Ein-Mann-Gewerkschaft

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Selbst einmal Wanderarbeiter, weiß Wei Wei nur zu gut, was es heißt, ohne Schutz und Unterstützung am „Fließband der Welt“ zu malochen – und eröffnete eine Hotline.

Chinas Wanderarbeiter haben Rechte – das Problem ist: Viele wissen nichts davon und noch mehr trauen sich nicht, sie bei ihren Vorgesetzten oder Firmenchefs einzufordern. Wei Wei hat selber als Wanderarbeiter angefangen. 1997 ist er aus der Provinz nach Peking gezogen. Auto waschen, Lasten schleppen, Obst verkaufen … – Wei hat jeden Job angenommen und das Ausgeliefertsein von Wanderarbeitern am eigenen Leib erfahren. Der heute 37-Jährige mit der Glatze und den dicken Augenbrauen hat sich jedoch keineswegs seinem Schicksal ergeben: Allein mit einer Telefonnummer ausgestattet, machte sich Wei selbstständig und gründete eine Ein-Mann-Gewerkschaft. „Xia Xia Niao“ heißt seine Telefon-Hotline, „Kleines Vögelchen“, denn wer bei Wei anruft, ist allein in den großen Städten Chinas, unerträglichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt, um seinen Lohn betrogen oder um seine Abfertigung geprellt.

Arbeiter: früher geachtet, heute getreten

Wie katastrophal schlecht es den Arbeiterinnen und Arbeitern am „Fließband der Welt“ geht, beschreibt das Buch „Dagongmei – Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen“. Wurden Arbeiter in China früher „gongren“ genannt und standen als solche in einer im Vergleich zu den Bauern privilegierten gesellschaftlichen Stellung, so besteht der Großteil des heutigen chinesischen Proletariats aus „dagongmei“ und „dagongzai“, aus „jobbenden kleinen Schwestern“ und „jobbenden Söhnen“. „Dagong bedeutet, dass die Arbeiterinnen keinen Schutz mehr genießen. Sie werden temporär beschäftigt und können jederzeit gekündigt und durch billigere Arbeitskräfte ersetzt werden.“

Interessant ist das Buch vor allem, weil es den Schilderungen der Arbeiterinnen breiten Raum lässt. Die nackten Zahlen von bis zu 200 Millionen Wanderarbeitern, von Hunderttausenden Arbeitskonflikten, Verletzten und Toten durch Arbeitsunfälle bekommen damit viele konkrete Namen, Gesichter und Schicksale. Der gefährliche Widerstand und schwere Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen wird bewusst gemacht.

Mehr als 130.000 Anrufe hat die „Kleines Vögelchen“-Hotline in den letzten zehn Jahren beantwortet – Fragen zum Arbeitsrecht, zur Arbeitssuche oder Integrationsfragen. Wollen die einen Informationen, wie sie eine Firma gründen können, suchen andere erst nach Rat, damit sie verstehen, was die verschiedenen Farben an Verkehrsampeln bedeuten. In zwei Großstädten neben Peking hat Wei inzwischen Büros, in sieben anderen Metropolen plant er „Kleines Vögelchen“-Filialen. Über zehn Millionen Euro hat er zusammen mit hunderten ehrenamtlich arbeitenden Anwälten und Jus-Studenten bislang bereits für seine Klienten erstritten. Von der FURCHE nach seinem Erfolgsrezept befragt, verweist er auf seinen guten Draht zur Presse. Denn trotz zahlreicher Beschränkungen ist die chinesische Presse das Sprachrohr der Unterdrückten im Land – das gehört und auch von Regierungsseite nicht abgedreht wird.

In Peking hat Wei sogar die offizielle Erlaubnis, mit Firmenchefs und Baustellenleitern zu verhandeln, wenn sich Arbeiterinnen und Arbeiter mit Klagen an ihn wenden. In anderen Städten fehlt ihm noch dieses Pouvoir. Sein nächstes Ziel ist es aber, ein städteübergreifendes Netzwerk für Wanderarbeiter aufzubauen. Und Wei denkt noch weiter: Millionen Chinesen arbeiten auf der ganzen Welt – warum das „Kleine Vögelchen“ nicht globalisieren, warum nicht eine Ansprechstelle, eine internationale Hotline schaffen?

Die dafür nötigen Kontakte hat der Ex-Wanderarbeiter Wei mittlerweile: Gewerkschaften und NGOs aus den USA, Italien, Belgien, Deutschland und Österreich haben den Mann mit der wichtigen Telefonnummer zu sich eingeladen; mit dem Effekt, dass das „Kleine Vögelchen“ mittlerweile auch von großen und kleinen Spenden aus dem Ausland finanziert wird. Um weiter expandieren zu können und die internationalen Kontakte zu verstärken, sucht Wei Wei derzeit vor allem nach Freiwilligen, die fließend Englisch und Chinesisch sprechen. Seine Telefonnummer, die schon so vielen geholfen hat, lautet: 0089/(0)10/6851 5323.

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