Ein Land, drei Premierminister

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Thailand kämpft nicht nur mit den Folgen des verheerenden Hochwassers. Es versucht auch verzweifelt, eine innenpolitische Lähmung abzuschütteln, die das Land seit den Wahlen prägt.

Bangkok, jenseits des Hochwassers: Tuk-Tuks knattern über den Asphalt, Händler bieten plagiierte T-Shirts feil, aus den Bars wummern Bässe. In der Silom-Road rund um den Nachtmarkt "Patpong“ im Zentrum Bangkoks herrscht buntes Treiben. Vor ein paar Monaten zeigte sich ein anderes Bild. Damals tobten heftige Auseinandersetzungen zwischen regierungstreuen und regimekritischen Demonstranten. Autoreifen brannten, Schüsse peitschten durch die Straßen, Panzer fuhren auf. Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis einbrannten. "Das war eine schwere Zeit“, erinnert sich ein Verkäufer. "Das Geschäft ist komplett eingebrochen.“ Heute gehe alles wieder seinen gewohnten Gang, sagt der ältere Mann mit begütigender Miene.

Tiefe Gräben

Doch der Konflikt zwischen Rothemden und Gelbhemden hat tiefe Gräben in die Gesellschaft gerissen. Hier die königstreuen Anhänger der Oberschicht, die um ihre Pfründe barmen. Dort die Bauernbewegung, die sich benachteiligt fühlt und den exilierten Staatschef Thaksin zurück ins Amt sehen wollte. Der Self-Made-Man, der wegen des steuerfreien Verkaufs seines Telekom-Konzerns "Shin Corp“ nach Singapur in die Kritik geraten war und nach einem Militärputsch das Land verlassen musste.

In den darauf folgenden Jahren kam das Land nie richtig zur Ruhe. 2008 blockierten Gelbhemden den Bangkoker Flughafen, 2010 lieferten sich Rothemden mit dem Militär Straßenschlachten.

Es wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet Thaksins Schwester Yingluck den Konflikt beilegen soll. Die attraktive 44-Jährige wurde in diesem Jahr zur Ministerpräsidentin gewählt - und mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht. Das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek“ adelte sie zu einer der "wichtigsten Frauen der Welt“. Die Amtsübernahme war von großen Hoffnungen begleitet - schließlich versprach sie im Wahlkampf ein Wunderwerk an Wohltaten. Jeder Schüler sollte einen eigenen Computer bekommen, Universitätsabgängern ein Gehalt von 15 000 Baht gewährt werden und flächendeckende Mindestlöhne von täglich 300 Baht (rund 8 Euro) eingeführt werden. Allein: Die Pläne sind in der Realität noch nicht angekommen.

In der "Standard School“ in Kanchanaburi, im Norden Bangkoks, kalkulieren die Schüler weiter mit dem Rechenschieber, in der Umgebung bestellen bucklige Bauern das Feld. Mit einfachen Harken und Schaufeln durchpflügen sie die Äcker. Die Arbeit ist hart, der Ertrag gering. Umgerechnet zwei Euro bekommen die Bauern auf dem Markt für ein Kilogramm Süßkartoffeln. Das reicht gerade so zum Leben.

Nun kann man von der neuen Regierung nicht erwarten, dass sich das strukturelle Gefälle zwischen Stadt und Land von heute auf morgen ändert. Doch Yingluck hat mit ihren Versprechungen große Hoffnungen geweckt. Und die drohen, enttäuscht zu werden. Die Menschen sind unzufrieden. Die Löhne stagnieren, das Leben wird teurer. Die Flutkatastrophe, die das Land in diesem Sommer heimsuchte, hat die Situation zusätzlich verschärft. Große Teile der Ernte wurden vernichtet. Yingluck kündigte an, eine Entschädigung von 2222 Baht (rund 55 Euro) auszuzahlen - was ihr prompt den Protest der Landwirte einbrachte.

Missglücktes Krisenmanagement

Die Bauern beklagten, dass sie ihre Einlagen aus der alten Versicherung nicht eins zu eins in das neue Versicherungssystem überführen konnten. Sie fühlten sich betrogen. Die Ministerpräsidentin lenkte ein und garantierte, dass einmal entrichtete Beträge auch wieder ausbezahlt würden. Die Bauern sind einstweilen beruhigt.

