Ein Land probt den Fasching

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Zur Zeit ist Österreich ein Theater. Nur wenn Jörg Haider schweigt, gibt es irgendwann die Chance auf Rückkehr in eine geordnete Wirklichkeit.

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Zur Zeit ist Österreich ein Theater. Nur wenn Jörg Haider schweigt, gibt es irgendwann die Chance auf Rückkehr in eine geordnete Wirklichkeit.

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In dunklen Tagen pflegen Herr und Frau Österreicher ihren Glauben an finstere Mächte. Das gilt erst recht, seit das Land zwischen Panik, Hysterie und emotionalem Chaos taumelt. Die Regierung ist angelobt - nötige Reputation blieb dabei auf der Strecke.

Eine unübersichtliche Situation wie die derzeitige lädt zu Verschwörungstheorien ein. Alois Mock, der Mann, der Österreich nach Europa führte, beschuldigt beispielsweise die Sozialistische Internationale, eine "Unrechtskampagne vom Zaun gebrochen zu haben".

Auch der beste Demagoge des Landes, der Dämon für ausländische Politiker und Medien, Jörg Haider also, hielt sich keinen Tag zurück, um wechselweise dem Bundespräsidenten oder SP-Chef Viktor Klima mehr oder weniger zu unterstellen, sie hätten die internationalen Sanktionen bestellt. Klestil und Klima dementierten, Haider replizierte und sprach dunkel von "politischem Hochverrat", Klima zieh Haider der Lüge, Haider will Klima klagen oder gar das Parlament mit einem Untersuchungsausschuß beschäftigen.

Wer befürchtet hatte, mit einer durch Ministerposten domestizierten FPÖ würde das Theater ein Ende haben, kann beruhigt sein - und auf die nächste Posse oder Talkshow warten, die in Kärnten geprobt wird. Spätestens jetzt wird klar, daß sich nicht das Ausland gegen Österreich verschworen hat, sondern daß hier mit Hilfe der Medien eine Inszenierung - inländisch wie ausländisch - weitergetrieben wird.

Kaum eine der handelnden Personen hat sich nicht an dieser Inszenierung beteiligt. Nur eine Szenenfolge: Da schweigt der oberste Repräsentant des Landes wochenlang, wagt sich nur kurz mit dem einen oder anderen Parteichef vor seine rote Tapetentür. Wenn er redet, dann tut er das per Kommunique. Als die Eskalation der Lage perfekt ist, wendet sich das Staatsoberhaupt über eine Illustrierte ans Volk und erklärt, die künftige Regierung nicht zu goutieren. Tags darauf erlebt dieses Volk die Angelobung seiner Regierung - eisig das Klima, der Präsident in Wort und Körpersprache nahe dem absoluten Nullpunkt. Am Abend spricht derselbe Präsident endlich direkt - via TV: Mit einstudierter Gestik, die Kälte des Vormittags ist verschwunden, bittet er, der Regierung eine Chance zu geben ...

Die Beispiele zeigen: Österreich ist zur Zeit eine Inszenierung. Es gibt Dramaturgie (man denke an die ebenso kalte wie liturgische Zeremonie, bei der Jörg Haider und Wolfgang Schüssel die Menschenrechts-Präambel zum Regierungsprogramm unterzeichneten), und die Symbolik sagt mehr als Sprache: eine Regierung eilt durch den Keller zur Angelobung, weil zu ebener Erde das Volk mit Eiern und Farbe wirft. Auch die Demonstranten, die in Wien, in Österreich und in Europa umherziehen, sind Teil der Inszenierung.

Es wird Fasching geprobt, und Österreich ist für eine Hetz gut. Das Problem dabei: Vielen Österreichern ist ganz und gar nicht nach Hetz zumute. Sie wollen eine Regierung, die sich der angestauten Probleme annimmt, und die dies mit sozialem Augenmaß tut. (Ob das in der Inszenierung vorgesehen ist?) Sie wollen ein konstruktives und vertrauensvolles Verhältnis zu Europa. Doch das ist zumindest mittelfristig zerstört.

Deswegen geht es weder darum, einer Verschwörung gegen Österreich nachzulaufen, noch die Inszenierung weiterzutreiben. Vielmehr ist an einem Klima der politischen Rationalität zu arbeiten.

Ein frommer Wunsch, denn an einer Tatsache kommt niemand vorbei, der eine handlungsfähige Regierung will: Jörg Haider muß schweigen. Diese Lehre ist aus den Ereignissen der letzten Tage zu ziehen.Wie Haider dazu gebracht werden kann - das wird die eigentliche Regierungskunst sein. Auch schwarz-blaue Koalitionäre, etwa der künftige Wirtschaftskammer-Boß Christoph Leitl, haben das erkannt.

Zur (medialen) Inszenierung im Inland gibt es das Pendant im Ausland: Seit letzter Woche spielen auch die Wortführer der EU-Staaten viel mehr ihre Rollen, als daß sie nachvollziehbar und politisch rational agieren. Die Perspektive für Österreich ist so äußerst unklar.

Rudolf Burger, Philosoph in Wien, hat es vor einigen Tagen in der "Presse" aber auf den Punkt gebracht: Die österreichischen Mitspieler haben es verabsäumt, die realen Machtverhältnisse in Europa richtig einzuschätzen. Es klingt brutal: "Wenn die überwiegende Mehrheit der westlichen Demokratien ", so Burger, "Haider für einen gefährlichen Faschisten hält oder ihn dazu erklärt, dann ist er ein Faschist. Jedes andere Kriterium ist belanglos."

In diesem Licht kommt noch einiges auf Österreich zu. Ja, die Österreicher werden ins Ausland fahren und dort - ob sie es wollen oder nicht - der Welt erklären müssen, wie es hierzulande wirklich zugeht; und auch, daß Haider kein Faschist, kein Nazi oder kleiner Hitler, aber alles mögliche andere ist. Sie werden dennoch mit Bildern wie obiger Demonstration leben müssen - und mit einer verzerrten Wahrnehmung Österreichs, die ihrer eigenen Erfahrung nicht entspricht.

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