Ein gemeinsamer Film ist bestenfalls ein guter Anfang

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Eigentlich könnten die Medien zur Versöhnung am Westbalkan beitragen. In der Praxis zeigen sich aber auch hier kaum überwindliche Hürden.

„Alles, was ich hatte, waren Knochen in einem Plastiksack.“ Bilder und Aussagen wie die von einer Mutter, die ihren Sohn bei Vukovar verloren hat, machen den Film „Vukovar Final Cut“ zu einer kaum erträglichen Chronik aus gar nicht ferner Zeit: 15 Jahre nach dem Fall der ostkroatischen Donaustadt im Jugoslawienkrieg hat eine gemischte Crew aus serbischen und kroatischen Journalisten noch einmal – „Final Cut“ also – die Tragödie der ethnisch gemischten Region in Ostslawonien aufgezeichnet. Mit Bildern aus den Archiven der Jugoslawischen Volksarmee, welche sich 1991 auf die Seite des serbischen MilosÇevi´c-Systems geschlagen hatte und Vukovar tagelang bombardierte. Als besonders grausam sind noch die 100 bis 200 Bomben pro Tag (!) in Erinnerung, welche auf das überfüllte Spital von Vukovar fielen. Mit kroatischem und serbischem Dokumentarmaterial – und vor allem mit den schnell aneinandergeschnittenen Erzählungen von Zeitzeugen, von „Tätern“ auf beiden Seiten und von Opfern, die die Geschehnisse nicht vergessen haben und die davon bis heute traumatisiert sind.

Der kroatische Journalist Drago Hedl ist einer der Autoren des 103-minütigen verstörenden Streifens, der bei einem Workshop über die Rolle von Medien im Versöhnungsprozess am Westbalkan gezeigt wurde, das im Anschluss ans Westbalkan-Symposium in Wien (vgl. Artikel links) stattfand. Diese Art der Vergangenheitsbewältigung ist nach den Worten Hedls notwendig. Aber nach wie vor schwierig.

Kaum journalistische Joint Ventures

Es gibt immer noch wenige Projekte, die wie der Film „Vukovar Final Cut“ als „Joint Venture“ von beiden Seiten angelegt und nicht der je eigenen Sichtweise verpflichtet sind. Sondern so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheitsbewältigung versuchen.

Und die wird – wie der beeindruckende Dokumentarfilm, der vom TV- und Radiosender B92, der Mutter aller unabhängigen Medien in Serbien, produziert wurde, zeigt – auch durchaus angenommen. Drago Hedl macht das am Erfolg fest, den „Vukovar Final Cut“ beim Dokumentarfilmfestival in Zagreb ebenso feierte wie bei einem ähnlichen Filmfest in Belgrad. Auch beim Sarajewo Film Festival wurde der 2006 gedrehte Streifen prämiert. Doch Vorzeigeprojekte wie dieser Film sind das eine. Die Realität für unabhängige Medien auf dem Westbalkan ist eine andere. Veran Mati´c, Geschäftsführer von B92, erläuterte auf dem Workshop, wie schwer es nach wie vor ist, über die Verbrechen der eigenen Seite zu berichten. In Serbien ortet der unabhängige Medienmacher zurzeit vor allem eine explosive Mischung aus „Neonazismus und serbisch-orthodoxem Radikalismus“, der für Journalisten heute nach wie vor gefährlich ist.

Sender-Gebäude anzuzünden versucht

Dass solch Radikale versucht haben, nach der Unabhängkeitserklärung des Kosovo das Gebäude des Senders B92 in Belgrad anzuzünden, wundert da wohl kaum mehr.

Aber auch in Kroatien ist die Lage für unabhängigen Journalismus nicht rosig – und damit ist nicht nur der jüngste Mord am Zeitungsmacher Ivo Pukani´c gemeint. Drago Hedl kann ein Lied davon singen: Der ehemalige Chefredakteur der satirischen Wochenschrift Feral Tribune kämpfte bis Juni um seine Zeitung, die vor allem in der Tudjman-Ära eine erste Adresse für unabhängigen Journalismus in Kroatien darstellte. Der Ausfall kommerzieller Einschaltungen hatte dem Blatt aber dann letztendlich ebenso den Garaus gemacht wie der Schwund an zahlenden Beziehern: Wirtschaftliche Lebensfähigkeit, so die bittere Erkenntnis, ist für die unabhängigen Medien auf dem Westbalkan nach wie vor eine große Schwierigkeit.

Dabei treten in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedliche Facetten zutage, welche die Bedingungen erschweren. Migjen Kelmendi, Zeitungsgründer und TV-Macher im Kosovo, wies bei der Veranstaltung in Wien darauf hin, dass die Schwierigkeiten schon bei der Sprache beginnen: Das heute als „Standard-Albanisch“ bezeichnete Idiom, das auch im Kosovo Amtssprache ist, sei die Sprache des stalinistischen albanischen Diktators Enver Hoxha. Im Kosovo werde dagegen Gheg gesprochen, die Menschen im Land würden diese Sprache verwenden – aber auch in den Medien käme nur das Standard-Albanische vor. Kelmendi müht sich daher mit seiner Wochenzeitung Java zumindest um ein Medium auf Gheg. Und leistet damit seinen Beitrag zur Sisyphusarbeit der Versöhnung.

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