Doch Yingluck verspielte mit ihrem missglückten Krisenmanagement und mangelnder Durchsetzungsfähigkeit wichtige Kreditpunkte in der Bevölkerung. Für Diskussionen sorgten unlängst auch die Berichte der Antikorruptionskommission, die die Vermögensbestände der Regierungsmitglieder auflisteten. Demnach soll Yingluck über sieben Hermestaschen, acht Autos und eine Villa mit eigenem Fußballplatz verfügen. Das kommt nicht überall gut an.

"Dem Kabinett fehlen starke Charakter, um schmerzhafte Reformen voranzubringen“, bemängelt die englischsprachige Tageszeitung "The Nation“. "Yingluck betreibt einen noch größeren Populismus als ihr Bruder“, kritisiert der Politikprofessor Thitinan Pongsudhirak von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok. Es brodelt heftig unter Thailands Elite.

"Leadership without direction“, attestierte die Bangkok Post der Regierung. Führung ohne Richtung. Yingluck fehle nicht nur die Erfahrung, sondern auch "eine Vision, das große Ganze zu überblicken“. Sie sei nicht in der Lage, die Verwaltung und ihr Kabinett zu kontrollieren.

Die Regierung ist gespickt mit millionenschweren Unternehmern, die Partikularinteressen vertreten und sich gegenseitig beharken. Der stellvertretende Ministerpräsident Chalerm, ein impulsiver Charakter, setzte vor geraumer Zeit Polizeichef Potephorsree ab und brachte damit den Nationalen Sicherheitsrat gegen sich auf. Diesem Gremium steht wiederum Kowit Wattana vor, der ebenfalls stellvertretender Ministerpräsident und damit direkter Widersacher von Chalerm ist. Der eigentlich besonnene und bedachte Wattana schäumte vor Wut und konsultierte postwendend Thaksin Shinawatra.

Suche nach Verantwortung

"Wer trägt eigentlich die Verantwortung?“, fragte in bissiger Ironie die englischsprachige Zeitschrift Asia News. Yingluck schweigt beharrlich. Wohl auch, weil sie selbst zu schwach ist, um in dem Gezänk zu vermitteln. Ihr Bruder Thaksin zieht im Hintergrund weiterhin die Fäden. Von seinem Exil in Dubai aus nimmt er Einfluss auf das politische Geschehen in Bangkok. In den Boulevardblättern wird bereits gemunkelt, dass Yingluck ihre Haare über die Ohren kämme, um das Headset mit der Verbindung zu ihrem Bruder zu verbergen. Der mächtige Mäzen finanziert die Bauernbewegung der Rothemden. "Seine Anhänger wurden eigens von Chiang Mai hierher gekarrt und mit bis zu 1000 Baht am Tag unterstützt“, sagt der deutsche Hotelmanager Holger Jakobs. Und auch das Militär, Thaksins schärfste Widersacher, mischen sich in wichtige Angelegenheiten ein.

Ministerpräsidentin Yingluck scheint die willfährige Statistin in einem grotesken Politiktheater zu sein. "Ein Land, drei Premierminister“, spottete unlängst The Nation. Noch sehen Investoren über das Possenspiel hinweg. Doch die Führungsschwäche könnte Thailand langfristig in seiner Entwicklung bremsen.

Interne und externe Konflikte

Thailand, über Jahrzehnte ein stabiles Königreich am Rande der Konflikt- und Kriegsschauplätze Südostasiens, hat sich in den vergangenen fünf Jahren selbst zu einem Herd des sozialen Unfriedens gewandelt. Es sind vor allem die Bauern im Zentrum des Landes, die sich gegenüber den gut am Tourismus verdienenden Regionen an der Küste und den Unternehmern Bangkoks benachteiligt fühlen. Zusätzlich kam es in der Grenzregion mit Kambodscha in den vergangen Monaten immer wieder zu Gefechten mit Grenztruppen des Nachbarlandes. Es geht dabei um alte Tempelanlagen in Ta Krabei, die Kambodscha als Erbe der großen Khmerzeit für sich beansprucht. Die Auseinandersetzungen arteten im April sogar in Artelleriegefechte aus. (tan)

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