung einer Gefahr für den Staat von außen angelegt wäre.“ Schon der Versuch ist strafbar, -und (§ 61): „Auch derjenige macht sich des Hochverrates mitschuldig, der eine hochverräterische Unternehmung oder eine Person, von welcher ihm eine solche Unternehmung bekannt ist, der Behörde anzuzeigen vorsätzlich unterläßt...“

Außenminister Kirchschläger hat, anstatt öffentlich gegen den Verrat an Österreich zu protestieren, schon im Sommer ein Memorandum verschickt, in dem er die von den Sowjets angeregte europäische Sicherheitskonferenz urgiert. War auch das eine Fleißaufgahe? Ist er der Auffassung, daß die Sicherheit des neutralen Österreich nicht mehr durch eigene Verteidigungsbereitschaft, sondern nur noch durch das von Moskau propagierte (und dann natürlich dominierte) System der kollektiven Sicherheit garantiert werden kann? Oder: ist Österreichs Ost-Abhängigkeit — ein paar Wochen ohne Ost-Lieferungen, vor allem auf dem Energiesektor, würden Massenarbeitslosigkeit bedeuten! — schon derart weit gediehen, daß der Ballhausplatz sich nur noch als eine Art Vorwerk des Kreml empfindet? Wenn das zutrifft, dann soll man das sagen; und zwar schon deshalb auch, damit die jungen Männer aus Wien, Niederösterreich, dem nördlichen Burgenland und dem Mühlviertel sich darauf einrichten können, daß sie in Zukunft nicht neun oder gar nur sechs, sondern 24 Monate dienen müssep. wie das •auch in den anderen Staaten des Warschauer Paktes üblich ist.

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