Ein Blitz der Ewigkeit

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Wenige Wochen ist es her, da war ich in Ägypten, in diesem atemberaubenden Land. Im modernen Ägypten, im scheinbar freien Ägypten. Mohammed Mursi hatte zwar die Wahlen gewonnen, aber es gab noch keine Gewalt auf den Straße. Das Land schien auf dem Weg in eine etwas instabile, aber demokratische Zukunft zu sein - so stand es quasi im Prospekt.

Ebendort, in diesem wunderschönen Land, so entnahm ich einem empfohlenen Reiseführer mit dem Titel "Ägypten für Insider“, sei die Situation der Frauen gar nicht so schrecklich, wie in westlichen Medien dargestellt. Vergewaltigungen, Genitalverstümmelungen und die beständigen Belästigungen auf der Straße durch Männer - das seien schreckliche und seltene Ausnahmen von folgender Regel: "Der Ägypter ehrt seine Frau und beschützt sie, auch weil sein Glaube es ihm befiehlt“.

Nun sind dort just jene Muslimbrüder an der Macht, die tatsächlich von sich behaupten, ihr Glaube befehle ihnen, gerade Frauen und Kinder zu schützen. Das gilt nur nicht immer. Sobald es Frauen nämlich wagen, gegen die Machthaber zu demonstrieren, fallen Männerbanden über sie her, schänden und vergewaltigen sie. Frauen, so die Botschaft eines Muslimbruders, haben nicht zu protestieren, sondern zu Hause zu bleiben und zu schweigen.

Die kurze Sicht der Dummheit

Das Kalkül allein zeigt das Ausmaß der Uneinsichtigkeit, mit der die Machhaber in Kairo geschlagen sind - denn ihre Gewalttätigkeit richtet sich letzten Endes nicht nur gegen die weiblichen Opfer, sondern auch gegen jene, denen die Frauen untertan gemacht werden sollen: gegen die Männer Ägyptens.

Sie alleine können beim derzeitigen Stand der Wirtschaft (Inflation 12 Prozent plus eine seit 2010 anhaltende Konjunkturkrise) in keinem Fall alle Frauen, alle Kinder und alle Alten ernähren. Aber selbst in wesentlich besseren Konjunkturzeiten scheint das arithmetisch unmöglich. Beten und Schläge schaffen kein Brot, sondern noch mehr Armut. Das Argument, dass es derzeit schon zu wenig Jobs gibt, ist falsch. Es gäbe genug Arbeit für alle. Aber solange Frauenarbeit unbezahlte Sklavenarbeit bleibt, beraubt sich die Volkswirtschaft eines wichtigen Teils ihrer Wertschöpfung: Jenes der bezahlten und deshalb kauf-, spar- und investitionsfähigen Frau.

Missachtete Gebote der Stunde

In Ägypten wäre also die Gleichberechtigung nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern eine zwingende ökonomische Logik. Manche Muslimbrüder scheinen hingegen zu glauben, ihr Land wäre mit jenen Golfstaaten vergleichbar, die ihre Frauen in den Niqab zwingen. Doch um eine solche zurückgebliebene Feudalgesellschaft und den dazugehörigen Unterdrückungsapparat in Ägypten zu installieren, bräuchte es viele tausend Ölbohrlöcher aus denen schwarzes Gold sprudelt.

Das bringt uns zu einem neuen Punkt: Jules Michelet hat in seinem Werk über die französische Revolution den Satz geprägt, dass sich im Sommer 1789 für die Franzosen "die ganzen Möglichkeiten der Zeit gezeigt haben. Die Zukunft wurde gegenwärtig, ein Blitz der Ewigkeit“.

Ein solches Phänomen haben auch die Ägypter während der Revolution im Jänner 2011 erlebt. Damals haben Männer und Frauen gemeinsam durch friedlichen Protest eine Diktatur gestürzt - ein neues Ägypten der Gleichbereichtigung und der gemeinsamen Tat war zum Greifen nah. Dieses Erleben kann ihnen niemand mehr nehmen. Ägyptens Bürger leiden nun zwar unter den Muslimbrüdern. Aber auf Dauer ändert das nichts. Litt nicht auch Frankreich unter der Terrorherrschaft Robespierres? Und doch hatte auch damals das Erkennen des Möglichen mehr Macht als Gewalt und Mord. So wie die Muslimbrüder sich derzeit verhalten, bleiben sie wie Robespierre ein kurzes Phänomen der Zeit - ohnmächtig gegen den "Blitz der Ewigkeit“.

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