Ein Funke Unsicherheit

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Ist Ihre Wahlentscheidung schon getroffen? Aus tiefer Überzeugung oder nur für das berühmte "kleinere Übel"?

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Ist Ihre Wahlentscheidung schon getroffen? Aus tiefer Überzeugung oder nur für das berühmte "kleinere Übel"?

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Einen Funken Unsicherheit gibt es immer, hundertprozentig läßt sich die Zukunft nie vorhersagen, doch im Grunde zweifelt kaum jemand daran, daß die Sache schon gelaufen ist: Thomas Klestil dürfte die Wahl für das höchste Amt im Staat bereits im ersten Durchgang klar für sich entscheiden. Alles andere wäre eine Riesensensation.

Für einen sportlichen Wettstreit wäre eine solche Prognose vor dem Anpfiff des eigentlichen Bewerbes sehr gewagt, für diese Wahl kommt sie vielen, noch ehe der erste Stimmzettel ausgefüllt und abgegeben wurde, locker von den Lippen. Das Rennen um die Präsidentschaft erscheint als "gemähte Wiese" für den Titelverteidiger, es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß in wenigen Tagen wieder der politische Alltag in Österreich einziehen wird.

Wo liegt nun der Funke Unsicherheit? Nicht unbedingt in der oft betonten großen Zahl der Kandidierenden. Immerhin bestreiten neben Thomas Klestil auch eine engagierte Christin, die bisherige evangelische Superintendentin Gertraud Knoll, die ihre Anti-Haider-Haltung betonende Liberalen-Chefin Heide Schmidt, der erfolgreiche Baumeister Richard Lugner und der "Bruder-Baum"-Initiator Karl Walter Nowak das Turnier um die Hofburg. Und jedes Mal, wenn vier oder mehr Personen kandidierten, habe es einen zweiten Wahlgang gegeben, argumentieren manche.

Übersehen wird dabei, daß in all diesen Fällen (1951, 1986 und 1992) kein amtierender Präsident antrat, dafür schickten damals immer sowohl ÖVP als auch SPÖ einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Diesmal hingegen haben sich die drei großen Parteien mehr oder weniger begeistert mit Amtsinhaber Klestil abgefunden. Daß auch die gegenwärtige Krise der Koalition, vor allem die Uneinigkeit der Regierungspartner bezüglich des Optionenberichtes, dem amtierenden Staatsoberhaupt hilft, ist logisch. Wenn der Wähler nicht so genau weiß, wie es mit Regierung und Parlament weitergeht, dürfte er einen stabilen Faktor in der Hofburg umso mehr schätzen.

Worin liegt also der Funke Unsicherheit wirklich? Klestils größte Sorge, die auch aus seinen Wahlplakaten spricht, ist eine sehr geringe Wahlbeteiligung. Angesichts der ständigen Prognosen, die Wiederwahl Klestils sei sowieso klar, könnte mancher seiner Stimme kein besonderes Gewicht beimessen und sich den Weg ins Wahllokal sparen. Daß Wählen in der Demokratie zumindest eine moralische Pflicht darstellt, ist ja nicht mehr selbstverständlich. Das Amt des Bundespräsidenten wird auch zunehmend als entbehrlich betrachtet. Und leider erschien es auch dem Amtsträger Thomas Klestil nicht als demokratische Selbstverständlichkeit, sich einer direkten Diskussion mit seinen Gegenkandidaten zu stellen.

Seine Strategie dürfte zwar aufgehen, neue Freunde wird sich das so auf seine Würde bedachte Staatsoberhaupt damit aber nicht gemacht haben. Wer im Volk herumhört, weiß - und darüber sollte auch ein hoher Sieg Klestils nicht hinwegtäuschen -, daß der amtierende Präsident beim Wähler zwar hohe Anerkennung für seine politische Kompetenz und sein internationales Auftreten erntet, daß ihm aber sicher nicht in einem gleich hohen Maß Wogen echter Sympathie entgegenschlagen.

Die meisten seiner Wähler werden Klestil mit dem Kopf, weniger mit dem Herzen ihre Stimme geben. Es ist möglich - und auch das nährt den Funken Unsicherheit, ob es Klestil im ersten Anlauf schafft -, daß relativ viele Leute zunächst den Einsatz der einen oder anderen gegen Klestil kandidierenden Person honorieren, ehe sie in einem etwaigen zweiten Wahlgang doch für den bisherigen Amtsträger votieren.

Denn gar so gering sind die Qualitäten der Konkurrentinnen und Konkurrenten Thomas Klestils auch wieder nicht. Mit welcher Geringschätzung oder gar Feindseligkeit manche Vetreter der Medien oder des politischen Establishments, also der drei großen Parteien, die sich auf Klestil eingestellt haben, dessen Widersacher bedenken, ist nicht gerade hohe Schule der Demokratie. Ob alle wirklich die Eignung zum Staatsoberhaupt mitbringen, mag man mit Recht bezweifeln, doch die Entscheidung liegt beim Souverän Wähler. Und der ist mündig genug, die Personen und ihre Programme zu beurteilen und Attacken auf Kandidaten, in denen "Seitenblicke" oder Seitensprünge, vernachlässigte Kinder oder "Haß"-Tiraden ins Treffen geführt werden, im Gesamtbild dieser Wahl den richtigen Stellenwert beizumessen.

Jede Unterschrift soll gleich zählen Thomas Klestils Amtsführung ist bekannt. Gertraud Knoll ist eine glaubwürdige Anwältin in sozialen Fragen. Heide Schmidt verfügt über immense politische Erfahrung. Baumeister Richard Lugner und Karl Walter Nowak haben immerhin locker die zur Kandidatur nötigen 6.000 Unterschriften erbracht, die wirklich fragwürdigen Kandidaten sind bereits an dieser Hürde gescheitert. Daß auch Knoll und Schmidt, die dank der Unterschriften von Abgeordneten antreten dürfen, 6.000 Unterstützer gefunden hätten, wird kein vernünftiger Mensch bezweifeln.

Trotzdem: Wenn sich etwas an dem Procedere vor der Wahl als reformbedürftig erwiesen hat, so ist es die Sonderbewertung von Abgeordnetenunterschriften - erstens bei der Zulassung zur Kandidatur, zweitens bei der Reihung auf dem Stimmzettel. Die Einsicht, daß diese Regelung schleunigst abgeschafft gehört, scheint zum Glück auch die maßgeblichen Parlamentarier bereits zu leiten. Jede Unterschrift soll gleich zählen!

Von welchen Einsichten sich die Wähler am 19. April leiten lassen werden, bleibt abzuwarten. Das Volk dürfte jedenfalls seine traditionellen Vorstellungen von den primären Aufgaben des Bundespräsidenten - im Ausland diplomatisch gewandter Repräsentant, im Inland geschickter Einfädler der Regierungsbildung und ruhender, ausgleichender Pol in Krisenzeiten (einst galt ja die Parole "Wenn schwarzer Kanzler, dann roter Präsident") - nicht wesentlich geändert haben.

Und wieviel bedeuten Persönlichkeit und Parteizugehörigkeit? Am Wahlergebnis von Heide Schmidt, die 1992 noch für die FPÖ kandidierte und jetzt als Liberale antritt, wird davon einiges abzulesen sein.

Sicher ist, daß ohne das Antreten von Gertraud Knoll nicht der geringste Zweifel an der sofortigen Wiederwahl Thomas Klestils bestünde, nun aber der genannte kleine Funke Unsicherheit existiert.

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