Ein Brief aus Tunis

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Die Menschheit vom Atlas bis zum Hindukusch ist, seien wir doch einmal ehrlich, dem Europäer äußerst fremd. Von Casablanca im Westen bis Beirut, Damaskus und Kabul und von da nach Islamabad: nur Schwierigkeiten. Einer, der das erfasst hat, ist Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der im Oktober 2008 dem tschechischen Premierminister Jiri Paraoubek wie folgt "briefte“: "Der algerische Präsident, der Tunesier, der marokkanische König, Libyen und Israel. Eine schreckliche Arbeit. Weißt du, was das bedeutet, allein gegen alle Araber zu stehen? Sie am Telefon zu haben? Sie sind schrecklich. Ich schwöre es.“

So beugt sich der Europäer also unter der Last arabischer Ränke. Vor wenigen Tagen nun langte in Paris ein Brief aus Tunis ein, der gelesen und danach vernichtet wurde. Die nachstehenden Auszüge haben sich also zu 100 Prozent in Luft aufgelöst: "Lieber Nicolas! J’accuse! Wochenlang habe ich auf die von Dir versprochenen Polizeieinheiten gewartet. Deine Ministerin Alliot-Marie hat sogar in der Nationalversammlung davon gesprochen. Passiert ist nichts! Wofür habe ich die Frau eigentlich jeden Sommer in meinen Palästen beherbergt? Jetzt steht der Abschaum vor meiner Tür und nicht einmal Zusammenschießen hilft! Es geht zu Ende mit meiner Herrschaft, Nicolas. Deshalb noch ein paar persönliche Bemerkungen an Dich, Habibi, alter Freund.

Europäische Interessen

Rückblickend fällt es ja immer leichter, die Dinge einzuordnen. Kannst Du Dich noch erinnern? Du, Ihr, die Europäer wart doch immer so freundlich zu mir. Und was haben wir nicht gelacht, wenn die Presse draußen war - über das Gejammer von wegen Menschenrechten. Pfah! Wir wussten doch, was eigentlich zählte, oder, Habibi? Unlängst warst Du selbst da mit Deinem ganzen Hofstaat. Ihr wolltet Verträge, Bodenschätze, billige Arbeitskräfte. Ich sagte, wir können kooperieren wie immer. Ihr gebt meinem Clan, meiner Partei Geld und Deine Firmen werden reich. Die Kontonummern hattet Ihr ja schon. Das Geld, sagtest du selbst, sei auch ein Dankeschön für die Sicherheit, die Tunesien bietet. Sicherheit für Euch, Habibi! Hättest du doch einmal die Wahrheit gesagt: Liebe Leute wir machen in Tunesien Milliardengeschäfte, aber so können wir dort keinen Terror, keinen Tschador, stattdessen Club Med haben. Aber, liebe Leute, das hat seinen Preis: Der Preis heißt "harte Hand“. Deshalb lieben wir alle Ben Ali.

Eure Botschaft: Diktokratie

Von wegen grausamer Diktator! War das etwa Eure Botschaft: Unterdrück die Moslems, aber sei ein netter Demokrat? Die hab ich überhört. Ich habe nach Eurem Ratschlag alles versucht, gut dazustehen. Ich habe die Universität geöffnet. Ich habe die Frauen befreit. Alle Kinder gehen in die Schule. Mehr ging nicht. Für die Arbeitsplätze solltet Ihr zuständig sein. Deshalb kaufte ich doch zehn A320 von Dir für die Tunis Air und Du bekamst den Auftrag für Kraftwerke und die Lizenzen für "Wüstenstrom“, der Deine EU mit Sonnenenergie versorgen soll.

Und erinnerst Du Dich noch, als Du zu mir gekrochen kamst, wegen Eures Immigrationsproblems? Ich habe es geregelt, wie versprochen. Ich schickte die Flüchtlinge weg, wenn sie zu uns kamen und übers Meer wollten. Glaubst Du, das ging so ganz ohne "Überzeugungsarbeit“ meiner Polizisten?

Mein Freund, Du wolltest, dass ich Deinen Vorhof kehre, aber den Besen, mit dem ich kehre, den willst Du nicht kennen? Ich habe die Spielregeln akzeptiert Nicolas, aber was habt Ihr getan? Egal. Ich verlasse heute Tunesien mit gefüllten Taschen. Ich überlasse Euch ein Land in Arbeitslosigkeit und Hunger. Was die Zukunft bringt? Noch weniger Arbeit und noch mehr Hunger. Ihr selbst seid der Grund dafür: Ihr werdet eure Investitionen abziehen, weil der Boden "zu heiß“ ist. Wenn das passiert, treffen wir uns wieder - vor Tunis. Dann kehre ich zurück, als Retter, ja? Dein Ben Ali.“

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